Nur noch ganz wenige Einwohner Kapfenbergs erinnern sich an jene Tage im Zweiten Weltkrieg, an denen der spätere SPÖ-Bürgermeister Franz Fekete mit seiner schwarzen Uniform durch die Straßen der steirischen Industriestadt stolzierte. Es war jene Uniform, die er auch zuvor trug, als er Gefangene im Konzentrationslager Buchenwald bewachte. Fekete war Mitglied der SS, der "Totenkopf"-Division.

Jahrzehnte später, im vergangenen Herbst, sorgte ein Unteroffizier des Bundesheeres für internationale Schlagzeilen, nachdem er mit einer selbstgeschneiderten SS-Uniform spazieren gegangen war, in seiner Wiener Kaserne den Hitlergruß gezeigt hatte und daraufhin nicht entlassen worden war.

Der spätere SPÖ-Bürgermeister in seiner SS-Uniform.
Foto: Markus Sulzbacher

Der Soldat kam mit einer Geldstrafe davon, obwohl er zuvor von einem Geschworenengericht zehn Monate bedingt wegen NS-Wiederbetätigung bekam. Neben einem Reichsadler und einem Hakenkreuz hatte er auf seiner Uniform auch einen Aufnäher mit dem SS-Symbol angebracht, wie von ihm im Internet veröffentlichte Fotos zeigten.

Untrennbar mit der Shoah verbunden 

SS, das ist das Kürzel einer Organisation, die untrennbar mit der Ermordung der europäischen Juden und Jüdinnen verbunden ist. Die Schutzstaffel (SS) stellte die Wachen und die organisatorische Leitung für die Konzentrationslager, ihre Mitglieder verübten selbst noch in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs schwerste Verbrechen.

Eines ereignete sich am Peršmanhof oberhalb von Bad Eisenkappel / Železna Kapla in Koroška/Kärnten. Der Peršmanhof war ein wichtiger Stützpunkt der Partisanen und Partisaninnen im Widerstand gegen die Nazis. Als eine SS-Einheit angriff, waren die Partisanen und Partisaninnen wieder in den umliegenden Wäldern, die Familie auf dem Hof wurde ermordet. Dem Massaker fielen vier Erwachsene und sieben Kinder zum Opfer. Vier Kinder überlebten, davon drei schwerverletzt. Für Menschen auf der ganzen Welt ist SS das Synonym für das Böse schlechthin.

Die SS bei einer Razzia im Warschauer Ghetto 1943.
Archiv

In den vergangenen Wochen waren diese Symbole Gegenstand der überregionalen Berichterstattung. Im Strandbad am Klopeiner See in Kärnten stellte ein Mann seine Tätowierung mit den zwei gezackten "S" öffentlich zur Schau. Wenige Tage zuvor fiel in Oberösterreich im Braunauer Freibad ein Mann mit einschlägigen Tattoos auf, darunter eine Schwarze Sonne. Dieses SS-Symbol ist auch auf Demonstrationen von Rechtsextremen in Wien zu sehen (ebenso wie auf Uniformen mancher ukrainischer Soldaten und Soldatinnen).

Beide Symbole sind in Österreich verboten, immer wieder gibt es Verurteilungen nach dem NS-Verbotsgesetz oder dem Abzeichengesetz.

Runenwahn der Nazis

Die SS selbst verstand ihr Symbol, das auf Kragenspiegeln, an Mützen und Stahlhelmen getragen, auf Fahnen gezeigt und mit speziell ausgestatteten Schreibmaschinen in Briefen geschrieben wurde, als Anlehnung an einen Buchstaben des angeblich germanischen Ur-Alphabets, die traditionelle "S"-Rune.

Das passte perfekt zum Germanenwahn vieler Nationalsozialisten. Sie bewunderten die alten Germanen. Diese galten als kampfeslustige Krieger, mutige Eroberer und anderen Völkern kulturell weit überlegen – als Inbegriff einer blonden und blauäugigen Herrscherrasse, von der die Deutschen angeblich abstammten. Ein Mythos, den die Nazi-Ideologen gezielt verbreiteten, um ihre vom Rassenwahn geprägte Eroberungspolitik zu rechtfertigen. Auch wenn in der NS-Zeit die Behauptung, die Runenschrift sei ganz autonom im germanischen Kulturkreis entstanden, Dogma war, so bestehen heute kaum mehr Zweifel daran, dass diese nach einem Vorbild aus dem Mittelmeerraum geschaffen wurde.

