Ein am 10. Mai 1939 in der Neuen Warte am Inn erschienener Artikel heizt nun die Diskussion über die künftige Nutzung des Geburtshauses Adolf Hitlers in Braunau wieder an: "Der Führer hat sein Geburtshaus der Kreisleitung Braunau zur Verfügung gestellt. Über seinen Wunsch ist es zu Kanzleien der Kreisleitung umzubauen."

Mahnstein aus dem KZ Mauthausen vor dem Geburtshaus Adolf Hitlers in Braunau.
Dim Dim Film

Eine "administrative Nutzung" also, so sind sich Filmemacher Günter Schwaiger und Historiker und Vorsitzender des Vereins für Zeitgeschichte, Florian Kotanko, einig. Somit habe die Kommission "wissentlich oder unwissentlich im Sinne Hitlers entschieden", so die Schlussfolgerung der beiden in Schwaigers Dokumentation Wer hat Angst vor Braunau?. Denn wie seit 2019 vom interimistischen Innenminister Wolfgang Peschorn verkündet, soll in das Haus in Braunau nach einem Umbau eine Polizeistation einziehen.

Die Diskussion, was man mit dem Gebäude, in dem Hitler 1889 geboren wurde und seine ersten drei Lebensjahre verbrachte, anfangen soll, ging über Jahrzehnte.

Nach der Enteignung

Eine Zeitlang war dort die Lebenshilfe untergebracht, doch weil die Eigentümerin des Hauses es nicht barrierefrei umbauen wollte, zog der Verein für Menschen mit besonderen Bedürfnissen 2011 aus, 2016 erfolgte die Enteignung durch die Republik. Als Schwaiger die Dreharbeiten zu seinem Film, der erstaunlicherweise der erste über das Geburtshaus Hitlers überhaupt sein dürfte, 2017 startete, wollte er eigentlich die Lebenshilfe bei ihrem Wiedereinzug ins Haus begleiten. Schwaiger, der viele Jahre in Spanien lebte, habe sich gedacht: "Großartig, ich komme nach Österreich zurück, in ein Land, das sich nach vorne bewegt hat." So erzählte es der Regisseur am Montag bei einer Pressekonferenz im Wiener Café Landtmann.

Doch dann wurde relativ überraschend bekannt, dass die Polizei einziehen sollte. Schwaiger interviewte zahlreiche Personen aus Braunau, auch Polizeibeamte vor Ort, die im Vorjahr mit 100 Jahren verstorbene Sozialdemokratin und ehemalige Vizebürgermeisterin Lea Olczak und die junge Geschichtslehrerin Annette Pommer, die auch an der Pressekonferenz teilnahm.

Florian Kotanko, Günter Schwaiger und Annette Pommer bei der Pressekonferenz im Café Landtmann
Florian Kotanko, Günter Schwaiger und Annette Pommer bei der Pressekonferenz im Café Landtmann.
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Sie urgierte, die Verantwortung für das Haus der Bevölkerung nicht vorzuenthalten, da diese damit umgehen könne.

Das historische Gedächtnis zu leben und dabei ein Antifaschist zu werden, dass sei "nirgends leichter als in Braunau", sagt auch der Filmtheoretiker und gebürtige Braunauer Karl Sierek im Film. Die Geschichte der Stadt sei die einer zukunftsorientierten Arbeiterstadt, so Sierek: "Dieses Haus, das ist läppisch dagegen."

Auch ein Ort, wo die Geschichte der Täter und Mitläufer aufgearbeitet werde, sei wichtig. Stattdessen werde das Haus verschlossen, glaubt Pommer. Laut einer repräsentativen Umfrage des Market-Instituts von 1.000 Personen aus dem Mai dieses Jahres wollen tatsächlich nur sechs Prozent eine Polizeistation in dem Gebäude.

"Opferorte"

Lange wurde eine sozial-karitative oder administrative Nutzung des Hauses debattiert, bestätigt im Film auch der zuständige Beamte im Ministerium, Hermann Feiner. Doch das offene Konzept der Lebenshilfe bereitete Sorge angesichts potenzieller Neonazibesuche und die Aufarbeitung der NS-Verbrechen, sieht Feiner nur "an den Opferorten", also vor allem ehemaligen KZs.

Der Umbau sollte eigentlich seit dem Jahr 2022 abgeschlossen sein, verzögerte sich aber. Aus dem Innenministerium heißt es auf STANDARD-Nachfrage am Montag, alles sei auf Schiene und: "Die Verzögerungen waren auf die Auswirkungen der Pandemie und die Situation am Bausektor zurückzuführen." Geplanter Baubeginn sei der 2. Oktober. In der Polizeistation sollen zudem auch wie geplant Menschenrechtsschulungen für Polizisten stattfinden.

Der Historiker Oliver Rathkolb, der Mitglied der Kommission zum historisch korrekten Umgang mit dem Hitler-Geburtshaus war, ärgert sich über den "absurden" Vergleich der auf "demokratischer und rechtsstaatlicher Grundlage agierenden Polizei" mit der NSDAP-Kreisleitung. Im STANDARD-Gespräch führt Rathkolb aus, dass er glaube, "ein Museum mit dem Ansinnen, den Mythos zu brechen, geht schief, man befeuert nur weiter den Mythos. Außerdem reicht eine Lokalzeitung von 1939 nicht als historisches Dokument."

Schon einige Wochen vor der aktuellen Diskussion im Vorfeld des Filmstarts präsentierte das Kunstkollektiv Total Refusal anlässlich der Debatte um die Statue des ehemaligen Wiener Bürgermeisters und Antisemiten Karl Luegers seinen Lösungsvorschlag: Die Statue Luegers solle mit einem Hubschrauber nach Braunau geflogen und über dem Geburtshaus des Diktators abgeworfen werden.

Den so entstandenen "Müllhaufen der Geschichte" könne man dann so lassen. Ein Projekt, das sich wohl nicht verwirklichen lassen wird.

Schwaigers Film kommt ab 1. 9. in österreichische Kinos kommt. Bereits am 23. August wird er das Filmfestival Freistadt eröffnen. (Colette Schmidt, 21.8.2023)