Gertraud Klemm
Gertraud Klemm: Vielleicht kriegt Midge eine letzte Chance?
Heribert Corn

Im Film Barbie hat Midge, die schwangere Barbie, einen kurzen Auftritt, in dem ihre schiere Existenz dem Konzernchef peinlich ist. Die Szene spielt auf einen Skandal an. 2003 kam Midge schwanger auf den Markt und machte gleich Stress; nicht nur weil sie keinen Ehering trug, sondern auch weil sie eine Inspiration für Teenagerschwangerschaften sein könnte. Schnell flog sie aus den Regalen – und mit ihr auch die Mutterrolle.

Barbie kann alles andere besser als Mama sein. Präsidentin, Mechanikerin, Astronautin – wer braucht da Geschlechtsorgane oder Brustwarzen? Sollte es, wie bei Midge, zu einem Baby kommen, entbindet sich das praktisch selbst per aufklappbaren Bauch. Weiblichkeit ist Identität, und Barbie kriegt das in jeder Rolle hin. Sie hat sich vom altfeministischen Albtraum zur popfeministischen Filmikone gewandelt, die ganz ohne biologisches Gedöns das Patriarchat aufmischt. Die Frage, ob sie eine Frau ist, wird genauso wenig gestellt wie die, warum es im ganzen Barbie-Land kein einziges Kind gibt. Denn was eine Frau können muss und darf, unterliegt seit ein paar Jahren ganz neuen Gesetzmäßigkeiten.

So kann etwa in einem Artikel über Menopause im STANDARD anstatt von "Frauen im Wechsel" (die in der Regel nicht mehr gebärfähig sind) von "gebärfähigen Personen" die Rede sein – während ein paar Zeilen weiter Ärzte und Gynäkologen völlig ungegendert Hormone verschreiben. Inklusive Sprache, kausale Frontalkollisionen, unbehelligte Männer, und das Ganze eingeklemmt zwischen "Normalitäts"-Diskussion und Genderverbot. Kann es für Frauenpolitik noch schlimmer kommen?

Uterus-Havers statt Frauen

"Frau" umschiffende Begriffe wie "Uterus-Havers" (Planned Parenthood), "Bodies with Vaginas" (The Lancet), "Bonus Hole" (Jo’s Cervical Cancer Trust), "Birthing Parent" (Bank of England) und "Chestfeeding" (NHS) haben sich in der anglikanischen Amtssprache schon selbstverständlich durchgesetzt. Eine Art Höhepunkt markierte das LGBTQ-Glossar der renommierten Johns-Hopkins-Universität, in dem Lesbischsein definiert wurde als "a non-man attracted to non-men" (ein Nicht-Mann, der sich zu einem Nicht-Mann hingezogen fühlt), wohingegen Schwulsein so definiert wird: "a man attracted to other men" (ein Mann, der sich zu einem Mann hingezogen fühlt). Auch im Deutschen wird folgsam ausgewichen – auf Flinta* zum Beispiel. Sich als links Einstufende reden von "Menschen, die menstruieren", von "gebärfähigen Personen" – nicht immer sinnstiftend, aber stets im besten Glauben, der Inklusion zu dienen. Dass dieses mit der Exklusion des Begriffs "Frauen" einhergeht, scheint nur die Konservativen zu stören.

Frauen selbst schweigen laut. Ihr kommt ja eh noch vor, tröstet man sie. Wir sind doch alle* eine Familie*! Wir wollen doch weltoffen und tolerant sein! Und frauen*solidarisch! Wer nicht dazugehören will, wird sehr patriarchal beschimpft und bedroht – siehe J. K. Rowling.

Menschen mit langer Harnröhre, Hodenträger oder Samenproduzenten können sich hingegen als Männer titulieren, ohne einen Diskurs zu entfachen – denn der klebt bombenfest am Feminismus. Darauf kann sich das Patriarchat verlassen!

Die Midge-Barbie ist Barbies Freundin und schwanger.
Mattel Inc.

Uteri und Bonus Holes

Seit Jahrzehnten reden sich linke Linguistinnen wie Luise Pusch den Mund fusselig, dass das generische Maskulinum Frauen nicht erwähnt und sie damit unsichtbar macht. Nichtsdestotrotz ist es feministisch legitim, Frauen in Form ihrer Geschlechtsorgane anzusprechen. Was macht das mit uns, wenn die Kategorie, mit der wir körperlich, gesellschaftlich, medizinisch, sportlich, religiös und wirtschaftlich sozialisiert wurden, einfach in Organe umbenannt wird? In meinem Kopf sehe ich Uteri und Bonus Holes beim Gebären und Menstruieren und beim Penetriertwerden. Ich sehe Organe Flüssigkeiten abscheiden, aufnehmen und Embryonen in ihnen wachsen. Ich sehe keine Personen an Redepulten oder in Vorstandsetagen. Ich sehe nicht mal Mamas, die ihre Kinder betreuen.

