Im Gastblog zeigen Charlotte Dietrich, Julian Posch und Johannes Jüngling, wie sich das Gebiet der Altertumswissenschaften bis in die Gegenwart erstreckt.

Altertumswissenschaften sind Spurensuchen. Sie versuchen, vergangene Zivilisationen und Kulturen anhand von Objekten und Texten zu verstehen. Wir kennen diese Hinterlassenschaften von Fotos und aus Museen, außer Reichweite und gut geschützt, zumeist gesichert durch Glas und Alarmanlagen. Doch nicht alle Spuren vergangener Kulturen sind unerreichbar – vielmehr sind manche von ihnen im alltäglichen Gebrauch, oftmals unerkannt.

Chemie und Landesbezeichnungen Ägyptens

So ist an teils überraschenden Stellen in unserem Wortschatz ägyptisches Sprachgut erhalten geblieben. Ein Wort in aller Munde ist beispielsweise die Chemie als Unterrichtsfach und Wissenschaft. Zumindest namentlich ist sie mit der Disziplin der Alchemie verwandt, bei welcher der arabische Artikel (al- "der/die/das“) vor einem griechischen Wort steht, nämlich chymeia (χυμεία), was "Metallgießerei; Metallvermengung" bedeutet.

Für dessen Ursprung gibt es zwei einander nicht ausschließende Möglichkeiten: entweder stammt es vom ebenfalls griechischen chymos (χυμός) "Flüssigkeit" oder von der ägyptischen Wortwurzel kmm (moderne Aussprache: kemem) "schwarz sein" ab. Von dieser rührt auch der Name kmt (moderne Aussprache: kemet, wörtlich "das Schwarze") her, mit dem die Ägypter ihr eigenes Land bezeichneten und der auf die dunkle Farbe des jährlich durch die Nilüberflutung angeschwemmten fruchtbaren Nilschlammes anspielte.

Die moderne (deutsche) Bezeichnung Ägypten selbst enthält übrigens auch einen altägyptischen Kern. Über die griechische Wiedergabe Aigyptos gelangte die Bezeichnung ḥwt-kȝ-Ptḥ (moderne Aussprache: Hut-ka-ptach) "Ka-Haus des Ptah" zu uns. Es handelt sich um einen bedeutenden Tempel der Gottheit Ptah, der sich in der antiken Hauptstadt Memphis unweit des modernen Kairo befand. Diese Bezeichnung wurde schließlich verallgemeinernd für das ganze Land gebraucht.

Zwischenstufen im Griechischen und Lateinischen

Das als Luxusartikel geschätzte dunkle Ebenholz hat seinen Namen nicht etwa aufgrund seiner vermeintlich ebenen Struktur, sondern geht etymologisch auf ein Wort zurück, das uns in ägyptischen Quellen bereits um 2400 vor Christus als hbn(j) (moderne Aussprache hebeni) entgegentritt. Es bezeichnet dort eines der Produkte, die eine ägyptische Expedition (oder ein Raubzug) aus der afrikanischen Region Iam ins Niltal mitbrachte. Wir können daher nicht ausschließen, dass es sich seinerseits ursprünglich um ein Lehnwort aus einer heute unbekannten afrikanischen Sprache im Ägyptischen handelte.

Über das griechische hebenos (ἕβενος) beziehungsweise ebenos (ἔβενος) und das lateinische hebenus beziehungsweise ebenus fand es wahrscheinlich bereits vor dem Jahr 1000 nach Christus Eingang in die deutsche Sprache. Vermutlich aufgrund seiner exotischen Herkunft wurde der Begriff durch die Verbindung mit "Holz" weiter präzisiert.

Relief
Faksimile eines bemalten Reliefs aus dem Grab des Rechmire (circa 1479–1425 vor Christus) mit Gabenträgern. Zwei von ihnen halten Ebenholzscheite auf ihren Schultern.
The Metropolitan Museum of Art, New York

Gemeinsame Lehnwörter aus dem Hebräischen

Der Haberer (auch Hawerer oder Hawara) bezeichnet im Österreichischen einen Freund und Kumpanen und vor allem im Wienerischen auch den Liebhaber einer Frau. Er kann aber auch im Haberertum für Vetternwirtschaft, Vitamin B(eziehungen) und Seilschaften verwendet werden. So verwundert es auch nicht, dass Wolfgang Teuschl bei seiner Übertragung des Neuen Testaments ins Wienerische (1971) "Da Jesus und seine Hawara" schrieb.

Der Begriff Haberer kam über die Gaunersprache (auch Rotwelsch genannt) aus dem Jiddischen Chewer (חבֿר; "Freund; Kamerad; Kumpel") ins Österreichische. Das jiddische Chewer ist wiederum mit dem hebräischen Chawer (חָבֵר; "Freund; Gefährte; Genosse") und etymologisch auch mit Chawer, einem rabbinischen Ehrentitel (für Gelehrte), verwandt.

