Kalvarienbergkirche Bruck an der Mur
Der Zahn der Zeit nagt an der Kirche "zum blutschwitzenden Heiland". Die Menschen haben über die Jahrzehnte nachgeholfen.
Michael Windisch

Der blutschwitzende Heiland atmet nicht mehr. Verlassen und verfallen liegt das Kirchlein gleichen Namens auf dem Kalvarienberg über dem obersteirischen Bruck an der Mur. Der Putz ist längst bis zum Mauerwerk abgebröckelt, die Fensterscheiben hängen in Scherben in den Rahmen, ein Loch in der Wand gibt den Blick in die ehemalige Sakristei frei. Im Inneren zeichnet sich ein ähnliches Bild: Die Bänke modern vor sich hin, die Wandmalereien verblassen. Ein früherer Besucher hat auf dem, was vom Altar geblieben ist, eine Wasserflasche hinterlassen. Auf dem Boden liegt verstaubt ein leerer Kanister Flüssigwachs, das einst als Brandmittel für die Kerzen diente.

Am Fuße des Berges rollt donnernd der Verkehr der Schnellstraße durchs Murtal, auf den Kalvarienberg aber führt nur ein Forstweg durch den Wald. Dass hier jahrhundertelang Gottesdienste gefeiert wurden, wohl auch Hochzeiten, hohe Messen an Feiertagen: alles sehr weit weg. Und irgendwie passt das. Denn die Kirche hat das Gotteshaus nie gewollt.

Kalvarienbergkirche Bruck an der Mur
Ein verlassener Gekreuzigter blickt auf die Kirche.
Michael Windisch

Es sind die Bürgerinnen und Bürger von Bruck an der Mur, die 1716, inmitten einer Pestepidemie, das Gelübde abgeben: Wenn Gott sie von der Seuche befreit, dann bauen sie ihm eine neue Kirche. Gott lässt mit sich reden, die Pest verschwindet. Der Pfarre Bruck ist das Gotteshaus aber ein Dorn im Auge: "Als die Bauarbeiten 1719 begannen, hat mein Vorgänger an den Bürgermeister geschrieben: 'Wir brauchen diese Kirche nicht'", erzählt der heutige Brucker Pfarrer Clemens Grill. Denn schon damals gibt es zu viele Kirchen für die kleine Stadt. So bleibt die Kirche auf dem Kalvarienberg – deren Name an die Passion Jesu erinnert – zunächst im Besitz der Stadtgemeinde. Erst Jahre später geht sie im 19. Jahrhundert in das Eigentum der Pfarre über.

Ein Hakenkreuz auf dem Dach

Doch über die Verantwortung für das Gotteshaus herrscht weiter keine Einigkeit. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ist die Kirche dringend sanierungsbedürftig. Das Geld aber fehlt. In einer Gemeinderatssitzung im Juni 1926 streiten die politischen Lager darüber, ob die Stadt sich an den Kosten beteiligen soll. Der "Arbeiterwille", das Parteiorgan der steirischen Sozialdemokratie, schreibt von insgesamt "10.000 Schilling oder 100 Millionen Kronen". Der sozialdemokratische Vizebürgermeister greift in seiner Rede die Gründungsgeschichte der Kirche auf. Mit der wirtschaftlich schwierigen Lage der Nachkriegszeit sei "über Österreich auch ein pestähnlicher Zustand hereingebrochen", zitiert ihn der "Arbeiterwille". Es wäre "unverantwortlich, anstatt zur Linderung der Not der Arbeitslosen für die Herstellung einer Kapelle so viel Geld auszugeben".

Für eine teilweise Übernahme der Kosten durch die öffentliche Hand hingegen sprechen sich neben den Christlichsozialen auch die Nationalsozialisten aus. Erst drei Jahre später berichtet das "Grazer Tagblatt" von einer Einigung: Die Stadt übernimmt ein Drittel der Kosten, ein Kirchenbauverein geht bei der Bürgerschaft auf Spendentournee.

