Ein neuer Tag, ein neuer Coup in Afrika. Der Kontinent erlebt eine Welle an Staatsstreichen wie seit Jahrzehnten nicht mehr: In den vergangenen drei Jahren haben Militärs neunmal in einem Staat die Macht an sich gerissen, fünf weitere Male führten Putschversuche nicht zum Erfolg. Der jüngste Coup ereignete sich am frühen Mittwochmorgen in dem zentralafrikanischen Kleinstaat Gabun – wenige Stunden nachdem die Wahlkommission des Landes die Ergebnisse der Abstimmung vom vergangenen Samstag bekanntgegeben hatte. Danach soll der seit 14 Jahren regierende Ali Bongo Ondimba den Urnengang mit über 64 Prozent im ersten Wahlgang gewonnen haben – gegenüber seinem Herausforderer Albert Ondo Ossa, der angeblich auf knapp 31 Prozent der Stimmen kam.

Jubelnde Bewohnerinnen und Bewohner.
IMAGO/Desirey Minkoh/Afrikimages

Nach der Bekanntgabe des Wahlresultats soll es in Gabuns Hauptstadt Libreville vereinzelt zu Schießereien gekommen sein. Wenig später traten im TV-Sender Gabon 24 ein Dutzend Offiziere auf. Einer der Uniformierten las eine Stellungnahme vor, in der die Regierung Bongos für abgesetzt und die Wahlen für annulliert erklärt wurden. Der Urnengang habe "nicht die Bedingungen für eine transparente, glaubwürdige und inklusive Abstimmung erfüllt", hieß es. Darüber hinaus habe sich Bongos Regierungsführung als "unverantwortlich und unberechenbar" erwiesen. Sämtliche Institutionen des Staats seien aufgelöst, hieß es weiter: darunter die Regierung, die beiden Kammern des Parlaments, das Verfassungsgericht und die Wahlkommission. Die Erklärung endete mit den Worten: "Volk Gabuns, wir befinden uns endlich auf dem Weg zum Glück."

Genugtuung in der Bevölkerung

Ferner gaben die Putschisten die Gründung eines "Komitees für den Übergang und die Wiederherstellung der Institutionen" bekannt, dessen Vorsitzender, der Chef der Präsidentengarde Brice Oligui Nguema, die Regierungsgeschäfte führen werde. Präsident Bongo befinde sich unter Hausarrest. Von der Bevölkerung wurde der Coup offensichtlich mit Genugtuung aufgenommen: Tausende von Menschen zogen am Mittwochmorgen feiernd durch die Straßen Librevilles.

Nach Angaben der Opposition waren die Wahlen massiv manipuliert. Ihren eigenen Hochrechnungen zufolge habe ihr Kandidat Ossa rund 70 Prozent der Stimmen erhalten. Schon bei den Wahlen vor sieben Jahren war es nach der Bekanntgabe der angeblichen Ergebnisse zu gewalttätigen Protesten gekommen, denen mehrere Personen zum Opfer fielen. Dieses Mal verhängte die Regierung nach der Abstimmung eine Ausgangssperre und ließ den Zugang zum Internet blockieren. Der seit 14 Jahren regierende Ali Bongo suchte eine dritte Amtszeit: Vor ihm hatte sein Vater Omar Bongo 42 Jahre lang regiert.

Kleptokratische Dynastie

In seiner 63-jährigen Geschichte kannte das 1960 von Frankreich unabhängig gewordene Gabun nur drei Präsidenten. Den zu 90 Prozent von Urwald bedeckten Staat regierte 55 Jahre lang die als kleptokratisch und korrupt geltende "Bongo-Dynastie". Obwohl das Land der viertgrößte Erdölexporteur Afrikas ist und große Mengen an Kakaobohnen produziert, lebt ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, rund 40 Prozent der unter 24-jährigen Gabunerinnen und Gabuner sind arbeitslos.

Grafik Gabun und Militärputsche in Afrika
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Paris verfolge die Entwicklungen mit "größter Aufmerksamkeit", gab Frankreichs Premierministerin Elisabeth Borne am Mittwochmorgen bekannt. Die neun Coups der vergangenen Jahre fanden – mit Ausnahme Sudans – alle in ehemaligen französischen Kolonien statt: ein Umstand, der Kennern des Kontinents zu denken gibt. Allerdings ist der Staatsstreich in Gabun mit denen in der Sahelzone nur bedingt zu vergleichen: Während die Coups in Mali, Burkina Faso sowie dem Niger mit den Umtrieben der islamistischen Extremisten, den sich verschlechternden klimatischen Bedingungen oder auch mit dem Ehrgeiz hoher Offiziere in Zusammenhang gebracht werden, galt der Coup in Gabun einem kleptokratischen Regime und kommt damit einem sogenannten "guten Putsch" am nächsten.

Trotzdem bringt dieser Coup Afrikas Staatschefs noch tiefer in die Bredouille. Um die Putschlawine zu stoppen, müssten sie ein Exempel statuieren und – wie es der westafrikanische Staatenbund Ecowas am Beispiel des Nigers versuchte – mit Kompromisslosigkeit bis hin zur militärischen Intervention reagieren. Eine derartige Intervention ist jedoch sowohl politisch wie militärisch äußerst prekär: Sie wird deshalb aller Wahrscheinlichkeit nach auch im Niger nicht zustande kommen – in Gabun ist das ganz undenkbar. Auch Sanktionen kommen hier nicht infrage: Sie schädigen in den meisten Fällen ohnehin vor allem die Bevölkerung, die nicht unbedingt hinter den Putschisten steht. Aus ihrem Dilemma helfen sich die demokratisch gewählten Staatschefs, indem sie sich meist auf die Forderung nach einer schnellen Rückkehr zur Demokratie beschränken: Zur Abschreckung künftiger Putschisten trägt das nicht bei.

Hinzu kommt, dass ausländische Regierungen auf Coups sehr unterschiedlich zu reagieren pflegen. Das Statut der Afrikanischen Union schreibt eigentlich die Suspendierung von Militärregierungen aus dem Bündnis vor. Doch aus strategischen Gründen ist das nicht immer der Fall – wie im Tschad vor zwei Jahren oder in Simbabwe im Jahr 2017. In Gabun ist die Lage noch komplizierter, weil der Staatsstreich eindeutig als Reaktion auf zweifelhafte Wahlen zu verstehen ist – ein Problem, das in Afrika immer akuter wird. Autokraten haben ein derartiges Arsenal zur Manipulation von Urnengängen entwickelt, dass diese immer unglaubwürdiger werden. Auf diese Weise gerät die Demokratie in Afrika zunehmend unter Druck: Wenn sich die Afrikanische Union nicht etwas einfallen lässt, wird sie auf dem Kontinent womöglich gar nicht mehr zu retten sein. (Johannes Dieterich, 30.8.2023)