2,35 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund lebten 2022 in Österreich.
2,35 MillionenMenschen mit Migrationshintergrund lebten2022 in Österreich.
APA/GEORG HOCHMUTH

Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) denkt laut über eine Leistungspflicht bei Deutschkursen und Wertekursen nach, um Zugewanderte in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Derzeit gilt lediglich eine Teilnahmepflicht, um die Sozialhilfe nicht zu verlieren.

Sie könne sich vorstellen, dass in einem bestimmten Zeitraum ein "gewisses Sprachniveau" erreicht werden müsse, um die Sozialhilfe zu behalten, sagte Raab bei der Präsentation des Integrationsberichts am Donnerstag. Nach welchem Zeitraum des Kursbesuchs entsprechende Prüfungen stattfinden müssten und welches Deutschlevel verlangt werden soll, ließ Raab allerdings offen. "Wir denken darüber nach, wie man das gesetzlich abbilden kann", erklärte die Integrationsministerin.

Video: Integrationsbericht – Raab will Leistungspflicht bei Deutschkursen.
APA/bes

Sie habe "kein Verständnis" dafür, dass viele trotz Kursen nicht den Sprung in den Arbeitsmarkt schaffen. "Ich halte es, gerade bei der derzeitigen Arbeitsmarktsituation, für inakzeptabel, dass Menschen Jahre im Sozialhilfesystem verweilen." Dabei gehe es oft um Basiskenntnisse.

Rechtliche Einwände

Christoph Riedl, Asylexperte der Diakonie, bezweifelt, dass eine Bindung etwa der Mindestsicherung an positiv abgeschlossene Kurse völkerrechtlich zulässig wäre. Die Genfer Flüchtlingskonvention sehe eine Gleichstellung von Geflüchteten mit Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern vor, sagte er zum STANDARD.

Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination zufolge müsste diese Voraussetzung zudem für alle Menschen aus dem Ausland gelten, um EU-rechtskonform zu sein.

Dass die Integration so lange dauert, habe Riedl zufolge vielschichtige Gründe – darunter etwa, dass beispielsweise Personen auf Afghanistan während ihres langwierigen Verfahrens an keinen Kursen teilnehmen können. Auch sei eine derartige Verknüpfung gerade im Zusammenhang mit Geflüchteten problematisch, da diese häufig Traumatisierungen erlebt haben.

SPÖ nennt Raab "scheinheilig"

Die Wahrscheinlichkeit einer baldigen Umsetzung von Raabs Ansinnen ist aber ohnedies gering, bereits am Donnerstag kam eine Abfuhr vom grünen Koalitionspartner. Integrationssprecherin Faika El-Nagashi schloss Verschärfungen aus: "Wer je für etwas gelernt hat – oder auf Unterstützung angewiesen war –, kann sich vorstellen, wie es wäre, wenn die Existenz von einer Note abhängt."

SPÖ-Integrationssprecher Christian Oxonitsch bezeichnete Raab als "scheinheilig", weil die ÖVP selbst an der Abschaffung der Arbeitsmarktmaßnahme des Integrationsjahrs beteiligt war. Die Neos werten Raabs Äußerungen als "populistisch" und orten eine Anbiederung an die FPÖ. Die Blauen wiederum klagen über die hohen staatlichen Kosten für Integrationsmaßnahmen, die Zuwanderung aus dem Ausland zu attraktiv machten.

Mangelnde Deutschkenntnisse

Die Integrationsministerin versucht indes, ihre Forderung auf die neuesten Zahlen zu stützen. Von den 2022 Gekommenen hätten sieben von zehn Alphabetisierungsbedarf, sagte Raab. Dass der Alphabetisierungsbedarf zugenommen habe, bestätigte auch die Vorsitzende des Integrationsbeirats, Katharina Pabel. Diese Gruppe stoße zwar auf ein gutes System, es liege jedoch auf der Hand, dass sie bestimmte Deutschniveaus nur schwer erreichen könnten.

Daher plädiert Pabel für eine Flexibilisierung des Deutschangebots, etwa wie die vom Integrationsfonds (ÖIF) angebotenen Online-Deutsch-Lerneinheiten, die unter anderem auf Einstiegsjobs zugeschnitten sind. Gahleitner-Gertz widerspricht Pabel: Die meisten Syrer könnten Arabisch lesen und schreiben, es bestehe häufig ein Umlernbedarf.

Überhaupt müsse die Aufmerksamkeit vor allem auf Jugendliche gelegt werden, so Pabel. Daher habe sich auch der Expertenrat im heurigen Bericht diesen Schwerpunkt ausgesucht. Ziel müsse sein, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund bei Bildung, Integration in den Arbeitsmarkt und sozialer Integration Chancengleichheit erfahren. Die Auswertung der Daten zeige nämlich, dass Migranten schlechter abschneiden als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Viel weniger oft absolvieren sie eine Lehre oder wechseln in höherbildende Schulen, so Pabel. Auch sei ihr Anteil in der Gruppe der "NEETs" größer, also jener, die sich nicht in Ausbildung, Arbeit oder Schulung befinden. Als Maßnahme schlägt der Expertenrat etwa eine systematischere und kontextbezogenere Berufsberatung vor. Besonders müsse der Fokus dabei auf Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund gelegt werden. Zudem sollte ein Augenmerk auf wegen der Flucht unterbrochenen Bildungswegen liegen.

Jede vierte Person hat Migrationshintergrund

Mittlerweile weist jede vierte Person hierzulande Migrationshintergrund auf. Wie Tobias Thomas, Generaldirektor der Statistik Austria, erläuterte, lebten 2022 2,35 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich. Der Anteil jener, deren Eltern beide im Ausland geboren sind, stieg von 25,4 Prozent im Jahr davor auf nunmehr 26,4 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Größte Gruppe der 1,7 Millionen in Österreich lebenden Ausländer waren mit Stichtag 1. Jänner deutsche Staatsbürger (225.000), gefolgt von 147.500 rumänischen sowie 121.900 serbischen und 119.700 türkischen Staatsbürgern. Auf den Rängen fünf bis zehn finden sich die Herkunftsländer Kroatien, Ungarn, Bosnien und Herzegowina, Syrien, Ukraine und Polen. Die stärksten Zuwächse seit 2015 in absoluten Zahlen gab es bei Rumänen (plus 74.100), Ukrainern (plus 71.000), Syrern (plus 70.900) und Deutschen (plus 54.500).

Wie Thomas ausführte, beurteilen Zugewanderte das Zusammenleben deutlich besser als in Österreich Geborene. Während rund 61 Prozent der Zugewanderten dieses "sehr gut" bzw. "eher gut" einschätzen, sind das bei den hier Geborenen lediglich 28 Prozent. Ein gutes Drittel (34 Prozent) der autochthonen Bevölkerung bezeichnet es hingegen als "eher schlecht" bzw. "sehr schlecht". (muz, bri, ta, APA, 24.8.2023)