Zeichnung über Sklavenhandel von 1849.
Gefesselte und gequälte Sklaven in einer Baracke in Sierra Leone, die dort monatelang auf ihre "Verschiffung" warten. Die Darstellung stammt aus dem Jahr 1849.
IMAGO/Gemini Collection

Wie oft hören wir in den täglichen Nachrichten von Afrika? Was wird in der Schule über die Geschichte des Kontinents gelehrt? So gut wie gar nichts. Stattdessen spärliche Berichte über Fluchtbewegungen, korrupte Ökonomien, Bürgerkriege, Hungersnöte. Fernreisende wiederum schwärmen von Fotosafaris, gutgelaunter Armut und fröhlicher Musik.

Dass die allgemeine Geschichtsschreibung die Vergangenheit des "schwarzen Kontinents" geradezu gelöscht hat, zeigt Howard. W. French in Afrika und die Entstehung der modernen Welt. Auslassungen und verkürzte Darstellungen wurden willentlich gesetzt, um Ausbeutung und Sklavenhandel zu rechtfertigen. Je rückständiger dortige Lebensformen geschildert wurden, desto eher konnte über die Arbeitskraft von Menschen verfügt und ihnen die Fähigkeit zur Gestaltung ihrer Lebensbedingungen abgesprochen werden. Es war nicht die Höherwertigkeit europäischer Strukturen oder die moralische Überlegenheit des Christentums, die zur Herrschaft über angeblich unzivilisierte Schwarze führten, sondern purer Rassismus. Europäer bezeichneten sich als Heilsbringer von Zivilisation, Ordnung, Fortschritt und nahmen sich damit das Recht heraus, den Sklavenhandel als gewinnbringendes Unternehmen zu entwickeln, berichtet Howard W. French, US-Journalist mit Sklavenvorfahren.

Howard W. French
Der Journalist Howard W. French
Stuart Isett

Der Handel mit Menschen

Die sogenannte Entdeckungsgeschichte verlief also anders als bislang überliefert. Nicht der Wunsch, bis Asien oder die Amerikas vorzudringen, war der ursprüngliche Antrieb, sondern das Interesse der Eroberer richtete sich wegen der dortigen Goldvorkommen erst nach Westafrika. Dann aber stellte sich der Handel mit Menschen als noch lukrativer heraus.

Die Praxis der Sklaverei verhalf Portugal, Spanien, Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien und später den USA zu Reichtümern, die dem Westen bislang seine wirtschaftliche und damit politische Vormachtstellung sicherten. Durch die Arbeitskraft der Sklaven wurden Ausbau und Kapitalisierung des wertvollen Zuckerrohrs sowie von Baumwolle erst ermöglicht. Sie lieferten Kalorien und Kleidung für die Massen und trugen so zum Fortschritt der Kolonialstaaten bei. Europäer konnten diese körperlichen Arbeiten nicht leisten, das tropische Klima, das für den Anbau der Pflanzen nötig war, vertrugen sie nicht. Die Indigenen in den Amerikas gingen an den durch die Kolonisatoren mitgebrachten Krankheiten millionenfach zugrunde, schreibt French.

Aufrüttelnde Spurensuche

Der Autor trägt zahllose Quellen auch aus afrikanischer Perspektive zusammen, untersucht die Rolle der innerafrikanischen Herrscher und ihrer Handelsbeziehungen mit Europa, reist an frühere Schauplätze, wie an den ersten portugiesischen Stützpunkt an der afrikanischen Westküste, und sucht nach Spuren. Er weist nach, dass sich zu Beginn dieser Prozesse der Entwicklungsstand von Regierungsformen und Kulturen, ja sogar die Alphabetisierung in Europa und Afrika ungefähr auf gleichem Niveau befanden.

Die von den Kolonialmächten, allen voran Portugal, verbreiteten Mythen von heroischen Entdeckern und selbstlosen Missionaren dienten so vor allem der Verschleierung ihrer wahren Absichten. Die Briten wiederum behaupteten, die Reichtümer des Mutterlandes in die Kolonien einzubringen. Dabei war es umgekehrt, die dort erwirtschafteten Erträge schufen erst das Vermögen des Empires.

Buchcover
Howard W. French, "Afrika und die Entstehung der modernen Welt – Eine Globalgeschichte". € 37,– / 512 Seiten. Klett-Cotta, Stuttgart 2023
Klett-Cotta

Plantagengesellschaft

Solche Erzählungen dominieren bis heute die ohnehin schwache Wahrnehmung vom afrikanischen Kontinent. Dass es ohne Afrikas Beitrag keine Moderne, wie wir sie heute kennen, gegeben hätte, erklärt French am Modell der Plantagengesellschaft, die von den Portugiesen entwickelt und im Laufe der Jahrhunderte perfektioniert wurde: Wenige Weiße, sowie eine schmale Schichte von Vermittlern, beherrschten eine Unzahl an schwarzen Arbeitskräften, deren Ausbeutung hohe Todesraten verursachte, die durch neuerliche Lieferungen ständig ersetzt werden mussten. Um die Produktivität zu steigern, wurden den Versklavten immer längere Arbeitszeiten und höhere Erntequoten abverlangt.

In ihrer ausgefeilten Version beinhaltete die Plantagengesellschaft bereits Arbeitsteilung, Spezialisierung, Synchronisierung, also typische Merkmale der späteren Industrialisierung. Sklaven waren sozusagen die ersten zu Arbeitsmaschinen gedrillten Körper des Kapitalismus. Die Ausbeutung seiner Ressourcen sowie die rücksichtslose Aufteilung des Kontinents und die ohne Wissen um regionale Notwendigkeiten erfolgten Grenzziehungen im Zuge der Berliner Konferenz 1884/85 schlugen sich in einer verminderten Wirtschaftskraft Afrikas nieder, deren Folgen bis heute spürbar sind.

Frenchs nahezu 500 Jahre umfassende Studie liest sich spannend, steckt voller Erkenntnisse zu den unheilvollen Verschränkungen des Westens mit Afrika und macht sichtbar, wie sehr wohlstandsverwöhnte Europäer eigentlich in der Schuld dieser entrechteten Menschen stehen. (Sabine Scholl, 26.8.2023)