Frau tastet ihr schmerzendes Handgelenk ab
Frauen sind etwa doppelt so oft von Rheumaerkrankungen betroffen wie Männer. Trotzdem wird bei ihnen die Diagnose meist später gestellt. Die Gründe dafür sind nicht ganz klar.
Getty Images/iStockphoto

Frauen sind im Allgemeinen gesundheitsbewusster und gehen öfter zum Arzt. Und trotzdem müssen sie auf Krankheitsdiagnosen oft lange warten. Etwa bei Rheuma. Obwohl deutlich mehr Frauen an der chronisch entzündlichen Krankheit leiden, doppelt so viele wie Männer nämlich, dauert es deutlich länger, bis sie die richtige Diagnose bekommen, berichtet die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh).

Das zeigt eine Überblicksarbeit von Katinka Albrecht vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum in Berlin über die Geschlechterunterschiede in Diagnostik und Therapie verschiedener Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises. Das ist umso brisanter, als man davon ausgehen kann, dass rund ein Viertel der Menschen in irgendeiner Erscheinungsform von Rheuma betroffen ist.

Wesentlich häufiger sind das Frauen: "Bei der Mehrzahl der rheumatischen Erkrankungen ist der Anteil an betroffenen Frauen größer als der der Männer. Vor allem bei Kollagenosen, also Weichteilerkrankungen, und rheumatoider Arthritis wie etwa Gelenksrheuma", schreibt die Fachgesellschaft der deutschen Rheumatologen. Nur wenige entzündlich-rheumatische Erkrankungen wie etwa Morbus Behcet, eine rheumatische Gefäßentzündung, betreffen häufiger Männer.

Geschlechtsspezifische Hürden

Doch die Medizin reagiert auf diese Tatsache offenbar nicht ausreichend. "Angesichts dieser Zahlen ist es umso verwunderlicher, dass Frauen im Durchschnitt deutlich später eine Diagnose erhalten", sagt Uta Kiltz, Oberärztin am Rheumazentrum Ruhrgebiet. Nur eine Erklärung erscheint sinnvoll: Der Krankheitsverlauf ist bei Männern oft schwerer. Deshalb zeigen sich Schäden an Organen früher und geben eher Hinweise auf eine rheumatische Erkrankung. Auch Rheuma-Laborparameter sind bei Männern oft früher feststellbar. "Frauen zeigen ein vielfältigeres Bild an Symptomen, das kann eine eindeutige Diagnose zusätzlich erschweren", erläutert Kiltz. Das habe unter anderem hormonelle, immunologische und (epi)genetische Gründe.

Und es gebe offenbar auch "typische" geschlechtsspezifische Hürden in der medizinischen Versorgung. "Eine kanadische Analyse zeigt, dass männliche Hausärzte, unabhängig vom Geschlecht der Erkrankten, später eine rheumatologische Überweisung veranlassten als ihre Kolleginnen. Es könne also einen Unterschied machen, ob man einen behandelnden Arzt oder eine behandelnde Ärztin hat", schreibt die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie.

Es könnte weiters sein, dass Medikamente geschlechtsspezifisch unterschiedlich wirken, allerdings ist das umstritten. Erwiesen ist, dass immunsuppressive Therapien bei Frauen weniger dauerhaft wirken und sie im Vergleich zu Männern deutlich seltener das Therapieziel einer niedrigen Krankheitsaktivität erreichen. Eine Ursache dafür könnte sein, dass Frauen in der Selbstauskunft die Krankheitsaktivität höher als Männer einschätzen.

Außerdem können rheumatische Erkrankungen soziale und psychologische Folgen haben, die sich bei Männern und Frauen unterschiedlich auswirken. Dies hängt auch mit Unterschieden in den gesellschaftlichen Erwartungen und Rollenbildern zusammen. "Die Ergebnisse zeigen, dass die Rheumatologie hier Nachholbedarf hat. Wir müssen die geschlechtsspezifischen Krankheitsausprägungen besser verstehen und diese Erkenntnisse in die Diagnostik und Therapie einfließen lassen", betont der Leipziger Rheumaspezialist Christoph Baerwald.

