Wenn sie einander begrüßen, umarmen sie sich wie allerbeste Kumpels. Die Vertrautheit erinnert beinahe an den sozialistischen Bruderkuss. Tatsächlich verbindet den ungarischen Premier Viktor Orbán und den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić viel Ideologisches, nämlich das Ansinnen, westliche Einflüsse einzuschränken, Migration zu verhindern, die Nation, ihre angebliche Größe und ihre historischen "Opfer" in den Mittelpunkt zu rücken, eine autokratische Führungsweise, der illiberale Umgang mit Medien und eine Kreml-freundliche Haltung.

In Europa gibt es keine zwei anderen politischen Führungsfiguren, die sich in dieser Hinsicht so einig sind. "Die Zusammenarbeit zwischen Ungarn und Serbien war noch nie so gut wie heute", konstatierte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó unlängst.

Aleksnadr Vucic und Viltor Orban.
Ziemlich beste Freunde: Vučić (links) und Orbán.
APA/AFP/ANDREJ ISAKOVIC

Vergangene Woche, als man in Ungarn an Staatsgründer Stephan I., der vor tausend Jahren den Aufstieg Ungarns vorbereitete, erinnerte, ging es auch um die Zukunft. Vučić versprach Orbán bei dem Treffen in Budapest, mehr russisches Gas nach Ungarn zu liefern, falls die Ukraine ihr Gas-Transitabkommen mit Russland aufkündigen sollte. Ungarn bezieht rund 80 Prozent seines Erdgases aus Russland, vor allem über die Turkstream-Pipeline, die durch Serbien verläuft.

Bei dem Vorhaben geht es also darum, die Politik der EU zu umgehen und ein wohlwollendes Zeichen Richtung Moskau zu senden. Orbán tanzt schon lange aus der Reihe, wenn es um die Haltung der EU zum Angriffskrieg gegen die Ukraine geht. Und Vučić hat sich nie eingereiht. Obwohl Serbien offiziell EU-Kandidatenstatus hat und seine Außenpolitik an die EU anpassen müsste, tut es das nicht.

Energie- und Geopolitik

Mit der Anbindung an russisches Gas wird zurzeit in Mittel- und Südosteuropa Geopolitik betrieben, Einflusssphären werden abgesteckt. Serbien verlängerte seinen Vertrag mit Russland im Mai 2022 um drei Jahre. Ungarn unterzeichnete 2021 einen 15-Jahres-Vertrag und erklärte sich im August 2022 bereit, zusätzlich 5,8 Millionen Kubikmeter russisches Gas pro Tag zu kaufen. Staatsunternehmen aus Serbien und Ungarn unterzeichneten bereits im Juni dieses Jahres einen Vertrag zur Gründung eines neuen gemeinsamen Unternehmens für Erdgashandel mit Sitz in Novi Sad.

Auch prorussische Kräfte in Bosnien-Herzegowina, allen voran der Präsident des Landesteils Republika Srpska, Milorad Dodik, der vom Kreml gesteuert wird, wollen das Land mit einer neuen Pipeline, die über Serbien kommt – ein Ableger der Turkstream –, noch stärker vom russischen Gas abhängig machen. Das Projekt ist bereits beschlossen. Gleichzeitig gibt es ein Konkurrenzprojekt: Ein Terminal auf der kroatischen Insel Krk soll nichtrussisches Gas vom Süden aus nach Bosnien-Herzegowina bringen. Bosnien-Herzegowina ist zwischen den Einflusssphären, zwischen dem Westen und Russland, zerrissen.

Der Krieg in der Ukraine hat in Europa vielerorts zu einer fast vollständigen Abkehr von der Abhängigkeit von russischen Energiequellen geführt. Die versprochene Zufuhr von russischem Gas nach Ungarn und die neue Leitung für russisches Gas nach Bosnien stehen im Gegensatz zu dieser Politik und erhöhen noch die Durchdringung russischer Interessen in Mittel- und Südosteuropa. Der Kreml bekommt damit auch neue Hebel in die Hand, um für Unruhe zu sorgen. Wladimir Putin hat schließlich schon oft genug gezeigt, dass er das Gas abdrehen kann, wenn er jemanden bestrafen will.

Politiker auf der Bühne in Budapest.
Orbán lud zuletzt unter anderen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz, den slowakischen Ex-Premier Andrej Babiš, den Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani, und Milorad Dodik zur Leichtathletik-WM in Budapest ein.
EPA/JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Der bosnische Sicherheitsexperte Ismet Fatih Čančar spricht von einer "hybriden Sicherheitsbedrohung für Bosnien und Herzegowina". Der Kreml will Fortschritte Bosnien-Herzegowinas auf dem Weg zu einem unabhängigen, demokratischen und euroatlantisch orientierten Staat stoppen, damit er auf dem Balkan weiter zündeln kann. Und Dodik hilft Putin dabei, indem er den Einfluss des Kreml in der Energiepolitik absichert.