Kalvarienbergkirche Bruck an der Mur. 
Die Heiligenstatuen wurden schon in den 1970ern gestohlen.
Michael Windisch

Wenige Jahre später schafft es die Kirche auf dem Kalvarienberg wieder aus politischen Gründen in die Schlagzeilen. Am Morgen des 19. August 1933 prangt auf ihrem Dach ein fünf Meter großes Hakenkreuz – das Symbol der erst zwei Monate zuvor in Österreich verbotenen NSDAP. Ein 20-jähriger Dachdecker wird als Tatverdächtiger festgenommen. Die Schindeln werden umgedeckt: Weiße Flecken bleiben danach zu sehen, das Hakenkreuz ist jedoch nicht mehr erkennbar.

Nach dem Zweiten Weltkrieg finden in der ungeliebten und umstrittenen Kirche immer weniger Messen statt. Ein Blitzschlag ist wohl dafür ausschlaggebend, dass der Brucker Pfarrer Viktor Ziesel die Kirche aufgibt, 1969 den letzten Gottesdienst in ihr abhält – und sie dem Verfall preisgibt. Verbliebene Heiligenstatuen werden 1974 gestohlen, 1990 nimmt das Dach bei einer Brandstiftung Schaden. Von barockem Prunk ist bald nur mehr eine Erinnerung übrig.

Kalvarienbergkirche Bruck an der Mur
Eine verwelkte Palme aus Metall.
Michael Windisch

"Wenigstens ein End'"

Statt des Gebets ist es bis heute die Gewalt, die von dem Gebäude Besitz ergreift. "Wir bringen den Vandalismus gar nicht mehr zur Anzeige", sagt Pfarrer Grill. "Das ist eine müßige Angelegenheit. Keine Versicherung der Welt würde uns für die Schäden noch etwas bezahlen."

Für Grill ist die Kirche daher "eine Last". Sie abzureißen ist wegen des bestehenden Denkmalschutzes allerdings keine Option: "Es ist vielleicht ein ketzerischer Gedanke, aber dann hätte das Ganze wenigstens ein End’." Gleichzeitig sieht er die Kirche als "wichtiges Monument". Immer wieder meldeten sich "beherzte Menschen, die sagen, sie hätten eine Idee, oder finden, man müsste doch etwas tun". Auch regionale Medien springen immer wieder auf den Zug auf.

Kalvarienbergkirche Bruck an der Mur
Leere Bänke: Der Rückgang der Kirchenmitglieder macht eine Renovierung der Kirche nicht wahrscheinlicher.
Michael Windisch

Doch was tun? Die Kosten einer Renovierung würden in die Millionenhöhe gehen. Das ist in Zeiten sinkender Kirchenmitgliederzahlen schwer zu argumentieren: "Wir hatten im Vorjahr so viele Kirchenaustritte wie noch nie in den 16 Jahren, seitdem ich Priester bin", erzählt Grill. Zudem habe die römisch-katholische Pfarre Bruck an der Mur – wie schon im 18. Jahrhundert – noch immer zu viele Kirchen. Eine davon, die Minoritenkirche, wird seit 2021 von der rumänisch-orthodoxen Gemeinde verwendet. Eine weitere ehemalige Kirche – die direkt am Schnellstraßenkreuz gelegene Heiligen-Geist-Kapelle – stand genauso jahrzehntelang leer, wurde ab 2011 aufwendig restauriert, 2020 wiedereröffnet und ist seitdem wieder ohne Verwendung.

Strenggenommen ist die Kirche zum blutschwitzenden Heiland auf dem Kalvarienberg kein Gotteshaus mehr. 2018 wurde sie profaniert, ist kirchenrechtlich nur mehr ein beliebiges Gebäude im Besitz der Pfarre – das eben noch aussieht wie eine Kirche. An seinem Schicksal ändert das nichts. Erst im Juni wurde die schwere Eisentür von Unbekannten aus den Angeln gerissen und musste repariert werden. Seitdem ist die Kirche, die zuvor offen gestanden war, fest verschlossen. Und wartet weiter darauf, was mit ihr passiert. (Michael Windisch, 4.9.2023)

Kalvarienbergkirche Bruck an der Mur. 
Das Tor der Kirche ist mittlerweile fest verschlossen.
Michael Windisch