Ein Kaktus in Penisform
Über Geschlechtskrankheiten redet man lieber nicht –doch sie sind weltweit auf dem Vormarsch, auch in Österreich. Man bemerkt sie oft nur deshalb, weil sie schmerzhafte Entzündungen auslösen.
Getty Images/iStockphoto

Geschlechtskrankheiten, das kommt doch heute nicht mehr vor. Syphilis, das gibt es doch quasi nicht mehr, und HIV ist mittlerweile auch ein Thema des vergangenen Jahrtausends. So oder so ähnlich ist die gesellschaftliche Wahrnehmung von sexuell übertragbaren Infektionen (STIs). Und tatsächlich hat man viele davon mittlerweile im Griff, kann sie mit Antibiotika heilen oder, wie bei HIV, mit antiretroviralen Medikamenten so unterdrücken, dass sie im Blut nicht mehr nachgewiesen werden können. Das hat die Aufmerksamkeit gegenüber diesem Thema stark abfallen lassen.

Und auch die Vorsichtsmaßnahmen. Auf Kondome wird beim Geschlechtsverkehr oft verzichtet, das führt dazu, dass sexuell übertragbare Krankheiten bereits seit Jahren wieder auf dem Vormarsch sind. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht regelmäßig Warnungen aus. Das Problem macht auch vor Österreichs Grenzen nicht halt. Rund 30.000 Menschen infizieren sich jedes Jahr mit Chlamydien – ja, auch das ist eine sexuell übertragbare Infektion, die schwere Entzündungen bis hin zur Unfruchtbarkeit auslösen kann. Besonders häufig trifft es Jugendliche, nämlich bis zu zehn Prozent aller sexuell aktiven jedes Jahr. Täglich infizieren sich außerdem ein bis zwei Menschen hierzulande neu mit HIV.

Dabei kommt eine Geschlechtskrankheit selten überraschend, sagt der Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten Michael Marker, die meisten wissen, wo sie sich angesteckt haben. Er erklärt, wie man sich selbst und andere schützen kann und warum im September die Menschen durchaus um vier in der Früh in der Spitalsambulanz auftauchen.

STANDARD: Syphilis oder Tripper assoziieren viele mit dem 19. Jahrhundert. Wie gegenwärtig sind diese Krankheiten?

Marker: Tatsächlich hat die Syphilis eine lange Geschichte, die erste große Epidemie gab es um 1492. Syphilis und Tripper, die medizinische Bezeichnung lautet Gonorrhoe, waren zudem immer Gegenstand der Forschung. Nicht umsonst ist die Dermatologie aus der Syphilologie heraus entstanden. Die Übertragungswege sind bereits lange bekannt. Man hat die Krankheiten aber immer in ein Eck gedrängt, nach dem Motto "Das kriegen nur Prostituierte". Das aktuell mangelnde Bewusstsein bei den Übertragungswegen der Syphilis und des Trippers geht aber auch mit den jahrzehntelang sinkenden Infektionszahlen einher. Dazu kommt, dass die Krankheit immer die anderen haben. Sie ist definitiv schambehaftet. Seit 2009/2010 steigen die Infektionszahlen, gerade bei der Syphilis, aber signifikant an.

STANDARD: Warum ist das so?

Marker: Das hat wohl einerseits mit der zunehmenden Mobilität der Menschen zu tun und andererseits mit dem Umstand, dass das Gros der Neuinfektionen von Männern, die Sex mit Männern haben, (MSM) getragen wird. Diese Gruppe ist stark sensibilisiert, was die Übertragungswege von HIV anbelangt. Deshalb stagnieren beziehungsweise sinken die HIV-Infektionszahlen in Österreich seit langem. Aktuell gibt es 300 bis 400 Neuinfektionen im Jahr. Das ist eine positive Entwicklung. Andererseits verleitet die "Prä-Expositions-Prophylaxe", kurz PrEP genannt, viele dazu, auf Kondome zu verzichten. Bei der PrEP verhindern antiretrovirale Medikamente die Infektion. 85 Prozent der HIV-Infizierten sind in Therapie und somit nicht infektiös. Gleichzeitig schützt die PrEP natürlich nicht vor allen anderen Infektionskrankheiten, insbesondere Syphilis und Tripper.

STANDARD: Kondome sind also nach wie vor das Mittel der Wahl?

