Paragleiter Berge
Wer paragleiten möchte, aber Angst vor dem Fliegen hat, kann trocken mit virtueller Realität üben.
AFP/EMMANUEL DUNAND

Der im Normalfall auf der Erde unüberwindbaren Schwerkraft ein Schnippchen schlagen. Frei wie ein Vogel durch die Luft schweben. Scheinbar endlose Landschaften bewundern, während man mit dem Fallschirm elegant dem Tal entgegengleitet. Für die Mehrzahl der Menschen bleiben solche Träume unerfüllt. Meist fehlt es an Mut, Gelegenheit oder Vertrauen in die körperliche Eignung für solche Aktivitäten.

An der Fachhochschule Kufstein in Tirol hingegen kann man das außergewöhnliche Erlebnis des Paraglidens seit einiger Zeit ganz risikofrei genießen. Studierende des Masterstudiengangs Web Communications & Information Systems haben innerhalb von zwei Semestern ein Virtual-Reality-Spiel geschaffen, in dem man virtuell über das Tiroler Unterland fliegen kann.

Lebensnahes Gefühl

Um das Erlebnis so lebensnah wie möglich zu gestalten, sitzt man dabei mit VR-Brille auf dem Kopf in einem professionellen Gleitschirmsitz, der mittels zweier Seile an der Decke des VR-Labors befestigt ist. An den beiden Seilen ist je ein Sensor angebracht, der den Zug des Spielers in ein elektrisches Signal umwandelt, das dann wiederum in der VR-Umgebung eine Veränderung der Geometrie des virtuellen Schirms auslöst.

Dabei gilt: Je stärker der Zug am Seil, desto stärker die Auswirkung in der künstlichen Welt. "Dadurch wird das Fluggefühl angenehmer und realistischer, Neigung und Beweglichkeit sind ähnlich wie beim echten Paragliden", sagt Michael Kohlegger, Vizerektor der FH Kufstein und als Studiengangsleiter verantwortlich für das Paraglider-Projekt sowie für die VR-Forschung an der Fachhochschule.

Gleitschirm Grafik Berge
Um ein möglichst realistisches Körpergefühl beim virtuellen Paragliden zu erzeugen, entwickelten die Studierenden an der FH Kufstein Tirol ihre eigene Virtual-Reality-Plattform.
FH Kufstein Tirol

Hauseigene Plattform

Die jeweilige Hardwareplattform, in diesem konkreten Fall der Gleitschirmsitz, ist stets der Ausgangspunkt eines VR-Projektes. Anfangs arbeiteten die Kufsteiner noch mit kommerziell erhältlichen Plattformen, etwa dem 3000 Euro teuren VR-Sportgerät Icaros. Inzwischen entwickeln sie ihre eigenen.

Hauptaufgabe ist dabei stets, ein möglichst realistisches Körpergefühl zu ermöglichen, indem die Bewegungen der virtuellen Spielwelt real auf den Körper übertragen werden – und umgekehrt Körperbewegungen sich ohne Verzögerung auf die virtuelle Welt auswirken.

"Das ist die größte Herausforderung", erklärt Kohlegger. "Wenn der Körper etwas anderes spürt, als die Augen in der virtuellen Realität sehen, dann bekommt man leicht die Reisekrankheit, es wird einem schwindlig und übel."

Simulierte Umgebung

Dieses auch als "motion sickness" bekannte Phänomen und wie man es am besten verhindert, ist Gegenstand intensiver Forschung. Sobald ein Hardwareprototyp mechanisch so weit optimiert ist, dass er die gewünschten Bewegungsmuster möglichst lebensecht umsetzt, erfolgt die Entwicklung der VR-Umgebung selbst.

Dabei werden die künstlichen Landschaften und die darin befindlichen Objekte programmiert, die man benötigt, um eine realistische Spielatmosphäre zu schaffen. "Zuletzt versuchen wir, die dahinter liegende Physik zu simulieren", sagt Kohlegger. "Beim Paragliden gehören dazu unter anderem Sinkraten, Beschleunigungen, Thermiksäulen und so weiter."

Frau in Paraglidersitz
Auch Personen mit Flugsangst können mit dem virtuellen Paraglider testen, wie sich das Fliegen anfühlt.
FH Kufstein Tirol

Virtuelle Rodelbahn

Manchmal arbeiten die Forschenden mit Profis aus dem jeweiligen Bereich zusammen. Bereits vor einiger Zeit haben sie beispielsweise eine VR-Rodel-Anwendung entwickelt, bei der man in einer realen Rodel sitzt und dabei durch einen virtuellen Eiskanal rast. Die Entwicklung erfolgte in Kooperation mit dem Österreichischen Rodelverband und den beiden Olympiasiegern Andreas und Wolfgang Linger. Ein Exemplar des VR-Rodelsimulators steht heute im Rodelmuseum "Schlittenscheune Ilmenau" in Deutschland und kann dort von Besuchern benutzt werden.

Eine kommerzielle Verwertung der VR-Projekte ist gegenwärtig hingegen nicht geplant, so Kohlegger: "Für uns sind das reine Forschungsprojekte, in denen die Studierenden lernen, wie man gute VR-Anwendungen entwickelt." Als Trainingsgerät für Profisportler eignen sich sowieso weder die virtuelle Rodel noch der Paraglider, schränkt der Wissenschafter ein. Dafür seien die Möglichkeiten der virtuellen Realität, die Wirklichkeit abzubilden, zu beschränkt.

"Man spürt beispielsweise keinen Fahrtwind, man spürt nicht die Beschleunigungskräfte, die in der Wirklichkeit auf den Körper einwirken", sagt Kohlegger. "Je rasanter und intensiver eine Sportart ist, desto weniger eignet sich virtuelle Realität, um sie zu simulieren. Je langsamer und gemächlicher sie ist, desto besser eignet sie sich."

Erstes Trockentraining

Während professionelle Athleten mit ihrem fein an die Sportart angepassten Körperempfinden von der virtuellen Realität unterfordert sind, gilt das für Amateure oder Sportlaien nicht. Sie können deshalb nicht nur jede Menge Spaß beim virtuellen Sporteln haben, sondern auch etwas dabei lernen. So wäre es grundsätzlich denkbar, etwa den Paragliderflug als Trockentraining für Anfänger anzubieten, um bestimmte Handgriffe und Sicherheitsabläufe damit zu üben. (Raimund Lang, 9.9.2023)