Grafiker entwarf SS-Symbol

Das SS-Symbol hatte einen anderen Ursprung. Es wurde vom deutschen Grafiker Walter Heck entworfen, der 1929 für das Design lediglich 2,50 Reichsmark bekam. Zwei breite Striche, leicht schräg und etwas überlappend nebeneinander gesetzt, ergaben in der Anmutung ein "S". Ein ähnliches Symbol war seinerzeit in Deutschland schon millionenfach in Gebrauch – ein Blitz als Warnung vor Hochspannung. Verdoppelt ergab das SS in der bekannten Form. Einfach wurde es als Symbol des Jungvolks der Hitlerjugend genutzt, der Jungen zwischen zehn und 14 Jahren.

Der Grafiker Heck forderte später eine angemessene Entlohnung für sein Werk. Ihm wurde ein Haus versprochen, allerdings erst mit Kriegsende.

In der Runenforschung gibt es weiterhin eine Vielzahl von offenen Fragen, man weiß im Grunde wenig. Das führt dazu, dass Laien und Schwarmgeister dort ein Betätigungsfeld haben, sagt der Historiker Ulrich Hunger in der ZDF-Dokumentation "Zeichen des Bösen – Die Runen der SS" dazu.

Ausgedacht von einem Obskuranten aus Wien

Schon Jahre vor der Gründung der NSDAP, um die Jahrhundertwende, wurden Runen völkisch aufgeladen. Der in Wien lebende völkische Schriftsteller, Judenhasser, Obskurant und Esoteriker Guido List, der sich selbst "Guido von List" nannte, erklärte Runen zu den Bewahrern der "alt-arischen Weltanschauung", wie er in seinem Buch "Das Geheimnis der Runen" schrieb. Er war einer jener Okkultisten, die den Nazis die Vorstellung vom arischen Übermenschen lieferten, und er war auch einer der Hauptanreger des Runenkults im Nationalsozialismus. Sie instrumentalisierten die Runenzeichen ganz bewusst für ihre eigene rechtsextremistische Symbolik.

Der Wiener Obskurant und Schriftsteller Guido List. Auf Basis von Visionen und hellseherischen Eingebungen hat er sich die Bedeutung von Runen ausgedacht.
Bundesarchiv

Dabei hat sich List Bedeutungen für Runen einfach ausgedacht, auf Basis von Visionen und hellseherischen Eingebungen, während er nach einer Augenoperation für einige Monate erblindet war, wie er erklärte. So machte er aus der "S"-Rune, deren Name eigentlich "Sonne" bedeutet, die "Sig"-Rune, die laut List für "Heil und Sieg" stehe, einen ur-arischen Gruß- und Kampfruf.

Auszug aus dem Buch "Das Geheimnis der Runen" von Guido List. Mitglied der Guido-List-Gesellschaft war auch der Wiener Bürgermeister Karl Lueger.
Screenshot: Markus Sulzbacher

Diese Fantasievorstellungen sowie die angebliche Verbindung zu den Ariern passten den Nationalsozialisten ins Konzept. SS-Divisionen bedienten sich Runen oder Runen-ähnlicher Symbole und trugen sie als Erkennungszeichen. Etwa die SS-Division Hitlerjugend, die ein einfaches "S" mit einem Schlüssel nutzte. Die Tiwaz- oder Tyr-Rune wurde als Kennzeichen der 32. SS-Freiwilligen-Grenadier-Division "30. Januar" sowie als Erkennungszeichen der Hitlerjugend und als Abzeichen der SA-Reichsführerschulen verwendet. Bei den Germanen wurde sie höchstwahrscheinlich als Zeichen für den Himmels- und Kriegsgott Tyr verwendet.

Verboten laut Abzeichengesetz

Das ist auch mit ein Grund, warum diese Symbole in Österreich seit Jahrzehnten verboten sind. "Abzeichen, Uniformen oder Uniformteile einer in Österreich verbotenen Organisation dürfen öffentlich weder getragen noch zur Schau gestellt, dargestellt oder verbreitet werden. Als Abzeichen sind auch Embleme, Symbole und Kennzeichen anzusehen", heißt es dazu im Abzeichengesetz, das 1960 vom Parlament beschlossen wurde. Und verboten sind alle mit der NSDAP verbundenen Organisationen, wie eben die SS.

