Hände auf Tastatur
Die Suche nach Tätern erfolgt zum großen Teil über das Internet. Dabei ist viel Geduld gefragt.
MEV/imago/allOver-MEV

Es war bloß der Ausschnitt eines Logos, den Jürgen Ungerböck auf einem Bild, das Kindesmissbrauch zeigt, entdeckte. Doch es war genug, um einen Täter festzunehmen. "Ich habe ein Forum im Darknet durchforstet und fand dutzende Bilder, die ich noch nicht kannte", erzählt der Leiter des Referats für Sittlichkeit und Kinderpornografie im Bundeskriminalamt.

Detektivarbeit

Also glich Ungerböck die Darstellungen, die den Missbrauch eines Kindes zeigten, mit einer Datenbank von Interpol ab. Das Ergebnis: Die Fotos sind neu.

Auf einem davon entdeckte er eine Schuluniform – mit Teilen eines Emblems. "Es war nicht gut sichtbar", sagt er, weswegen sein sechsköpfiges Team versuchte, es zu vervollständigen. Die Ermittler zeichneten zahlreiche mögliche Ausführungen und suchten diese dann bei Google. "Wir haben uns immer weiter gehantelt, wieder und wieder probiert, es zu rekonstruieren."

Schulemblem nachgezeichnet

Am Ende der Woche mit Erfolg: Die Ermittlerinnen und Ermittler finden eines ihrer nachgestellten Logos auf der Website einer Schule in Ecuadors Hauptstadt Quito. Dort entdecken sie auch Jahrbuchfotos – und können auf einem davon das Opfer identifizieren. Sie kontaktieren Interpol. Letztlich wird der Hausmeister der Schule überführt.

Der Fall sei klassisch – so laufe die Arbeit der Ermittlerinnen und Ermittler meistens ab, erzählt Ungerböck. Sie durchforsten das Netz, probieren aus, was ihnen in der jeweiligen Situation einfällt. "Im Grunde ist das nicht viel anders als das, was Medien machen", sagt er – recherchieren. Die Ermittlungen seien stets darauf fokussiert, Opfer zu identifizieren.

Schließlich seien "Inhalte von Missbrauch oft die einzigen Spuren, die Täter hinterlassen", sagt Ungerböck. Daher müsse man die Darstellungen prüfen und Hinweise suchen. Eine einzige Methode gebe es nicht, gerade im Netz ließen sich Straftäter ständig Neues einfallen. Umso wichtiger sei es, selbst kreativ zu werden.

Gestiegene Deliktzahl

Gerade was Kindesmissbrauch betrifft, würde die internationale Zusammenarbeit besonders gut funktionieren. "Allein hupft man nicht weit. Das Internet hört schließlich nicht am Walserberg auf", sagt der Chefermittler. Vor allem große Behörden wie die US-amerikanische Bundespolizei FBI würden weltweit auf IP-Adressen stoßen, die derartige Inhalte verbreiten. Stammen die Nutzer aus Österreich, werden die Daten an die heimischen Behörden weitergegeben – die weiterermitteln.

Proaktiv könnten die Beamten des Bundeskriminalamts aufgrund der schieren Zahl der Meldungen kaum ermitteln. Seit der Pandemie ist die Zahl der Anhaltspunkte für Ermittlungen explodiert: Über 10.000 Verdachtsfälle hat die US-Organisation National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) im vergangenen Jahr an das Bundeskriminalamt übermittelt. Auch die Meldestelle Stopline für Darstellungen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und nationalsozialistische Wiederbetätigung zählt mit 33.000 Meldungen Höchstwerte – zum Vergleich: 2019 waren es noch 9.100 Meldungen, dann ging es steil bergauf. Der Arbeitsaufwand der Beamtinnen und Beamten habe sich vervielfacht.

Fehlersuche im Darknet

Ungerböcks sechsköpfiges Team sei aber nicht das einzige, das solche Straftaten in Österreich verfolgt, sagt er. Zwar würde es erste Schritte im Netz setzen – doch je nach Bedarf werden Fälle weitergereicht. Zum Beispiel an die jeweiligen Landeskriminalämter – oder, wenn noch kein Standort feststeht, an andere Spezialistinnen und Spezialisten im Bundeskriminalamt.

Einer davon, der seinen Namen aus ermittlungstechnischen Gründen nicht in den Medien lesen will, versucht etwa, die Hintermänner von Plattformen ausfindig zu machen. "Das geht nur, wenn jemand Fehler macht – und die versuche ich zu entdecken", erzählt er. Etwa wenn die Anonymisierung über Software wie das Tor-Netzwerk misslingt.

Im Darknet bewegen sich Täter fast anonym – hinterlassen sie aber Spuren im allgemein zugänglichen Netz, kann der Polizist sie womöglich identifizieren. Teils setze er auch auf verdeckte Ermittlungen, schleuse sich in Foren ein, beobachte, was dort geschieht – und warte auf einen Fehler.

Andere seiner Kollegen versuchen, sofern Geld – meist in Form von Kryptowährungen – geflossen ist, dieser Spur zu folgen und Käufer zu identifizieren. Mittlerweile gibt es hierfür zahlreiche Methoden: Spätestens beim Transfer von Kryptowährungen in Fiatgeld sind User nicht mehr so anonym, wie sie aber oft denken. Dafür kooperieren Ermittlerinnen und Ermittler teils auch mit Forschungsinstituten – etwa das österreichische Complexity Science Hub mit bayerischen Behörden.

Geduld als Tugend

Ein großer Teil der Arbeit der digitalen Ermittler besteht darin, abzuwarten – denn oft müssen sie Anfragen an Betreiber von Plattformen stellen. Darauf hin müssen sie sich gedulden, bis diese mit Infos zu Usern reagieren. Das kann mitunter viele Monate dauern – wenn denn überhaupt eine Antwort kommt. Gerade Kriminelle setzen lieber auf Plattformen, die dafür bekannt sind, den Kontakt mit Behörden zu scheuen – und bewusst ihren Unternehmenssitz undurchschaubar machen, um einer Rechtsdurchsetzung zu entfliehen.

Liegen Hinweise vor, die auf ein Opfer oder einen Täter auf österreichischem Boden hindeuten – etwa eine IP-Adresse –, landen die Fälle bei den zuständigen Landespolizeidirektionen. Dort gebe es Experten, die speziell für den Erstkontakt mit Opfern geschult sind.

Künstliche Intelligenz erschwert die Ermittlungen

Ein Problem, das Ungerböck für die Zukunft sieht, ist jener Zeitpunkt, an dem KI-generierte Bilder von Missbrauch nicht mehr von der Realität zu unterscheiden sind. Weit entfernt ist dieses Szenario nicht – schon jetzt liefert maschinenlernende Software Bilder, die kaum mehr von echten Fotos zu unterscheiden sind.

Klar ist: Wirklichkeitsgetreue Bilder von Kindesmissbrauch sind schon heute strafbar. Aber: "KI-generierte Bilder werden künftig ein riesiges Problem, wenn Ressourcen, die für die Identifikation echter Opfer notwendig wären, für Fälschungen verlorengehen." (Muzayen Al-Youssef, 5.9.2023)