Ein Laib Brot aus Sauerteig
Brot aus Sauerteig hat viele echte und möglicherweise auch eingebildete Vorteile gegenüber konventionell produziertem Brot. Während der Pandemie spendete der liebevolle Prozess des Sauerteigmanagements vielen Menschen Trost.
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Beim Autor dieser Zeilen stellt sich der Umgang mit Sauerteig so dar: Der schlafende Teig wird am Abend aus dem Kühlschrank geholt und zu gleichen Teilen mit Wasser und Roggenmehl gefüttert. Am folgenden Morgen wird anhand der Blasenbildung ausreichende Aktivität sichergestellt, bevor das Anrühren des eigentlichen Brotteigs beginnt, der dann, einige Zwischenschritte später, gegen Abend bereit zum Backen ist. Der im Kühlschrank verwahrte "Ansatz" entstand vor Jahren durch Mischen von Roggenmehl und Wasser, die allein durch Ruhen sauer wurden. Den ganzen Prozess, den es natürlich in verschiedensten regional abweichenden Varianten gibt, begleitet eine wohltuende Schlampigkeit, denn Sauerteigmanagement ist keine exakte Wissenschaft, sondern Gefühlssache. Abweichungen vom Plan sind erlaubt, das Brot gelingt trotzdem.

Doch nun haben Forschende von der Technischen Universität (TU) München sich dem Backphänomen mit wissenschaftlichen Mitteln angenähert und 21 chemische Bestandteile identifiziert, die für den unverwechselbaren Charakter von Sauerteigbrot besonders wichtig sind. Diese Erkenntnisse präsentierte das Team bei der jährlichen Herbsttagung der American Chemical Society (ACS), die diese Woche in San Francisco stattfand.

Nachbildung von Geschmack

Konkret ging es dem Team um Geschmack und Geruch von Sauerteigbrot. Normalerweise sind dafür natürlich vorkommende Hefen und Bakterien verantwortlich, die den Teig besiedeln dürfen und ihn zum Dank am Verderben hindern. Dieser Vorgang, der seit dem alten Ägypten bekannt ist, sorgt automatisch für eine wohltuende Säure. Deren Geheimnis wollte das Forschungsteam entschlüsseln. Der technische Rahmen dafür nennt sich Sensomics. Dabei kommen sensible Messmethoden wie Chromatografie und Massenspektrometrie zum Einsatz. Diese Technik hatte das Labor von Thomas Hofmann an der TU München bereits bei anderen Lebensmitteln wie Pilzen oder Haselnüssen eingesetzt, um die für den Geschmack verantwortlichen chemischen Verbindungen zu isolieren und ihren Anteil daran genau zu vermessen. So war es bei anderen Lebensmitteln gelungen, den Geschmack zur reproduzieren. "Mit Sensomics kann man den charakteristischen Geschmack eines Lebensmittels mit nur wenigen Schlüsselverbindungen vollständig nachbilden", sagt Laura Eckrich vom Forschungsteam. Dabei ist neben Geschmack auch der Geruch wichtig.

Ein Video der amerikanischen Gesellschaft für Chemie erklärt hier, worauf es beim Sauerteig ankommt.
American Chemical Society Meeting Newsroom

Das Augenmerk der Forschenden galt der Brotkrume. Das Team produzierte ein synthetisches Sauerteig-Imitat aus den bekannten Bestandteilen und ließ nach und nach verschiedene Substanzen weg. Testpersonen mussten beurteilen, ob der Geschmack realistisch war. Auf diese Weise reduzierte man die Zahl der Zutaten auf 21, die sich als essenziell erwiesen. Die wichtigste identifizierte Komponente ist wenig überraschend Salz. Doch auch Essigsäure und Milchsäure spielten entscheidende Rollen. Zehn Geschmacks- und elf Geruchskomponenten konnten letztlich identifiziert werden, die allerdings nicht im Detail bekanntgegeben wurden. Hier bleibt die Veröffentlichung einer dazugehörigen Studie abzuwarten.

Reproduzierbare Qualität

"Dies war das erste Mal, dass die wichtigsten Geschmacks- und Aromastoffe der Brotkrume mithilfe des Sensomics-Ansatzes aufgeklärt wurden, und wir hoffen, dass das, was wir gelernt haben, den Bäckern helfen wird, die bestmöglichen Sauerteigbrote herzustellen", sagt Eckrich. Möglich sei dank dieses Wissens eine Reduktion des Salzanteils oder die Gewährleistung eines immer gleichbleibenden Geschmacks – ein in der Lebensmittelindustrie traditionell wichtiger Faktor. Im privaten Bereich darf Brot zum Glück jedes Mal ein klein wenig anders schmecken. (Reinhard Kleindl, 19.8.2023)