Netrebko
Opernsängerin Anna Netrebko anlässlich einer Premiere an der Mailänder Scala.
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New York / Wien – Am Mittwoch ist Opernstar Anna Netrebko im Wiener Konzerthaus bei einer konzertanten "Traviata" zu hören. Zuvor übte die 51-Jährige in einer am Donnerstag im US-Gerichtsregister veröffentlichten Klageschrift heftige Kritik an der New Yorker Metropolitan Opera, der sie im Zusammenhang mit 2022 abgesagten Auftritten Diskriminierung wegen ihrer Herkunft und ihres Geschlechts vorwirft. Und sie distanziert sich von Wladimir Putin.

Die russisch-österreichische Doppelstaatsbürgerin geht in der Klageschrift nicht nur auf Distanz zum russischen Präsidenten, sie beschreibt Russland auch als autoritären Staat mit Sippenhaftung. "Netrebko war nicht auf einer Linie mit Putin, sie hat Putin nicht unterstützt, sie wurde von Putin nicht unterstützt, stand in keiner engen Verbindung mit Putin, war keine Verbündete Putins und auch keine politische und ideologische Unterstützerin von Putin", widersprach die in Wien lebende Sängerin Äußerungen von Metropolitan-Opera-Direktor Peter Gelb, der mit seiner Institution auf einen "Verleumdungskreuzzug" gegen sie gezogen sei.

Ihre wenigen Begegnungen mit dem russischen Präsidenten hätten stets im Rahmen von öffentlichen und nichtpolitischen Veranstaltungen wie bei Überreichung eines Staatspreises, der Eröffnung eines Opernhauses oder der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spielen in Russland stattgefunden, sie habe den russischen Präsidenten nie zu einem Vieraugengespräch getroffen und hätte auch nie für ihn Wahlkampf betrieben. Zu ihrem gemeinsamen Foto mit dem prorussischen Politiker Oleg Zarjow, mit dem sie 2014 bei einer Pressekonferenz in St. Petersburg mit einer Flagge der von Russland unterstützten "Volksrepublik Donezk" posierte, wiederholte die Sängerin ihre bekannte Darstellung, dass sie die Flagge zunächst nicht erkannt habe, Separatisten in der Ukraine nicht unterstütze und sie eine Spende an die Donezker Oper nicht als politischen Akt gesehen habe.

Verurteilung sei "riskant"

Auch habe sie wenige Tage nach Beginn der russischen Invasion der Ukraine ihre Antikriegshaltung deutlich gemacht und etwa am 1. März 2022 Russland öffentlich aufgefordert, den "sinnlosen Aggressionskrieg" sofort zu beenden. Trotz strafrechtlicher Risiken im Zusammenhang mit russischen Zensurgesetzen habe Netrebko Begriffe wie "Krieg" und "Invasion" verwendet. Lediglich der expliziten Aufforderung der Met und Direktor Gelbs, namentlich auch Putin zu verurteilen, habe sie als russische Staatsbürgerin nicht nachkommen können. "Die Verurteilung von Putin kann für eine russische Person, ihre Familienmitglieder und enge Freunde, die in Russland leben, riskant sein", erläuterte sie.

Als Folge der Beendigung ihrer 20-jährigen Tätigkeit an der Met, in der sie knapp 200 Mal aufgetreten ist und wo sie führende Partien in sieben Inszenierungen gesungen hat, sei Netrebko zudem gezwungen gewesen, ihre 2006 erworbene New Yorker Wohnung zu verkaufen. Die Sängerin beschuldigte die Leitung der Metropolitan Opera konkret, den Abbruch einer 20 Jahre dauernden Vertragsbeziehung zu einer "russischen Diva" und "herrschenden Primadonna" bewusst für eine antirussische Werbekampagne und zur Positionierung als Unterstützer der Ukraine instrumentalisiert zu haben.

Denn die Oper in New York habe ihres Wissens von keinen weiteren Künstlern oder Künstlerinnen verlangt, vergleichbare öffentliche Erklärungen abzugeben. Ohne Namen zu nennen war im Text der Klage die Rede von Russen, deren Verträge an der Met weitergelaufen seien, obwohl sie zuvor in staatlich subventionierten russischen Theatern und auch bei politischen Events in Russland aufgetreten seien. "Die Met hat Netrebko diskriminiert, weil sie eine russische Frau ist", hieß es.

Achtfache Diskriminierung

In der Klage ist von acht Verletzungen der Antidiskriminierungsbestimmungen des Menschenrechtsgesetzes der Stadt New York, von Verleumdung und Vertragsbruch in Bezug auf Auftritte in den Opern "Tosca" und "Pique Dame" in der Saison 2024/25 sowie "Manon Lescaut" und "Macbeth" in der Saison 2025/26 die Rede. Im Zusammenhang mit ihren Verträgen verlange Netrebko eine Entschädigung von zumindest 360.000 Dollar (332.000 Euro), in den restlichen Punkten solle das Gericht angemessene Summen festlegen.

Das Vorgehen der Met und von Direktor Gelb habe dabei nicht nur für seelische Belastung und körperliches Leiden gesorgt, sondern auch ihre professionelle Reputation geschädigt, zu Gegendemonstrationen bei ihren Auftritten ermutigt und andere Opernhäuser dazu motiviert, sie nicht mehr zu verpflichten. Die kategorische Aufforderung an Netrebko, öffentlich das Vorgehen der russischen Regierung zu kritisieren, habe zudem in Russland für Schäden gesorgt. Russische Politiker hätten sie verurteilt, russische Opernhäuser Verträge mit ihr aufgelöst, sie sei in ihrer Heimat öffentlich kritisiert worden. Auch würden ihre Familie und ihre Freunde nunmehr riskieren, geschädigt zu werden oder zum Opfer von Vergeltungsmaßnahmen der russischen Regierung zu werden. (APA, 1.9.2023)