50 bis 60 Stunden dauert es durchschnittlich, bis Matthias Winkler und sein Team ein Paar Schuhe fertig hat.
50 bis 60 Stunden dauert es durchschnittlich, bis Matthias Winkler und sein Team ein Paar Schuhe fertig hat.
Dennis Eichmann

Der Raum ist kaum größer als 20 Quadratmeter. In seiner Mitte steht ein kleines Tischchen, das mit zahllosen Werkzeugen und Materialien vollgeräumt ist. Knapp darüber hängt eine Lampe, die das geordnete Chaos in warmes Licht taucht. In Regalen an den Wänden lagern Stoffrollen, daneben steht ein Reißbrett mit Skizzen und Mustern. Es riecht nach Leder und Wachs – ein bisschen wie bei einem Schuster. Kein Wunder, hier in der Werkstatt in Berlin-Tempelhof fertigt Matthias Winkler gemeinsam mit seinem Team hochwertige Schuhe. Diese werden auf der ganzen Welt von Osaka bis Mexiko verkauft und können schon einmal über 2000 Euro kosten.

In Saus und Braus lebt der gebürtige Kärntner deshalb zwar nicht. Doch er hat geschafft, wovon viele andere in der Branche nur träumen: vom eigenen Label leben zu können – und das, ohne Kompromisse in Sachen Qualität und Nachhaltigkeit einzugehen. Seine Schuhe werden in Handarbeit aus textilen Restbeständen hergestellt. Nicht nur die Kundschaft schätzt das Konzept. 2022 gewann Matthias Winkler den mit 10.000 Euro dotierten Modepreis der Stadt Wien.

Trotz seines Erfolgs will der 42-Jährige nicht groß expandieren. "Wenn es mir um Gewinnmaximierung ginge, müsste ich die Produktion schleunigst nach China verlegen", sagt Winkler. Der hyperkapitalistische Zugang sei aber sowieso nichts für ihn. Man sehe ja, wie dieser den Planeten zerstöre. Vielmehr verstehe er seine Schuhe als Kunst. "Ich habe Kundschaft, die sammelt meine Schuhe wie Kunstwerke. Oder es gibt Menschen, die meine Arbeit verfolgen und sich zu einem besonderen Anlass ein Paar gönnen", erklärt Winkler. Ihren hohen Verkaufspreis sieht man einigen Modellen auf den ersten Blick gar nicht an. Auch da lässt sich eine Parallele zur Kunst entdecken, die manchmal nicht besonders dekorativ daherkommt.

Die ungeschliffene Ästhetik von Matthias Winklers Schuhen ist eine bewusste Designentscheidung, aber auch den Materialien wie gebrauchten Lederhosen geschuldet. "Manchen Menschen gefällt der Look gar nicht, doch unsere Kundschaft schätzt die Patina und die Nostalgie, die da mitschwingt", sagt Winkler. Ob die Schuhe einem nun gefallen oder nicht, ein Luxusprodukt sind sie allemal, oder wie es der Kärntner ausdrückt: "Niemand braucht meine Schuhe zum Überleben." Und braucht die Welt tatsächlich weitere Modeunternehmen? Die Frage stellte sich Matthias Winkler vor der Gründung seines nach ihm benannten Schuhlabels, und er tut das auch noch heute. "Ich bin nach wie vor ein Zweifler. Aber so, wie wir agieren, kann ich das mit meinem Gewissen vereinbaren", sagt der Designer.

Erste Schritte

Bevor er sich selbstständig machte, studierte Winkler Malerei an der Universität für angewandte Kunst in Wien und Schuhdesign am Royal College of Art in London. Nach einem Zwischenstopp in Amsterdam kam Winkler im Jahr 2015 nach Berlin, um für ein Schuhlabel zu arbeiten. Glücklich machte ihn das nicht, er wollte seine eigene Vision verwirklichen. 2018 fand er schließlich die Werkstatt in Berlin und arbeitete an seiner ersten eigenen Kollektion, die er im Jänner 2020 bei der Modewoche in Paris vorstellte. Dort wurden Einkäufer aus aller Welt auf den jungen Österreicher aufmerksam und nahmen seine Entwürfe ins Sortiment auf. Doch den üblichen Kollektionsrhythmen der Modebranche hat sich Winkler trotzdem nicht unterworfen. "Eine gute Kollektion braucht einfach Zeit. Ich will mich nicht stressen lassen", sagt der Designer.

Der gebürtige Kärntner Matthias Winkler hat sein eigenes Label. Für seine von Hand gefertigten Schuhe verwendet er ausschließlich bestehendes Material.
Der gebürtige Kärntner Matthias Winkler hat sein eigenes Label. Für seine von Hand gefertigten Schuhe verwendet er ausschließlich bestehendes Material.
Dennis Eichmann

Die kapitalistische Marktlogik wird auch von einem immer größeren Teil der Konsumentinnen und Konsumenten hinterfragt. Deshalb hängen sich viele Marken gerne das Attribut Nachhaltigkeit um. Jenseits von Marketing steckt aber oft nicht viel dahinter. Matthias Winkler hingegen wendet das ressourcenschonende Konzept ohne viel Tamtam einfach an: Für seine Schuhe kommen ausschließlich bestehende Materialien zum Einsatz. Das können etwa gebrauchte Trachtenlederhosen, ausrangierte Feuerwehrschläuche oder Restbestände aufgelassener Lederfabriken sein. "Vor einigen Jahren wurde in Österreich ein Betrieb aufgelöst, da habe ich das restliche Leder gekauft", erzählt Winkler. Diese limitierten Lagerbestände seien für die Massenproduktion uninteressant, da man aufgrund des fehlenden Nachschubs Kollektionen nicht längerfristig produzieren könne.