Mundtote Kritiker

Das Regime in der Republika Srpska orientiert sich ohnedies am russischen Vorbild. So sollen NGOs, die vom Ausland mitfinanziert werden, an die Kandare genommen werden. Kürzlich wurde auch ein Gesetz beschlossen, mit dem "Verleumdung" unter Strafe gestellt wird. Nicht nur Bürgerinnen und Bürgern, die in der RS wohnen, sondern allen Menschen in Bosnien-Herzegowina, auch ausländischen Journalisten, drohen Geldstrafen in Höhe von bis zu 60.000 Euro. Offensichtlich sollen Kritiker mundtot gemacht werden.

Ungarn spielt in dieser geopolitischen Gemengelage eine bedeutende Rolle. Denn die Kreml-freundlichen Kräfte werden über die Regierung Orbán gebündelt. Gleichzeitig baut die Regierung Orbán damit aber auch ihre eigene Macht in der Region aus. Dafür besetzt es seit Jahren geschickt Schlüsselpositionen in internationalen Organisationen in Südosteuropa. So ist der lokale Vertreter des Hohen Repräsentanten für Bosnien-Herzegowina in Banja Luka, der Verwaltungszentrale der Republika Srpska, der Ungar László Márkusz.

Geld für die Republika Srpska

Ab dem kommenden Jahr werden die Ungarn auch den Kommandanten der EU-Friedenstruppen Eufor in Bosnien-Herzegowina stellen. Sie bekamen den Zuschlag, weil sie vier bis fünf Hubschrauber für den Einsatz liefern werden. In Bosnien-Herzegowina sorgt dies bei den westlichen Kräften für Misstrauen und Sorge. Offenbar konnten sich westlich orientierte Kräfte innerhalb der EU aber in der Frage nicht gegen Ungarn durchsetzen.

Der ungarische EU-Kommissar für Erweiterungsverhandlungen, Olivér Várhelyi, unterstützt seit Jahren vor allem Serbien und sorgt dafür, dass der EU-Geldfluss nach Belgrad nicht abreißt. Dabei gibt der Chef in Budapest den Ton an, Várhelyi folgt Orbán. "Serbien ist entscheidend. Ohne Serbien als EU-Mitglied können wir nicht über Sicherheit oder die gesamte europäische Identität sprechen. Wir brauchen Serbien als EU-Mitglied mehr, als Serbien es braucht", sagte Orbán kürzlich.

Er kommt auch Dodik zu Hilfe. Dieser nahm nämlich Kredite für die Republika Srpska auf, die er jetzt nicht mehr zurückzahlen kann. Dodik war vergangene Woche auch bei Orbán in Budapest eingeladen. Kurz nach dem Besuch sagte Ungarn dem bosnischen Serben 118 Millionen Euro zu. Dodik meinte, dass das Geld zum Großteil für Projekte verwendet werden soll, die Deutschland aufgrund der separatistischen und prorussischen Politik gestoppt hat.

Wirtschaftliche Abhängigkeiten

Tatsächlich hat die deutsche Regierung Anfang August entschieden, vier Infrastrukturprojekte in der Republika Srpska mit einem Gesamtwert von 105 Millionen Euro auslaufen zu lassen. Denn Dodik versucht seit zwei Jahren sehr intensiv über Gesetzesinitiativen den Gesamtstaat zu schwächen und bricht immer wieder die Verfassung. Ungarn hat Dodik schon einige Male ausgeholfen und Kredite gewährt, im Vorjahr etwa 110 Millionen Euro. Auch deshalb bleibt sein Regime unangetastet. Gleichzeitig müssen aber die Bauern in der Republik Srpska, wenn sie Subventionen bekommen wollen, Maschinen aus ungarischen Fabriken kaufen. Orbán schafft also auf dem Balkan auch wirtschaftliche Abhängigkeiten.

Orbán, Vučić und Dodik treten zudem immer wieder gemeinsam auf – etwa im April diesen Jahres bei einer Militärübung in Serbien. Die Männer bekräftigen sich wechselseitig. So verlieh Vučić Orbán im September letzten Jahres einen Orden. Die Clique von europäischen Autokraten hängt einander überhaupt ganz gerne Verdienstabzeichen um den Hals. So hat Dodik kürzlich Wladimir Putin ausgezeichnet, der wiederum 2019 Vučić das Alexander-Newski-Abzeichen ans Revers heftete. (Adelheid Wölfl, 29.8.2023)