Menschen mit zwei X-Chromosomen haben innere und äußere, primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale, und wenn wer Kinder kriegt, dann im Regelfall sie. Egal ob mit oder ohne Kinder, haben sie gute Chancen, am Arbeitsmarkt, im Alltag und im Gesundheitsbereich diskriminiert zu werden. Sie werden sexuell belästigt, sie menstruieren, haben die Kleinen, die Alten und die Verhütung am Hals und sind wirtschaftlich, kulturell und religiös Menschen zweiter Klasse. Und das schon seit ein paar tausend Jahren, weltweit. Menschen, die all das aushalten müssen, nennen wir Frauen. Dieser Begriff ist klar. Im Gegensatz zur neuen Nomenklatur. Ist eine Frau nach einer Hysterektomie noch eine Frau? Ist die Menopause das Ende des Frauseins? Gehe ich als nicht gebärfähige (Adoptiv-)Mutter als Frau durch? Kann ich weiblich gelesen und männlich bezahlt werden? Gehört eine "frauisierte Person" mit einem "Lady-Dick" in ein Männer- oder ein Frauengefängnis? Was passiert, wenn Sport, Hormone, Medizin ins Spiel kommen?

Straßenschild
Wer hat die Definitionshoheit? Flinta* steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nonbinäre, Trans- und Agenderpersonen.
Rolf Vennenbernd / dpa / picture

Mitleid mit Schwimmerinnen

Während über all das nicht geredet werden darf, reibt man sich anderswo die Hände. Denn berechtigte Ängste von Frauen einfach nicht ernst zu nehmen, das hat sich bewährt – für die Rechtskonservativen allemal! 80 Prozent der Frauen bezeichnen sich in den deutschsprachigen Staaten nicht einmal als Feministinnen. Wie werden die wohl reagieren, wenn sie von der linken Politik nicht als Mütter und Frauen angesprochen werden, sondern als "Elter" und "Menschen mit Uterus"?

Dich verunsichern genderneutrale Toiletten? Terf! Du findest transitionierte Vergewaltiger in Frauengefängnissen gruselig? Nazi! Du hast Mitleid mit den Schwimmerinnen, die dank mitschwimmender Transfrauen um hunderte Plätze nach hinten katapultiert werden? Trans-Genozid-Befürworterin! Du bist Lesbe, und dich törnt der Lady-Dick ab? Transexclusive Bigott! (sic) Du hast ein Buch über Geburt geschrieben, möchtest es an Mütter und Frauen adressieren und nicht an "gebärende Personen"? Radikalfeministisches Fossil! Du bist ein Mann, findest das alles schräg und freust dich heimlich, dass der Feminismus implodiert? Gratuliere, und: Welcome to the Show!

Vor dem Rammstein-Konzert in Wien demonstrierten engagierte Frauen. Wir glauben diesen Personen, die von Bandmitgliedern missbraucht worden sind, sagt eine. Von welchen Personen spricht sie? Können das alte Männer gewesen sein? Oder nichtbinäre Transfrauen? Oder sind jetzt diese sehr, sehr jungen Frauen, die da perfiderweise gezielt handverlesen wurden, um sie dem alternden Popstar zuzuführen, hinter dem Begriff "Person" verschwunden?

Abwertung verhindern

Wenn wir die Geschlechtergrenze aufheben, fehlt uns die soziokulturelle Kategorie, die wir brauchen, um Kritik korrekt zu formulieren – um die Geschichte der Abwertung von Frauen zu benennen, zu verstehen und ihre Perpetuierung zu verhindern. Nicht nur das grenzt Frauen von Transfrauen ab. Die Geschichte der Frauen war und ist damit verbunden, dass ihnen Kinder bleiben. Und was, wenn Kinderkriegen und -aufziehen nicht nur als Leid- und Opferkategorie begriffen wird, sondern als Macht und Leidenschaft? Denn das Vermögen, Leben schenken zu können und es bedingungslos zu lieben, ist ebenfalls eine Identität, die mehr als einen Opferbegriff hergibt. Frausein ist ein Begriff, der mit der Würde der Mutterschaft und allem, was dazugehört, verbunden ist. Natürlich wurde der mütterlichen Würde übel mitgespielt, von Patriarchat, Kapitalismus und und dem Mutterkult der Nazis. Aber macht sie das unsäglich?

Die Opferidentität ist der kleinste gemeinsamen Nenner, unter dem der intersektionale Feminismus alle, die unter dem Patriarchat leiden, zusammenfasst: die Sexarbeiter*innen, die Women of Colour, die Zwangsprostituierten, die stolzen Musliminnen und die Zwangsverschleierten, die Transfrauen, die Neurodiversen, die Nichtbinären und die Agenders – alle (und noch viele mehr) leiden unter dem Patriarchat; das ist unbestritten. Der Wunsch nach Solidarität hat aber auch eine Rückseite: Wir sind jetzt eine Opfermasse aus Non-Men.

