Justizanstalt Josefstadt in Wien
Immer wieder kommt es in den österreichischen Justizanstalten zu Selbsttötungen.
APA/HELMUT FOHRINGER

Wien – Das Justizministerium meldet einen Rückgang von Suiziden während der Haft und Anhaltung: 2022 wurden in ganz Österreich sechs Fälle verzeichnet, während es 2018 noch zwölf, 2019 neun und 2020 acht waren. Unterbrochen wurde die Reihe im Pandemiejahr 2021, als sich 15 Personen in Haft das Leben nahmen, hieß es am Freitag.

Grund für die rückläufigen Zahlen sei unter anderem das im Straf- und Maßnahmenvollzug eingerichtete System Visci (Viennese Instrument for Suicidality in Correctional Institutions), ein ampelbasiertes Screeningsystem zur Beurteilung möglicher Suizidgefährdung. Dieses statistische Erhebungsinstrument wird bei Aufnahme in eine Haftanstalt eingesetzt. Nach der Beantwortung von Fragen ergibt sich je nach Score ein hohes Suizidrisiko (Ampelfarbe Rot), ein mit Mehrhaftraum kompensierbares Suizidrisiko (Ampelfarbe Gelb) oder kein statistisch sichtbares Risiko (Ampelfarbe Grün).

Erkenntnisse für Prävention

Ursprünglich wurde Visci für U-Haft-Anstalten entwickelt, mittlerweile wurden dadurch in allen Anstalten die Suizide reduziert. So erfolgte laut Justizressort in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Präventionsbemühungen: Schulungen und Fortbildungen der Mitarbeiter und -innen, die der Sensibilisierung von Bediensteten dienen, Reflexionen nach einem Suizid sowie Analysen der Versuche durch die Fachgruppe und die Einrichtung einer Expertengruppe im Ministerium.

Diese habe entsprechende Situationen und Personengruppen mit besonderem Betreuungsbedarf definiert und sich dabei insbesondere mit der Haftraumausgestaltung sowie den erforderlichen Betreuungsmaßnahmen und den Anforderungen an das Personal und die Organisation auseinandergesetzt. Diese Erkenntnisse würden fortlaufend in die Prävention einfließen und zum Rückgang der Suizidrate in den Justizanstalten beitragen.

Fehlende Betreuung

Die Volksanwaltschaft sieht dennoch weiterhin erhebliche Probleme: Es fehle für die Inhaftierten an psychologischer und medizinischer Betreuung. Zudem gebe es nur für rund die Hälfte der Insassen Arbeitsmöglichkeiten, wie der Vorsitzende der Menschenrechtskommission für den Strafvollzug in der Volksanwaltschaft, Reinhard Klaushofer, im Interview mit Ö1 bemängelt: "Wenn man davon ausgeht, dass 50 Prozent unterbeschäftigt, dann bedeutet das, dass das Personen sind, die häufig 23 Stunden in der Zelle sind. Das belastet sicher massiv die Psyche." Das Justizministerium räumt ein, dass in den Bereichen Psychiatrie, Psychologie, Psychotherapie und Medizin wegen des "Fachkräftemangels" insgesamt 45 Dienstposten in den österreichischen Justizanstalten unbesetzt sind. (APA, red, 11.8.2023)