Haberer findet sich aber auch schon im "Reisebericht des Wenamun", einem literarischen Werk, das zu Beginn des 11. Jahrhundert vor Christus in Ägypten und Libanon spielt, als ḫ~b~r (moderne Aussprache Cheber; "Geschäftspartner, Handelskontakt, Partner“). Da dieses Wort ebenso aus anderen semitischen Sprachen bekannt ist, dürfte es sich um eine allgemein semitische Wortwurzel handeln, die ins Ägyptische übernommen wurde. So sind mehrere ägyptische Texte ab dem 6. Jahrhundert vor Christus bekannt, die diesen Begriff im Sinne eines "Genossen; Freundes; Partners" verwenden.

Von Vierteltagen

Doch Zeugnisse der altägyptischen Kultur finden sich nicht nur im Wortschatz der deutschen Sprache, sondern auch an Wänden, auf Dokumenten und Displays in Form von Datumsangaben. Der heute meistgebrauchte Kalender ist der gregorianische Kalender, benannt nach Papst Gregor XIII., der 1582 eine Reform des julianischen Kalenders veranlasste. Sein Ziel war eine Annäherung der Dauer des Kalenderjahres an jene des natürlichen Sonnenjahres durch ein verbessertes Schaltsystem, um zu verhindern, dass sie sich gegeneinander verschieben.

Die Regel, jedes vierte Jahr einen Schalttag einzufügen, bestand bereits im julianischen Kalender, der 45 vor Christus von Gaius Julius Caesar im Römischen Reich nach ägyptischem Vorbild eingeführt wurde. Zuvor hatte man einen Mondkalender verwendet, dessen kalendarisches Jahr deutlich kürzer als ein Sonnenjahr war und der darum unregelmäßig und je nach Bedarf mit Schaltmonaten ergänzt wurde, um ein weiteres Auseinanderdriften von Jahreszeitenzyklus und Kalenderjahr zu verhindern. Die Länge des Kalenderjahres und die Anzahl der Monate konnte so von Jahr zu Jahr variieren.

Zwischen Mond und Sonne

Vor seiner Kalenderreform hatte Caesar ein anderes System kennengelernt, das sich als einziges im Mittelmeerraum am Sonnenjahr und nicht den Mondzyklen orientierte: den ägyptischen Kalender. Mit zwölf Monaten von jeweils 30 Tagen und fünf Zusatztagen am Ende des Jahres war jedes Jahr genau 365 Tage lang. Damit fehlte ihm zwar noch ein Schaltsystem – ein Versuch, ein solches unter dem Pharao Ptolemaios III. einzuführen, war gescheitert – aber dennoch stellte er durch seine feste Jahreslänge einen deutlich systematischeren Ansatz dar.

Darum nahm ihn Gaius Julius Caesar als Vorbild für seinen julianischen Kalender, übernahm für die zwölf Monate jedoch die römischen Bezeichnungen. Im Jahr seiner Ermordung veranlasste der Senat zu seinen Ehren die Umbenennung seines Geburtsmonats in Juli(us). So fand der ägyptische Kalender durch die römische Herrschaft im gesamten Mittelmeerraum Verbreitung und ist nach einigen Modifikationen wie der Reform Gregors XIII. bis heute in Gebrauch.

Aufnahme des Obelisk
Ägyptischer Obelisk vor dem Palazzo Montecitorio (Rom) als Teil des sogenannten Solarium Augusti, eines astronomischen Messinstruments.
Maus-Trauden, Obelisk-Montecitorio, CC BY-SA 3.0

Fünf Jahrtausende Staatlichkeit

Eine der wirkmächtigsten und nachhaltigsten Errungenschaften der Geschichte ist der zentralisierte Flächenstaat. Diese Idee kann das Alte Ägypten mit einigem Abstand für sich reklamieren. Hier entstand bereits um die Wende vom 4. zum 3. Jahrtausend vor Christus ein Staatsgebilde mit politischem Zentrum in Memphis (nahe dem heutigen Kairo) – im nahen Mesopotamien beispielsweise sollte dagegen noch mindestens 600 Jahre eine eher lockere politische Organisation als Verbund von Stadtstaaten vorherrschen.

Wirkmächtig ist die Idee vor allem deshalb, weil heute der allergrößte Teil der Erde zwischen Flächenstaaten aufgeteilt ist. Und weil die ägyptische Staatlichkeit selbst im Prinzip seit der pharaonischen Zeit andauert – freilich mit Unterbrechungen, in denen die Hauptstadt des jeweiligen Staates, dem das Niltal und das Delta angehörten (seien es etwa das Abbasiden-Kalifat oder das Osmanische Reich), außerhalb dieses ägyptischen Kernlandes lag. Über das Imperium Romanum teilen so nicht zuletzt auch Teile Österreichs und des heutigen Ägypten eine gemeinsame staatliche Geschichte. (Charlotte Dietrich, Julian Posch, Johannes Jüngling, 7.9.2023)