Alge bis Blauwal

Seit es die geschlechtliche Fortpflanzung gibt, sind Lebewesen von der Alge bis zum Blauwal mit männlichen und weiblichen Keimzellen ausgestattet, mit dem Ziel, genetische Rekombination und Arterhaltung zu ermöglichen. Mit welcher Rechtfertigung wird die Spezies Mensch aus der Evolution herausgelöst, indem die zentrale Schaltstelle unserer Arterhaltung, das Geschlecht, für ungültig erklärt wird? Seit wann wird der ontogenetische (individuelle) Standard über die phylogenetische (stammesgeschichtliche) Realität gesetzt?

Ich halte es für zynisch, die Existenz von Geschlecht zu hinterfragen, während zeitgleich Abermillionen von Frauen wegen ihres Geschlechts weltweit genitalverstümmelt, zwangsverschleiert, entrechtet, pränatal abgetrieben und unterbezahlt werden. Insbesondere in Zeiten, wo man von rechts gerade wieder ziemlich ungeniert an Frauenrechten sägt. Genderverbote machen Schule, Abtreibungserschwernisse werden schamlos angedacht, Religionen sind im Vormarsch. Dass aber sprachliche Einschränkungen von links kommen, ist neu. Wenn die linguistischen Strömungen in diesem Tempo weitergehen – wie schmal wird der Grat, auf dem wir dann über den nicht kleiner werdenden frauenpolitischen Problemberg sprechen und schreiben können?

Es geht um mehr als darum, wer auf welches Klo geht. Es geht um die Inklusion und Verbesserung von Lebensrealitäten von Inter- und Transpersonen, die legitime Forderungen sind. Es geht aber auch um Definitionshoheiten. Warum kann ein Individuum nicht Transfrau sein, ohne dass der Rest der Frauen zum privilegierten Cis-Frauen-Kollektiv wird? Warum werden völlig unterschiedliche Kategorien und Lebensrealitäten in einen Topf geworfen? Warum werden keine eigenen Ressourcen (Quoten, Gefängniszellen, Fördergelder, Sportwettbewerbe, Klos) für Transpersonen angedacht? Warum sind es immer Frauen, die gerne teilen müssen? Wie beim Straßenverkehr sollen sich immer mehr, immer verschiedenere TeilnehmerInnen den immergleichen Streifen teilen, während der Autoverkehr in Relation unangetastet bleibt. Was ist mit den Ressourcen der Non-Women?

Wir müssen über die Öffnung von Schutzräumen nachdenken dürfen, ohne uns einschüchtern zu lassen. Wir dürfen uns den Diskurs von despotischen Influencerinnen nicht auf ein paar wenige elitenfeministische Glaubensbekenntnisse herunterbrechen lassen, die nachzubeten wir angehalten werden. Und schon gar nicht sollen wir die Debatte besserwisserischen Männern überlassen, die ahnungslos, aber lustvoll die Suppe salzen, die sie niemals persönlich auslöffeln müssen. Frauen müssen skeptisch sein dürfen, wenn Veränderungen anstehen, die ihre Lebensrealität und ihre Definitionsmacht über sich selbst betreffen. Die Skepsis hat eine lange Geschichte und eine tiefe Berechtigung.

Gertraud Klemm
Warum kann ein Individuum nicht Transfrau sein, ohne dass der Rest der Frauen zum privilegierten Cis-Frauen-Kollektiv wird?"
Heribert Corn

Mit der Geduld am Ende

Ich kann Frauen verstehen, die sich von einem Feminismus abwenden, der weibliche Kernbereiche vernachlässigt. Ich kann junge Feministinnen verstehen, die mit ihrer Geduld am Ende sind und nichtbinär leben wollen. Ich kann verstehen, wie es zu diesem innerfeministischen Kannibalismus gekommen ist. Aber ich kann nicht verstehen, wie ein Feminismus funktionieren soll, der nicht nur seine Geschichte, sondern auch seine Definitionshoheit über sich selbst abgibt. Solange wir Patriarchat, Kapitalismus und den Begriff Mann haben, brauchen wir die Schutzmarke Frau.

Zurück zur ladenhütenden Midge. Dass es sogar bald Göttinnen aus verschiedensten Konfessionen in die rosa Barbie-Box schaffen, bevor bei Barbie auch nur eine Vulva angedacht wird, während gleichzeitig von Uterus-Havers und menstruierenden Personen die Rede ist, ist ein übles Omen. Fahren wir das bisschen Feminismus, das noch übrig ist, gerade gegen die Wand? Wenn wir es nicht schaffen, unsere Biologie und unsere Identitäten in einen sprachlichen, gesellschaftlichen und juristischen Diskurs zu stellen, der den Namen verdient und für alle Beteiligten friedlich, respektvoll und würdig ist, sind wir in Hinblick auf unsere Arterhaltung die traurigste Spezies auf der Welt.

Vielleicht kriegt Midge eine letzte Chance und probiert es noch mal mit Vulva und einer realistischen Frauenrolle? Zu wünschen wäre es ihr und uns im 21. Jahrhundert allemal. (Gertraud Klemm, 11.8.2023)