Putin, Prigozhin, Nemtsov, Litvinenko, Politkovskaya, Navalny, Berezovsky, Khodorkovsky, Geraschtschenko
Collage: derStandard/FriesenbichlerFotos: AFP, AP, Imago (4), MAI, Picturedesk

"Ich kann alles verzeihen, aber keinen Verrat", sagte Putin einmal in einem Interview. Söldnerführer Prigoschin wäre der vorerst Letzte in einer langen Reihe russischer Staatsbürger und Staatsbürgerinnen, denen Putin nicht verzeihen wollte.

Boris Nemzow
Boris Nemzow
imago/ITAR-TASS

1. Boris Nemzow: Mord an der Kreml-Mauer

Der Mord an dem russischen Oppositionspolitiker Boris Nemzow fällt selbst im System Putin etwas aus dem Rahmen. Nemzows Karriereaufstieg verlief lange parallel zu dem Putins, wie dieser galt er als Kandidat für die Nachfolge des damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin. Im Gegensatz zu Putin, der sich letztlich durchsetzte, stand Nemzow für einen liberalen Kurs und mehr Demokratie. Das brachte ihn zu Beginn der 2000er-Jahre zunehmend in Konflikt mit dem nunmehrigen Präsidenten – allerdings innerhalb des politischen Systems. Eine Kandidatur für die Präsidentenwahl 2008 gegen Putins Platzhalter Dmitri Medwedew zog Nemzow 2007 wieder zurück, nachdem er sich mit seiner Partei zerstritten hatte. Den Zorn des Präsidenten zog er sich mit der Beteiligung an Protesten gegen Duma-Wahlfälschungen 2011 zu. Er kritisierte Putin scharf und prangerte Russlands Aggressionen gegen die Ukraine an. Nemzow saß mehrmals in Haft. 2015 wurde er an der Kreml-Mauer auf offener Straße erschossen. Fünf Männer aus Tschetschenien wurden zwei Jahre später des Mordes schuldiggesprochen. Dass sie die wahren Täter waren, wird von vielen bezweifelt.

Alexander Litwinenko
Alexander Litwinenko
Alistair Fuller / AP / picturede

2. Alexander Litwinenko: Mit Polonium in London vergiftet

Qualvoll waren die letzten Tage des Ex-KGB-Offiziers Alexander Litwinenko, der Ende 2006 in London an den Folgen einer Polonium-Vergiftung verstarb. Wochen zuvor hatten ihm zwei russische Geschäftsmänner – wie Putin und Litwinenko einst Mitarbeiter des ehemaligen In- und Auslandsgeheimdienstes KGB – Tee in der Pine Bar des Millennium-Hotels angeboten, vermutlich versetzt mit dem hochgiftigen, radioaktiven Polonium 210. Litwinenko wusste wohl zu viel – und teilte dieses Wissen zu gern. Nachdem drei Strafverfahren gegen ihn eröffnet worden waren, floh er 2000 aus Russland. Als Autor und wohl Überläufer zum britischen Geheimdienst MI6 schrieb er in einem Buch, dass die Anschläge auf Moskauer Wohnhäuser, die 1999 rund 300 Tote forderten, nicht von Tschetschenen, sondern vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB verübt worden seien. Der Zweite Tschetschenienkrieg, der als direkte Folge der Anschläge begann, war Mitgrund für den Aufstieg des damaligen Ministerpräsidenten Putin zum Präsidenten. Der FSB sei auch schuld an einer Geiselnahme im Moskauer Theater 2002, behauptete Litwinenko. Sein Todesurteil.

Anna Politkowskaja
Anna Politkowskaja
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3. Anna Politkowskaja: Kritik am Krieg vergisst Putin nicht

War es die Regierung? 2006 wurde die russisch-amerikanische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Anna Politkowskaja 2006 im Stiegenhaus vor ihrer Wohnung in Moskau ermordet. Zu dieser Zeit waren die Beziehungen zwischen europäischen Regierungen und Russland noch enger. Der Verdacht, Wladimir Putin oder ihm nahestehende Gruppen könnten für die kaltblütige Erschießung verantwortlich sein, brachte Politikerinnen wie die damals frischgebackene deutsche Kanzlerin Angela Merkel oder den französischen Staatschef Jacques Chirac in Erklärungsnot. Denn vieles sprach dafür, dass der russische Staat nach der Ermordung des Ex-KGB-Agenten Alexander Litwinenko auch in das Attentat auf Politkowskaja verwickelt war. Sie war eine der wenigen Reporterinnen in Russland, die während des Tschetschenienkriegs kontinuierlich im Widerspruch zur offiziellen Darstellung über Kriegsverbrechen der russischen Armee und ihrer Verbündeten berichtet hatten. Damit belastete sie auch den tschetschenischen Warlord Ramsan Kadyrow. Für den Mord an ihr wurden ein Polizist und ein Tschetschene verurteilt – große Zweifel bleiben.