Unter der NS-Herrschaft bedeuteten diese Symbole Macht und Vorteile. Das Gegenteil waren der Judenstern oder der Häftlingswinkel, den Häftlinge in den KZs tragen mussten.

Die Winkel der KZ-Häftlinge.
Wikipedia

Neonazis und Kiss

Nach 1945 griffen neonazistische Gruppen auf die Runen zurück. So wählte der österreichische Neonazi Norbert Burger die Elhaz(ᛉ)-Rune als Symbol seiner Nationaldemokratischen Partei, die er 1967 gründete und die 1988 wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung aufgelöst wurde.

Foto: APA
Simon Wiesenthal bei einem Protest in Wien.
Foto: APA

Aber Runen werden nicht nur von Neonazis verwendet, sondern auch von Neuheiden und Menschen, die einfach nur von nordischer Geschichte fasziniert sind. Musikgruppen wie die Hard-Rock-Band Kiss nutzen sie, um aufzufallen bzw. aus Unwissenheit.

Schwarze Sonne als Ersatzhakenkreuz

Nicht nur die abstruse germanische Runenesoterik stammt von einem Österreicher, sondern auch die Schwarze Sonne, die von Rechtsextremen gerne als Ersatzhakenkreuz verwendet wird.

Die Schwarze Sonne kann entweder als drei übereinandergelegte Hakenkreuze oder als Rad aus zwölf Sig-Runen gedeutet werden. Die SS ließ das Symbol von KZ-Gefangenen in den Boden ihrer Kultstätte, der Wewelsburg bei Paderborn, einlassen. Das Design für die Schwarze Sonne stammt (mit hoher Wahrscheinlichkeit) von Karl Maria Willigut, der dem SS-Führer Heinrich Himmler als spiritueller Berater zur Seite stand.

Wünschelruten und "Ur-Arier" 

Himmler machte aus der Leib- und Prügeltruppe Hitlers einen "Schwarzen Orden", die angebliche Elitetruppe des sogenannten Dritten Reiches. Er glaubte, das Universum sei durch eine Mutation von Eis entstanden, begeisterte sich für das Wünschelrutenwesen und wollte das Christentum durch eine Art Germanentum ersetzen. Im Jahr 1938 schickte er eine SS-Expedition nach Tibet, die dort nach einer blondgelockten "Wurzelrasse", den "Ur-Ariern", suchen sollte.

"Himmlers Rasputin"

Der in Wien geborene Willigut war ein ehemaliger Offizier der k. u. k. Armee, der sich nach seiner Pensionierung in den 1920er-Jahren als "Weisthor" einen Namen unter "nordischen" Okkultisten machte. Er behauptete, als Nachfahre germanischer Könige über eine hellseherische "Erberinnerung" zu verfügen.

Die Schwarze Sonne in der Wewelsburg. Erdacht von einem SS-Mann aus Österreich.
Foto: AP

Aufgrund seines Einflusses wurde er auch als "Himmlers Rasputin" bezeichnet, nach dem Wanderprediger, der als Einflüsterer am Hof von Zar Nikolaus II., dem letzten russischen Monarchen, wirkte. Willigut entwarf den Totenkopf-Ring der SS, befasste sich mit Runen und war an der Entwicklung der SS-Rituale beteiligt.

Übergriffe auf seine Frau

Allerdings hatte Willigut Himmler verschwiegen, dass er nach gewaltsamen Übergriffen auf seine Frau entmündigt worden war und die Jahre von 1924 bis 1927 in einer Nervenheilanstalt in Salzburg verbracht hatte. 1932 floh Willigut vor seiner Familie nach Deutschland, wo er 1933 der SS beitrat. Im August 1939 musste er sie wieder verlassen, weil er zunehmend als Scharlatan entlarvt wurde und wegen seines Medikamenten- und Alkoholmissbrauchs nicht mehr zu halten war. Auch wurde sein Aufenthalt in der Nervenklinik bekannt. Zudem hatte Hitler nunmehr öffentlich gegen den Okkultismus Stellung bezogen. Himmler distanzierte sich, hielt aber Kontakt.

Die von Willigut entworfene Schwarze Sonne ist ein originäres NS-Symbol, auch wenn es während der Nazizeit nur wenig Verbreitung gefunden hat. (Markus Sulzbacher, 5.9.2023)

Der STANDARD-Watchblog:

Recherchen und Analysen zu Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus, Islamismus und Hass im Netz von Markus Sulzbacher.