Bei seinem eigenen Label ist jeder Schuh ein Unikat, und gewisse Modelle gibt es nur so lange, bis der jeweilige Werkstoff aufgebraucht ist. Lederimitate aus nicht tierischem Ursprung sind für Winkler keine Alternative: "Das ist eine heuchlerische Diskussion. Denn veganes Leder ist in vielen Fällen ein Erdölprodukt. Auch bei ‚Leder‘ aus Apfel oder Ananas kommen eine Kunststoffverstärkung sowie eine Lackschicht zum Einsatz. Trotzdem sind diese Materialien nie so lange haltbar wie tierisches Leder." Da aber auch dessen Produktion umweltschädlich sei, setze er eben auf bereits bestehendes Material.

Heiße Sohle

Basierend auf den Entwürfen des Designers werden für jedes neue Modell eigene Leisten und Schnittmuster angefertigt. Dabei arbeitet der Kärntner mit Fachleuten zusammen. Teil seines vierköpfigen Teams ist auch Andreas Neuschwander. Der Schuhmachermeister, mit dem Winkler die typischen Formen seiner Designs entwickelt hat, baut die Schuhe zusammen. Er sitzt an dem kleinen Tischchen in der Mitte der Werkstatt. Auch wenn es für das ungeübte Auge nicht so aussieht: Hier hat alles seinen Platz, der Experte alles, was er braucht, griffbereit. Die Schäfte werden an die Sohlen genäht, die gänzlich aus natürlichem Material bestehen. Den letzten Feinschliff übernimmt dann wieder Matthias Winkler selbst. Vor kurzem wurde seine neue Kollektion "Shadows of Trees" fertig.

50 bis 60 Stunden dauert es, bis ein Paar Schuhe fertig ist. Die aufwendige Herstellung von Hand in Berlin erklärt auch die hohen Preise dieser Unikate. Diese werden in coolen Conceptstores wie 24th of August in Osaka, Ethos in Schanghai oder Darklands in Berlin verkauft. Man kann aber auch direkt über Winklers Websites Bestellungen aufgeben. "Ich bin eigentlich der Meinung, man muss Schuhe haptisch erfahren und sie anprobieren", sagt der Designer. Doch ohne E-Commerce gehe es heutzutage nicht mehr. Da er Luxusprodukte verkaufe, wolle er einen entsprechenden Service bieten. Die potenzielle Kundschaft wird beraten, beim Vermessen der Füße unterstützt und somit sichergestellt, dass die Schuhe am Ende passen und die Leute zufrieden sind. Oft finden Interessierte über Social Media zu Matthias Winkler. Es sei heutzutage wichtig, die eigene Marke für die potenzielle Kundschaft erlebbarer zu machen. Aber mit einem Besuch in der Werkstatt kann kein Bild auf Instagram mithalten. (RONDO, Michael Steingruber, 13.9.2023)

Abmarschbereit

Einige Designer aus Österreich stellen hochwertige Schuhe her. Matthias Winkler gehört sicher zu den experimentelleren. In diesem Segment ist er aber nicht allein. Eine Auswahl:

Carolin Holzhuber

Die Designs der Wienerin sind so etwas wie tragbare Skulpturen. Wobei das Attribut tragbar auch nur unter Vorbehalt gilt. Die High Heels sind meist hoch, die Fläche der Sohlen umso kleiner. Holzhuber fertigt ihre Schuhe in London von Hand. Dort studierte sie auch Schuhdesign (London College of Fashion), nachdem sie die Modeschule Hetzendorf in Wien absolviert hatte.
carolinholzhuber.com

Rosa Mosa

Schuhe aus der Herbstkollektion von rosa mosa.
Katarina Soskic, Styling: Rike Hemedinger, H&M: Nicole Jaritz

Simone Springer und Yuji Mizobuchi kennen einander vom Studium am Cordwainers College in London. Nachdem die Salzburgerin und der Japaner für einige Modeprojekte zusammenarbeiteten, gründeten sie 2001 in Wien ihr eigenes Label. In ihren Arbeiten kombinieren sie traditionelles Handwerk mit experimentellen Designs. Neben Schuhen haben sie auch Accessoires im Sortiment.
rosamosa.com

Sophia Guggenberger

Die gebürtige Wienerin befasst sich mit den Produktionsbedingungen von Schuhwerk und erforscht alternative Strategien hierzu, die handwerkliche, industrielle und digitale Komponenten umfassen. Guggenberger studierte am London College of Fashion sowie an der Universität der Künste Berlin und arbeitete unter anderem für das spanische Schuhlabel Camper.
sophiaguggenberger.com

Rani Bageria

Die heimische Modeszene erkennt sie sofort. Die mit Nieten besetzten Stiefeletten sind schnell zu Rani Bagerias Markezeichen geworden. Bevor sich die gebürtige Tirolerin 2012 in Wien selbstständig machte, studierte sie am renommierten Royal Academy of Fine Arts in Antwerpen Mode und arbeitete als Strickdesignerin beim Luxuslabel Chloé.
ranibageria.com

(Michael Steingruber, 13.9.2023)