Travis Scott ist einer der erfolgreichsten Rapper der Gegenwart. In den USA genauso wie in Österreich.
Travis Scott ist einer der erfolgreichsten Rapper der Gegenwart. In den USA genauso wie in Österreich.
APA/AFP/PATRICIA DE MELO MOREIRA

Travis Scott hat einen Lauf. Hierzulande wochenlang in den Charts auf Nummer eins zu sein ist dabei eher eine Fußnote. Der US-Rapper ist einer der größten Stars bei sich zu Hause, einer, hinter dem eine Marketingmaschine steht, die eigentlich alles verkaufen könnte. Und Scott selbst ist nicht zimperlich, er warb bereits für Nike, McDonald’s, Luis Vuitton oder Dior. Für alles, was so ein Straßengangster halt braucht, wenn er stilecht vor die Tür tritt.

Sein neues Album heißt Utopia und ist sein viertes seit 2015. Der in Houston in Texas als Jacques Berman Webster geborene Rapper hat ab Mitte Mai beständig Hinweise auf ein anstehendes neues Werk in der Öffentlichkeit platzieren lassen. Da trug sein Bodyguard plötzlich eine Aktentasche mit dem Schriftzug "Utopia". Das Nike-Logo wurde in den sozialen Medien mit dem Schriftzug "Utopia" verbreitet, später stellte Scott das Abbey Road-Cover der Beatles nach, bald darauf erfuhren seine Fans, dass er in den Abbey Road Studios aufnehmen soll, und befreundete Musiker wie The Weeknd wurden mit "Utopia"-Bezügen gesichtet. Eine Marketing-Choreografie, die sich über zwei Monate erstreckte – bis Ende Juli das so betitelte Werk tatsächlich erschien. Seitdem zeigt die Kurskurve Scotts steil nach oben. Ausgemacht war das nicht.

Zwar wurden viele Fäden gezogen, doch Scott war nach dem 5. November 2021 plötzlich noch schwerer zu vermitteln als zuvor. Vor diesem Tag war er höchstens mit ein paar zur Folklore von Rappern gehörenden Wickeln aufgefallen und damit, dass er zu jenen seiner Zunft zählt, die den Moshpit in den Rap gebracht haben sollen. Das ist, wenn man Konzerte von Public Enemy oder N.W.A gesehen hat, zwar ein bisserl ein Mythos, aber egal.

Travis Scott - GOD'S COUNTRY (Official Music Video)
TravisScottVEVO

Der Moshpit ist jener Bereich vor der Bühne, in dem es im Punk oder bei härteren Rockkonzerten eher rustikal zugeht: full contact. Das scheint Scott zu mögen. Schon bei einem Auftritt beim Festival Lollapalooza rief er das Publikum dazu auf, die Sicherheitsregeln zu ignorieren. Das bescherte ihm einen schwierigen Ruf in einer getakteten Welt. Dann kam der 5. November 2021.

Hilfreich liiert

Bei dem Astroworld-Festival, das Scott rund um seine Person in der Vergangenheit dreimal veranstaltet hatte, kam es während seines Auftritts zu einer tödlichen Massenpanik. Zehn Menschen starben, und rund dreihundert wurden verletzt.

Viele machten Scotts zögerliches Verhalten auf der Bühne dafür mitverantwortlich, untermauert von etlichen Handyvideos, die das Drama dokumentiert hatten. Was man heutzutage halt so macht, wenn andere in der Nähe in existenzielle Not geraten. Denn Scott spielte weiter, nachdem er bereits bemerkt haben musste, was sich im Publikum abspielt. Er meinte später, hätte er abgebrochen, wäre es noch schlimmer geworden.

Es folgten eine mäßig gelungene Entschuldigung Scotts, juristische Nachspiele und gewissermaßen Blutflecken auf seiner Reputation. Das hätte das Ende seiner Karriere bedeuten können, doch Scott war da bereits "too big to fail".

Medienmacht im Netz

Ab 2017 war er mit Kylie Jenner liiert, einer heute 26-jährigen Social-Media-Persönlichkeit und Unternehmerin, deren Karriere im Sog der Kardashians begonnen hat. Jenner soll die fünftgrößte Fan-Community auf Instagram besitzen, das bedeutet Power. Mit Jenner hat Scott zwei Kinder, seine Vernetzung mit den wichtigsten Playern der Werbewelt wird nicht zuletzt dem Einfluss seiner früheren Lebensgefährtin zugeschrieben. Das zeitigt eine Präsenz, die Scott zu nutzen wusste, die seine eigene Marke ebenfalls aufwertete.

Die Toten und Verletzten waren schnell vergessen, mit der Cactus Jack Foundation betreibt der 32-Jährige in seiner Heimatstadt Houston eine wohltätige Einrichtung, die Kinder und Jugendliche fördert und bei ihrer Ausbildung unterstützt. Mit Jenner hat er sich im Jänner endgültig auseinandergelebt. Ja, und dann ist da noch die Musik.

Travis Scott, Bad Bunny, The Weeknd - K-POP (Official Music Video)
om/
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Die ist eine seltsame Mischung aus Einflüssen aus der Rockwelt und dem Hip-Hop der iPhone-Generation. Als wesentliche Einflüsse nennt er Björk ebenso wie Radiohead oder den Folkie Bon Iver. Daraus produziert er stark manipulierte Tracks, die Pop ebenso beleihen wie Trap. Es säuselt gewaltig in seinem Universum.

KI als Auszeichnung

Dutzende Charts-Platzierungen sind ihm damit weltweit gelungen, Travis Scott zählt zu den großen Namen im Pop. In dem Ausmaß, dass sich neulich sogar der anonyme Produzent Ghostwriter für seine jüngste Veröffentlichung bei Scott bediente.

Der mit künstlicher Intelligenz (KI) produzierende Unbekannte zog im Frühjahr weltweite Aufmerksamkeit auf sich, als er einen Track produzierte und dazu mit KI die Stimmen von Drake und The Weeknd imitierte. Was vor ein paar Monaten noch eine Riesenaufregung war, wird jetzt bereits als Auszeichnung wahrgenommen – und die Musikindustrie überlegt, wie sie derlei Produkte in ihre Wertschöpfungskette integrieren kann. Wer weiß, vielleicht hat Scott schon bald sehr viel Zeit für seine beiden Kinder. (Karl Fluch, 10.9.2023)