Keine Angst vor Kortison

Ein Kernstück der Behandlung von entzündlichen rheumatischen Erkrankungen ist übrigens Kortison, vor allem für Betroffene mit chronischer Polyarthritis. Gleichzeitig ist das Medikament aber sehr umstritten. Das liegt unter anderem daran, dass es oft viel zu lange eingenommen wird. Mit einer niedrigen Dosierung dürften die Nebenwirkungen aber gering bleiben, wie eine soeben erschienene Studie der Berliner Universitätsklinik Charité zeigt.

"Bei rheumatoider Arthritis ist Kortison sehr wirksam, medizinische Leitlinien raten aber von einer längerfristigen Einnahme ab. Grund sind eine Reihe von Nebenwirkungen, die allerdings vor allem bei den früher üblichen hohen Dosierungen beobachtet wurden", teilte die Charité mit. Wenig aussagekräftige Daten gebe es dagegen zur Verabreichung von kleinen Mengen Kortison über einen längeren Zeitraum.

In den Leitlinien der Europäischen Rheumaliga (EULAR) wird ganz klar empfohlen, Kortison bei chronischer Polyarthritis nicht länger als drei bis sechs Monate einzunehmen. "Weil Kortison-Präparate so gut gegen die rheumatoide Arthritis helfen, nehmen aber 30 bis 50 Prozent der Betroffenen sie auch zwei Jahre nach der Diagnose noch", berichtet Andriko Palmowski, Erstautor der neuen Analyse.

In der Vergangenheit hatten einige Beobachtungsstudien beispielsweise darauf hingedeutet, dass eine langfristige Einnahme auch von geringen Mengen Kortison bei rheumatoider Arthritis den Blutdruck ansteigen lässt und zu einer Gewichtszunahme führt. Das Charité-Forschungsteam holte deshalb von fünf bereits abgeschlossenen Studien die Messwerte zu Blutdruck und Körpergewicht ein und analysierte diese gemeinsam. So kamen Daten von insgesamt mehr als 1.100 Menschen mit rheumatoider Arthritis aus zwölf europäischen Ländern zusammen, die über zwei Jahre hinweg niedrig dosierte Kortison-Präparate oder ein Scheinpräparat beziehungsweise Kontrollmedikamente erhalten hatten. Alle Patienten hatten zusätzlich noch andere Medikamente zur Rheuma-Kontrolle erhalten.

Blutdruck und Gewicht stabil

Das Ergebnis der Analyse könnte Betroffene etwas beruhigen: Unter der Kortison-Therapie veränderte sich der Blutdruck nicht signifikant, die Betroffenen nahmen im Durchschnitt nur 1,1 Kilogramm mehr zu als die Probanden aus der Kontrollgruppe. Ähnliches galt auch für Risikopatienten, die zu Studienbeginn bereits übergewichtig waren oder einen hohen Blutdruck hatten.

"Die Ergebnisse unserer Studie machen die Leitlinien aber keinesfalls obsolet. Glukokortikoide können auch andere schwerwiegende Nebenwirkungen wie Osteoporose, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder eine Neigung zu Infektionen mit sich bringen", sagt Frank Buttgereit, Vizechef der Berliner Klinik. "Aber für viele Rheuma-Betroffene und auch ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte ist die Sorge vor einem Blutdruckanstieg und einer Gewichtszunahme ein wichtiges Entscheidungskriterium für oder gegen eine Kortison-Therapie. Das sollte sie jedoch nicht sein, weil beide Effekte keine große Relevanz haben, wie unsere Ergebnisse zeigen." Stattdessen sollte die Entscheidungsfindung eher die anderen Nebenwirkungen im Blick haben. (APA, red, 21.8.2023)