Aufprall eines Trucks auf einen Ford Bronco in einem Fake-Video
Ein simulierter Aufprall aus dem Spiel "BeamNG.drive"
Tiktok, Old Tender Man

Ein Doppeldecker-Bus kracht mit einem Tempo von 80 Kilometern pro Stunde gegen eine Straßenlaterne. Die Körper der Crashtest-Dummies werden auf die Fahrbahn geschleudert, als sich die Karosserie des Fahrzeuges durch die Wucht des Aufpralles verformt und der Laternenpfahl den Bus beinahe entzwei schneidet. Solche und ähnliche Videos gehen auf Videoplattformen wie Tiktok und Youtube gerade viral. Zum Glück sind die Szenen nicht echt, sie werden mit einer Software simuliert und finden damit ein Millionenpublikum. Doch mit der Realität hat die ausgefeilte Physiksimulation wenig zu tun – und als Kaufentscheidung für ein sicheres Auto taugt sie schon gar nicht.

Spiele wie das aktuell immens populäre "BeamNG.drive" versprechen nicht nur realistisches Fahrverhalten, sondern dank der so genannten Soft-Body-Physik auch akkurate Ergebnisse im Fall eines Crashs. Userinnen und User können das Fahrverhalten von Fahrzeugen testen, indem sie etwa riesige Schlaglöcher auf der Fahrbahn platzieren, Ziegelwände aufstellen oder einen Aufprall gegen einen 40 Tonnen schweren Sattelschlepper simulieren. Jeder PC wird so zum Crashtest-Simulator, mit einer mitunter beängstigenden Detailgenauigkeit. 14,2 Milliarden Mal wurden Videos aus dem Simulator auf Tiktok angesehen.

Shitstorm gegen echte Autobauer

Aber: Die Physiksimulation bringt wenig seriöse Resultate, weil die in dem Early-Access-Game nachgebildeten Fahrzeuge oft wenig mit ihren realen Konterparts zu tun haben.

Bei den simulierten Crashtests werden häufig große Fahrzeuge wie Lastkraftwagen auf kleinere Gefährte wie Limousinen losgelassen. In den vermeintlichen Tests wird die Geschwindigkeit schrittweise erhöht, um zu vergleichen, wie unterschiedliche Kräfte die Autos verformen. Wer im Physik-Unterricht aufgepasst hat, weiß: Mit jeder Verdoppelung der Geschwindigkeit eines Fahrzeugs vervierfacht sich die Aufprallkraft - das sorgt für immer spektakulärere Videos. Auch wenn es unterhaltsam sein mag, durch die Videos zu scrollen, halten einige Menschen die Videos von "BeamNG.drive" für eine korrekte Abbildung der Realität.

So kam es jüngst in einem Forum des US-Autoherstellers Ford zu einer heftigen Diskussion über die vermeintlichen Sicherheitsmängel des neuen Bronco. Ein simulierter Crashtest des Geländefahrzeuges hatte auf Tiktok die Runde gemacht. Darin ist zu sehen, wie unterschiedliche Fahrzeuge vor einer Mauer geparkt sind, ein Lastwagen prallt von hinten mit einer simulierten Geschwindigkeit von etwa 50 km/h auf. Der Ford Bronco schneidet dabei am schlechtesten ab und wird regelrecht zusammengefaltet. Das führte zu heftigen Debatten über die angeblichen Sicherheitsmängel des echten Geländewagens. Einige Forennutzer gingen sogar so weit zu sagen, dass sie nun sicher keine Fahrzeuge von Ford mehr kaufen würden. Das Urteil: Der Bronco sei "gruselig".

Jeder kann Fahrzeuge erstellen

Doch in "BeamNG.drive" kann im Grunde jeder Fahrzeuge erstellen. Dieser Prozess ist sehr detailliert und komplex und der Hersteller veröffentlicht eigene Anleitungen, wie man etwa Knautschzonen, Materialdichte und Versteifungen korrekt simuliert. Das heißt auch, dass die Erstellerinnen und Ersteller auf die genauen Daten, Messungen und Referenzmodelle der Autobauer angewiesen sind. Im Fall des neuen Ford Bronco gibt es diese noch gar nicht. Der Crashtest wurde also simuliert, ohne die spezifischen Details eines Fahrzeuges zu kennen, wie "The Drive" berichtet.

Die Simulationen mögen spektakulär und auf eine gewisse Weise unterhaltsam sein, realistisch oder eine Grundlage für eine reale Kaufentscheidung sind sie aber nicht. Dem Erfolg des Crashtest-Simulators tut das keinen Abbruch: 97 Prozent der 175.000 Rezensionen sind positiv. (pez, 15.8.2023)