Die durch die Ostsee von Russland nach Deutschland verlaufenden Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 waren im September 2022 durch Explosionen schwer beschädigt worden
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Nach den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines im September 2022 verdichten sich deutschen Ermittlungsbehörden zufolge die Hinweise in Richtung Ukraine immer mehr. Das geht aus Recherchen des "Spiegel" und des ZDF vom Freitag hervor. "Die Ermittler vom BKA, Bundespolizei und des Generalbundesanwalts haben nur noch wenige Zweifel daran, dass ein ukrainisches Kommando die Pipelines sprengte", schreibt der "Spiegel". Das Medium beruft sich auch auf anonyme internationale Ermittler und Agenten, denen zufolge "alle Erkenntnisse in eine Richtung" deuten würden: Kiew.

Die Analyse unter anderem von IP-Adressen und anderen Daten komme zu dem Schluss, dass sich die Verdächtigen vor und nach dem Sabotageakt in der Ukraine aufgehalten und von dort aus kommuniziert hätten. Das Bild, das diese Auswertung erbracht habe, sei ziemlich eindeutig, heißt es in Sicherheitskreisen.

Es sei darum gegangen, berichtet der "Spiegel" unter Berufung auf internationale Sicherheitskreise, Moskau eine wichtige Einnahmequelle sowie Russlands Präsident Wladimir Putin "sein wichtigstes Erpressungsinstrument" gegenüber der deutschen Regierung zu nehmen. Offiziell halten sich die Behörden allerdings mit Schlussfolgerungen noch zurück.

Kiew bestreitet Beteiligung und Mitwissen

Zuerst hatten bereits im März mehrere Medien von Spuren in die Ukraine berichtet. Kiew bestritt, dass die ukrainische Regierung beteiligt gewesen sei, und betonte, dass niemand aus dem Sicherheitsapparat wisse, wer verantwortlich sei. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte, er würde "nie so handeln". Anonyme Nachrichtendienstler und Sicherheitspolitiker gehen im "Spiegel" davon aus, dass der Staatschef nicht eingeweiht gewesen ist.

Direkt nach dem Anschlag vom 26. September 2022, bei dem vier Explosionen in den exklusiven Wirtschaftszonen Schwedens und Dänemarks in der Ostsee mehrere Lecks in die Nord-Stream-Pipelines gerissen hatten, waren die Beschuldigungen in Richtung Moskau gegangen. Den Recherchen zufolge wird auch weiterhin nicht ausgeschlossen, dass es sich um eine "False Flag"-Aktion Russlands gehandelt haben könnte. Demnach heiße es immer wieder, dass die Beweislage "verdächtig überdeutlich nach Kiew" deute und die Hinweise "zu schön, um wahr zu sein", seien.

"Natürlich gehen wir auch diesen Hinweisen nach, haben dafür aber bislang keine Belege oder Bestätigung", zitiert der "Spiegel" allerdings den deutschen Bundesanwalt Lars Otte. Derzeit könne nicht gesagt werden, dass die Aktion "staatlich durch die Ukraine gesteuert worden" sei. Anonyme Geheimdienstexperten halten es dem Bericht zufolge für unwahrscheinlich, dass russische Agenten "ein so komplexes Täuschungsmanöver fehlerlos durchführen".

Kein Alarm nach Warnungen

Die Erkenntnisse korrespondieren jedenfalls mit denen des niederländischen Militärgeheimdiensts und der CIA, die bereits Monate vor der Attacke vor einem ukrainischen Sabotagekommando und einem solchen Szenario gewarnt hatten. Dem "Spiegel" zufolge hatte man in Berlin keinen Alarm ausgelöst, weil der ursprünglich vermutete Zeitpunkt für einen Anschlag verstrichen war.

Die "Washington Post" hatte bereits im Juni berichtet, die CIA sei im Juni 2022 von einem europäischen Agenten auf das Vorhaben der Ukraine hingewiesen worden, nannte allerdings nicht dessen Herkunftsland. Spätere Medienberichte nannten die Niederlande und bezeichneten den hochrangigen ukrainischen General Walerij Saluschnij als federführend mit der Aktion betraut.

In der Ukraine war den Recherchen von "Spiegel" und ZDF zufolge außerdem offenbar auch ein Anschlag auf die Turkstream-Gasleitung im Schwarzen Meer geplant, durch die russisches Gas in die Türkei fließt. Warum die Pläne nicht umgesetzt wurden, sei unklar. (maa, 25.8.2023)