FPÖ-Chef Herbert Kickl im ORF-
Es brauche gar keinen Regierungsbildungsauftrag, um eine Bundesregierung zu bilden, befand der blaue Frontmann Herbert Kickl am Montagabend im ORF-"Sommergespräch".
APA/ROLAND SCHLAGER

Diese Aussage von FPÖ-Chef Herbert Kickl im ORF-"Sommergespräch" am Montagabend hatte es in sich. Kickl wurde danach gefragt, was er denn machen wolle, sollte er als möglicher Erster nach der nächsten Nationalratswahl den Regierungsbildungsauftrag von Bundespräsident Alexander Van der Bellen nicht erhalten. Kickl antwortete davon völlig unbeeindruckt: Um eine Regierung zu bilden, brauche es diesen Auftrag nicht. Es gehe um eine Mehrheit im Nationalrat, die Kickl im Ernstfall offenbar zu suchen bereit ist. "Und dann schlägt die Stunde des Bundespräsidenten", sagte Kickl und lachte. "Dann müsste der Bundespräsident sagen, jetzt haben wir zwar gewählt, und jetzt gibt es eine Mehrheit im Nationalrat, aber ich gelobe diese Mehrheit nicht an – das ist dann die Staatskrise."

Van der Bellen hatte zu Jahresbeginn – ebenfalls in einem Interview mit dem ORF – angedeutet, im Falle eines Wahlsieges der Freiheitlichen Kickl nicht automatisch den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen zu wollen. Van der Bellen ließ außerdem offen, ob er den FPÖ-Chef als Kanzler angeloben würde.

Das erzürnte die Blauen schon damals. Nun verurteilte Kickl Van der Bellens Aussagen nachdrücklich als "antidemokratisch". Der Präsident würde damit deutlich machen, dass es in diesem Land Stimmen gebe, die mehr wert seien – "die für die anderen Parteien" –, und solche, die weniger wert seien – "das sind diejenigen, die die freiheitliche Partei unterstützen". Dass auch die anderen Parteien dem nicht widersprochen hätten, sieht Kickl als "Verschwörung gegen die Bevölkerung".

Aber könnte Kickl den Bundespräsidenten tatsächlich so unter Druck setzen, um seine Kanzlerschaft praktisch zu erzwingen? Und mit welchen Parteien will Kickl diese Mehrheit im Nationalrat überhaupt erringen? Bisher lehnen sowohl SPÖ und ÖVP eine Koalition mit Kickl dezidiert ab. Aber auch da macht sich Kickl keine Sorgen: Sollten die Freiheitlichen nach der Wahl so stark werden, dass sich eine Zweierkoalition nur mit ihnen ausgehe, würden sich die Festlegungen der ehemaligen Großparteien schnell in Luft auflösen, sagte er im "Sommergespräch". Das sei bei den schwarz-blauen Koalitionen in Niederösterreich und Salzburg bereits sichtbar geworden.

"Längere Hängepartie", aber noch keine Staatskrise

"Ein wahrer Kern ist dran, der Regierungsbildungsauftrag ist nur Staatspraxis, den braucht es nicht", sagt der Verfassungsrechtler Peter Bußjäger im Gespräch mit dem STANDARD. "Aber es ist nur die halbe Wahrheit, denn Kickl wird nicht Bundeskanzler oder Regierungsmitglied, wenn er nicht vom Bundespräsidenten angelobt wird." Das sei die Voraussetzung. Ohne die gehe es nicht. "Auf der anderen Seite hat Kickl recht, dass der Bundespräsident ein Problem hat, wenn er einen Bundeskanzler samt Regierung gegen eine mögliche Mehrheit mit Kickl an der Spitze bestellen will", führt Bußjäger aus. "Das ist das Dilemma, in dem sich Van der Bellen und Kickl befinden."

Im Fall einer solchen Pattstellung würde Bußjäger aber noch nicht von einer "Staatskrise" sprechen, wie Kickl es tat. Die alte Regierung bleibe nämlich bis zur Angelobung der neuen im Amt. Dazu komme, dass der Nationalrat, wenn auch neu gewählt, funktionsfähig sei. "Aus verfassungsrechtlicher Perspektive haben wir also ein Parlament, das Gesetze beschließen, und eine Regierung, die sie ausführen kann", erklärt der Jurist. "Wir haben dann wohl vor allem eine längere Hängepartie, also eine politisch prekäre Situation, in der eine Regierung ohne reale Mehrheit Probleme haben wird, große Reformen umzusetzen, aber eine echte Staatskrise ist das noch nicht." Denkbar sei eher, dass sich durch das freie Spiel der Kräfte im Nationalrat eine "chaotische Situation" ergeben könnte.

Und wie lange ließe sich Kickl in unterschiedlichen Konstellationen – etwa, wenn er anbietet, nicht Kanzler, sondern Minister zu werden – vom Bundespräsidenten ablehnen? "Wahrscheinlich werden zu einem bestimmten Zeitpunkt nur Neuwahlen der Ausweg sein", sagt Bußjäger. "Es ist nur fraglich, welche Lösung diese dann herbeiführen soll."

Dass sich Van der Bellen bereits festgelegt hat, Kickl nicht als Kanzler angeloben zu wollen, sieht Bußjäger durchaus kritisch: "Das halte ich nicht für unproblematisch, weil Van der Bellen die Wählerinnen und Wähler Kickls damit präjudiziert." Aber die Verfassung habe dem vom Volk direkt gewählten Bundespräsidenten nun einmal das Recht eingeräumt, zu entscheiden, wer Kanzler wird. Van der Bellen habe dabei immer im Blick, wer ihm eine stabile Regierung gewährleisten könne. Aber das traut das Staatsoberhaupt dem ehemaligen Innenminister offenbar nicht zu. Immerhin hat Van der Bellen Kickl zu türkis-blauen Zeiten schon einmal angelobt – wenn auch "nur" als Minister.

Und was sagt Alexander Van der Bellen dazu, dass Kickl bereit wäre, ihn in dieser Sache "übergehen" zu wollen? Wie so oft in derlei Angelegenheiten: nichts. "Der Kommentar ist, dass wir das nicht kommentieren", lässt ein Sprecher des Bundespräsidenten auf Anfrage ausrichten. (Jan Michael Marchart, Sandra Schieder, 22.8.2023)