Marker: Syphilis wie auch Tripper und andere STIs werden durch Schmierinfektionen übertragen. Das bedeutet, das Kondom allein bietet hier keinen sicheren Schutz, zumal ja auch orale, vaginale und anale Übertragungswege bekannt sind. Auch der sogenannte "Lusttropfen", das Präejakulat, ist zum Beispiel bei einem Syphilis-Patienten infektiös. Kommt der etwa mit der Mundschleimhaut in Berührung, also beim Oralsex, kann eine Übertragung stattfinden. Dasselbe gilt für die Vaginalflüssigkeit. Auch Infektionen wie HPV, Hepatitis B und C, Herpes genitalis und Chlamydien sind so übertragbar. Und natürlich der Tripper. Am häufigsten werden Krankheiten aber bei ungeschütztem Verkehr übertragen. Also ja, Kondome sind immer noch das Mittel der Wahl. Es kommt aber darauf an, wann und wie man sie verwendet und bei welchen Sexpraktiken.

STANDARD: Welche Praktiken sind besonders gefährlich?

Marker: Beim rezeptiven Analsex kommt es häufig zu Mikrotraumen, daher ist hier die Infektionswahrscheinlichkeit bei HIV besonders hoch. Generell lässt sich nicht so einfach sagen, auf welchem Weg welche Geschlechtskrankheit am häufigsten übertragen wird, da die meisten Statistiken und Studien nur die Infektion an sich auflisten, nicht aber die Eintrittspforte. Man weiß also nicht, ob die Symptome zuerst im Mund, im Analbereich oder am Penis beziehungsweise in der Vagina zuerst aufgetreten sind. Diagnostiziert man zum Beispiel den Tripper im Oralbereich, kann man davon ausgehen, dass die Erkrankung wahrscheinlich beim Oralsex übertragen wurde.

STANDARD: Wen betreffen Tripper-Infektionen am ehesten, und wie sieht der Verlauf aus?

Marker: Junge Leute, Menschen unter 25 Jahren, infizieren sich am häufigsten. Die meisten männlichen Patienten kommen mit Brennen in oder Ausfluss aus der Harnröhre zu uns. Aber es kommt, wie schon gesagt, auf den Eindringungsort des Bakteriums an.

Während die Syphilis systemisch wird, sich also auf den ganzen Körper ausbreitet, bleibt der Tripper zunächst lokal. Das heißt aber nicht, dass er ungefährlich ist. Das Bakterium Neisseria gonorrhoeae kann auch eine tödliche Sepsis auslösen, wenn man die Infektion nicht medikamentös bekämpft. Daher ist es so besorgniserregend, wenn die WHO darauf hinweist, dass gerade in Asien Resistenzen gegen die bisher gut wirkende Antibiotika-Kombination verbreitet auftreten. Der Tripper-Erreger könnte zum weltweiten Problemkeim werden, eben weil er so weit verbreitet ist. Wir befürchten, dass diese Antibiotika-Therapien bald nicht mehr wirken.

STANDARD: Können wir bei manchen Geschlechtskrankheiten schon von Volkskrankheiten sprechen?

Marker: Ja, Genitalherpes ist sehr weit verbreitet und auch Chlamydien, wobei insbesondere bei Chlamydien zwei Drittel aller Infektionen asymptomatisch verlaufen. Viele Menschen unterschätzen das Risiko der Krankheit. Rund 300.000 Frauen stecken sich jedes Jahr allein in Deutschland mit Chlamydien an. Auf Österreichs Bevölkerungszahl heruntergerechnet, kommen wir auf rund 30.000. Man rechnet damit, dass allein in Deutschland etwa 100.000 Frauen wegen unerkannter und unbehandelter Chlamydien-Infektionen dauerhaft unfruchtbar sind. Das ist ja nicht nichts. Dahinter steckt oft eine folgenschwere Leidensgeschichte.

STANDARD: Gibt es eigentlich eine Hochsaison für sexuell übertragbare Krankheiten?

Marker: Im September, also nach dem Sommerurlaub, gibt es mehr Tripper-Fälle als sonst. Wobei sich durch die verschobenen Reisezeiten mittlerweile übers ganze Jahr hinweg Patienten einfinden, die sich im Urlaub infiziert haben. Die kommen dann oft am Wochenende um vier Uhr früh in die Ambulanzen der Krankenhäuser, weil da die Panik ausbricht.

STANDARD: Sind Geschlechtskrankheiten heute immer noch so tabuisiert wie früher?

Marker: Ich glaube, dass sich da nicht so viel geändert hat. Ich merke bei männlichen Patienten, dass sie häufig lange brauchen, bis sie mit der Sprache herausrücken. Es fehlt an Ansprechpartnern. Die Patientinnen und Patienten wissen in der Regel, wo sie sich angesteckt haben, und fühlen sich deshalb schuldig. Damit ist aber niemandem geholfen. Wenn es mir schlecht geht, brauche ich medizinische Hilfe. So einfach ist das. Schuldgefühle sind da fehl am Platz und verzögern nur den notwendigen Gang zum Arzt. Mehr Möglichkeiten zur anonymen Testung würden übrigens helfen. Das senkt die Hemmschwellen. (Susanne Falk, 13.8.2023)