Tiroler Kitsch, nein danke! Als Anna Ambach Anfang der 1970er-Jahre ein Hotel am Südtiroler Kalterer See plante, wusste sie genau, was sie nicht wollte. Es sollte stattdessen ein Bau werden, der den Zeitgeist widerspiegelt. Ein Statement aus Sichtbeton. Der Brixner Architekt Othmar Barth entwarf für sie einen brutalistischen Bau, der sich wie ein Segel am Ufer entlangspannt. "Der Bürgermeister sprach damals von einem Schandfleck und erteilte keine Benutzungsgenehmigung", erzählt Max Maran, 34, dessen Vater Klaus das Hotel 2014 geerbt hat.

Viel Sichtbeton an der Fassade des Hotel Ambach
Viel Sichtbeton an der Fassade des Hotel Ambach am Ufer des Kalterer Sees
Karin Cerny

Anna Ambach muss ein beeindruckend sturer Mensch gewesen sein, sie eröffnete ohne offizielle Bewilligung – diese wurde erst nach ihrem Tod eingeholt. Dass ihr Hotel noch immer den Charme der Seventies ausstrahlt, hat zwei Gründe: Architekt Barth machte gern im Seehotel Ambach Urlaub. Er überwachte genau, dass nichts verändert wird. Und: Anna Ambach galt als geizig und veränderungsresistent. Sie wohnte im Hotel im größten Zimmer. "Einen Aufzug ließ sie erst einbauen, als sie schlecht gehen konnte", sagt Max Maran – mittlerweile wird ihr Zimmer als Suite 1973, dem Eröffnungsjahr, vermietet.

Der Blick vom Balkon auf den Kalterer See
Der Blick vom Balkon auf den Kalterer See
Karin Cerny

Die Einbaumöbel am Zimmer sind original, sie wurden liebevoll renoviert – und die Betten um zehn Zentimeter verlängert. Man staunt: Wollte ein Ehepaar kein Doppelbett, ließ sich das leicht mit verschiebbaren Modulen arrangieren. Die Bäder sind neu ebenso wie ein Großteil der Möbel im öffentlichen Bereich, an der Architektur selbst wurde nichts verändert. Erst nach und nach erschließt sich, wie raffiniert alles ist. Besonders das weitläufige Stiegenhaus sieht aus jedem Winkel und je nach Lichteinfall anders aus.

Das Stiegenhaus im Hotel Ambach
Im weitläufigen Stiegenhaus ändern sich schnell die Perspektiven.
Karin Cerny

Am Nordost-Ufer des Sees ist es angenehm ruhig, obwohl Kaltern ein beliebter Ferienort ist. Im Restaurant des Hotels sind keine Gäste von auswärts und auf dem Grundstück ist luxuriös viel Platz, ein alter Holzsteg führt direkt in den See. Das neue Badehaus und der Pool setzen auf japanisch angehauchten Minimalismus.

Sitzmöbel in einer Hotellobby
Neue Möbel in der ursprünglichen Architektur
Karin Cerny

Auch außerhalb des Hotels gibt es für Architekturfans einiges zu entdecken, das brutalistische Seerestaurant Gretl ist ebenfalls von Barth. Und das Freibad Lido hat ein Sonnendeck, das auf retro-futuristischen Betonpfeilern steht. (Karin Cerny, 11.9.2023)