Michail Chodorkowski
Michail Chodorkowski
APA/AFP/ISABEL INFANTES

4. Michail Chodorkowski: Ins Exil verbannter Ex-Oligarch

"In seinem inneren Kreis hält sich Putin an der Macht, indem er alle gegeneinander ausspielt", sagte im Februar Michail Chodorkowski (60) zum STANDARD. Chodorkowski weiß, wovon er spricht. Als Chef des Ölkonzerns Yukos hatte er Anfang der 1990er Milliarden gemacht, gehörte als reichster Mann Russlands lange zum innersten Machtzirkel des Kreml. Damals besaßen die Oligarchen noch großen Einfluss, heute sind jene, die nicht ins Exil verbannt oder umgebracht wurden, Marionetten Putins. Chodorkowski, der zahlreiche Parteien finanziert und die Open Russia Foundation zur Stärkung der russischen Zivilgesellschaft gegründet hatte, saß nach einer Verurteilung wegen angeblicher Steuerhinterziehung und Betrugs ab 2003 zehn Jahre und zwei Monate in Haft. Seit seiner überraschenden Freilassung lebt er im Londoner Exil, verfasst Bücher darüber, wie man den "Drachen" Putin stürzen und durch eine föderale, parlamentarische Demokratie ersetzen könnte. Seit 2015 fahndet Russlands Justiz wegen eines angeblichen Mordauftrags nach ihm. Bei einer Rückkehr nach Moskau müsste er den Rest seines Lebens in einer Zelle verbringen, ist der einst mächtige Oligarch überzeugt.

Boris Beresowski
Boris Beresowski
imago/ZUMA Press

5. Boris Beresowski: Ein rätselhafter Tod in Ascot

Unsicherheit wird wohl immer bleiben: Hat der Oligarch Boris Beresowski 2013 Suizid begangen – oder wurde er im Badezimmer seiner hermetisch abgesicherten Villa nahe London umgebracht? Eine Obduktion durch britische Behörden blieb eindeutige Ergebnisse schuldig. Doch wenige Stunden vor seinem Tod gab Beresowski ein eigenartiges Interview, in dem er sagte, dass er Wladimir Putin für fähig halte, jeden zu töten, den er als Feind sieht – und sich selbst als potenzielles Opfer eines solchen Anschlags sah. Vermutlich stand Beresowski dem Mann im Kreml wirklich im Weg – obschon dieser einst sogar von ihm protegiert wurde. 1999 setzte sich der Geschäftsmann und Hauptaktionär der Fernsehgesellschaft ORTV massiv für Putin ein, als Präsident Boris Jelzin überlegte, wer Ministerpräsident und damit sein möglicher Nachfolger werden könnte. Beresowski hielt Putin damals noch für leicht manipulierbar – eine fatale Fehleinschätzung. Nachdem der neue Präsident strenge Regeln für Oligarchen erlassen hatte, zog Beresowski 2000 nach Ascot, 2003 erhielt er Asyl. Immer wieder spendete er Geld an Russlands Opposition – und brachte sich so womöglich ins Fadenkreuz.

Alexej Nawalny
Alexej Nawalny
AP

6. Alexej Nawalny: Mord schlug fehl, dann Straflager

Dass Alexej Nawalny noch am Leben ist, verblüfft viele – vermutlich auch den Kreml. Es liegt nicht am fehlenden Bemühen der russischen Behörden, den prominenten Oppositionellen auszuschalten. Während eines Inlandsflugs im Sommer 2020 klagte Nawalny plötzlich über Schmerzen und verlor das Bewusstsein, weshalb das Flugzeug in Omsk notlandete. Dort wurde er zwei Tage im Krankenhaus behandelt, bevor er auf Bestreben seiner Familie nach Deutschland in die Berliner Charité verlegt wurde. In Berlin wurde eine Vergiftung mit dem Nervengift Nowitschok festgestellt – eine Substanz, auf die kaum jemand außer dem russischen Geheimdienst Zugriff hat. Auch Recherchen des Investigativnetzwerks Bellingcat ergaben eine Beteiligung des FSB. Die Beziehungen zwischen der EU und Russland verschlechterten sich nach dem Giftanschlag. Dass Nawalny trotz konstruierter Anklagen und hoher Strafforderungen 2021 nach Russland zurückkehrte, sorgte im Kreml für Verblüffung. Russische Gerichte verhängten drakonische Strafen, er wurde zu Lager- und Einzelhaft verurteilt. Nawalny kommuniziert seither nur noch via Anwalt und Angehörige mit der Außenwelt.

Anatoli Geraschtschenko
Anatoli Geraschtschenko
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Anatoli Geraschtschenko: Einer von vielen "Verunglückten"

Anatoli Geraschtschenko, früherer Rektor des Moskauer Luftfahrtinstituts MAI, ist nicht der berühmteste Todesfall in der russischen Elite. Und dennoch steht der Wissenschafter, der nach einem Treppensturz tot aufgefunden wurde, in einer Reihe von mehr als drei Dutzend toten russischen Oligarchen, Managern und Millionären – was das amerikanische Magazin The Atlantic veranlasste, in Anlehnung an den plötzlichen Kindstod von einem "plötzlichen Russentod" seit 2022 zu schreiben. Einige der Männer könnten tatsächlich Suizid begangen, verunfallt oder durch Businesspartner ausgeschaltet worden sein – doch jeder Tod wird von Zweifeln begleitet, zumal einige der Männer den Überfall auf die Ukraine kritisiert hatten. So etwa Rawil Maganow, Vorstandsvorsitzender des Ölgiganten Lukoil, der beim Rauchen aus dem Fenster eines Krankenhauses stürzte. Oder Alexander Subbotin, Ex-Vorstand von Lukoil, der in der Wohnung eines Schamanen bei einem gescheiterten Versuch, seine Alkoholsucht zu heilen, verstarb. Oder Wladislaw Awajew, Ex-Vizepräsident der Gazprombank, der gemeinsam mit seiner Frau und Tochter mit Schusswunden gefunden wurde. (Fabian Sommavilla, Manuel Escher, 26.8.2023)