Staus und Parkplatzsuche mit atemberaubendem Ausblick: Dieses zweifelhafte Vergnügen bietet an schönen Sommertagen die Kaiser-Franz-Josefs-Höhe an der Großglockner-Hochalpenstraße. Dort, auf mehr als 2360 Meter Seehöhe, befindet sich ein riesiges Parkhaus, dessen Dimensionen in der gebirgigen Umgebung allerdings wenig beeindrucken. Denn gegenüber liegen der Großglockner, der höchste Berg Österreichs, und seine eisige Zunge namens Pasterze, der größte und längste Gletscher des Landes.

Dieses Panorama lockt jährlich an die eineinhalb Millionen Besucherinnen und Besucher an, nur das Schloss Schönbrunn ist ein noch größerer österreichischer Tourismusmagnet. Da kann es selbst im Parkhaus mit etwa 1000 Stellplätzen eng werden. Wer heute hierherkommt, kann ein Naturwunder beobachten, das im Sterben liegt. "Das ist der Todeskampf eines Eisgiganten", sagt Konrad Mariacher, Ranger im Nationalpark Hohe Tauern, bei einem Besuch von Journalistinnen und Journalisten auf der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe.

Kaiser-Franz-Josefs-Höhe, Pasterze, Gletscher
Die Kaiser-Franz-Josefs-Höhe gibt Blicke auf den Großglockner und die Pasterze frei. Der größte Gletscher Österreichs wird bald zerfallen.
AFP/JOE KLAMAR

Ikonischer Eisgigant

Wie alle österreichischen Gletscher schmilzt die Pasterze rasant, im Vorjahr erlebte der ikonische Eisgigant gar eine viermal so hohe Schmelzrate wie im langjährigen Durchschnitt. 87,4 Meter Länge büßte der Gletscher ein. Der Ranger Mariacher ist ein Augenzeuge des Klimawandels, er erlebt die Eisschmelze seit Jahrzehnten aus der ersten Reihe mit. Bald steht der Pasterze ein besonders einschneidendes Verfallsereignis bevor: Schon in den nächsten Jahren rechnen Glaziologinnen und Glaziologen mit einem Abbrechen des Gletschers, was einem Zerfall in zwei Teile gleichkommt. Was man von der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe aus gut sieht, ist die Gletscherzunge. Das Nährgebiet, jene Eisflächen, aus dem das Eis nach unten ins sogenannte Zehrgebiet fließt, liegt höher. Doch der Nachschub von oben versiegt, und früher oder später wird die Verbindung zwischen den Gletscherteilen abreißen, die Zunge wird nicht mehr weiter versorgt werden. Dann wird aus dem größten Gletscher der größte Toteiskörper Österreichs.

Schon jetzt ist die Pasterze für Besucher, die den Gletscher vor einigen Jahren zuletzt gesehen haben, kaum wiederzuerkennen. Auf der etwa eineinhalbstündigen Wanderung von der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe zum Fuß der Pasterze verdeutlichen Schautafeln, die die historischen Eisstände markieren, die Entwicklung. Unterhalb der Zunge erstreckt sich ein riesiger Schmelzwassersee, der erst 2016 entstanden ist. Inzwischen hat er eine Tiefe von 48 Metern. Sein türkisblaues Wasser verleihen ihm darin gelöste Sedimente, darunter gibt es noch Eis. Immer wieder steigen Eisblöcke mitten im See auf, die sich vom gefrorenen Boden lösen, und treiben im See, bis sie ganz geschmolzen sind.

Pasterze, Gletscher
Die Pasterze büßte im Vorjahr 87,4 Meter Längeein.
AFP/JOE KLAMAR

Mariacher hat das Sterben des Gletschers längst akzeptiert. Immer wieder gab es in der Vergangenheit Ideen, die Pasterze künstlich zu bewahren, etwa durch zusätzliche Beschneiung. Aus ökologischer und ökonomischer Sicht wäre das aber absurd, wie zuletzt eine Studie der Universität Graz darlegte. "Wenn es mir gelingt, die Menschen, die zu mir kommen, ein Stück weit zu sensibilisieren, sodass sie auch die Veränderungen ihrer Heimat sehen, dann habe ich schon viel erreicht", sagt Mariacher. "Wenn man die Zusammenhänge sieht, dann ist es auch normal, dass man sich entsprechend verhält."

Gebirge im Wandel

Einmal im Jahr werden die österreichischen Gletscher händisch vermessen, um das Ausmaß der Schmelze zu dokumentieren. Im September ist ein neuerlicher Bericht zur aktuellen Situation der Gletscher zu erwarten – dann wird man wieder schwarz auf weiß wissen, wie viele Meter die österreichischen Gletscher in diesem Sommer eingebüßt haben.

In den vergangenen Jahren zeigte sich, dass die enorme Geschwindigkeit des Dahinschmelzens selbst für Fachleute überraschend war. 2022 verloren die heimischen Gletscher in einem Jahr rund sechs Prozent ihrer gesamten Fläche. Erstaunlich ist aber, dass nicht alle Eismassen Österreichs gleichermaßen im Rückzug begriffen sind: Zwar tauen auch immer mehr Eishöhlen in Österreichs Bergen auf. Bei der größten von ihnen, der Eisriesenwelt Werfen, zeigt sich derzeit aber noch ein anderes Bild.

Murmeltiere
Die Umgebung der Murmeltiere am Großglockner ändert sich rasant.
Rennert

Die Veränderungen in den schwindenden österreichischen Eisregionen sind zwar gewaltig, die Natur kommt aber erstaunlich gut damit zurecht. Die ökologischen Folgen der Gletscherschmelze sind überschaubar: Indem sich das Eis zurückzieht, können höheliebende Spezies die nun eisfreien Flächen besiedeln. Zwar schreitet der Artenschwund auch in den Alpen rasant voran, doch die schmelzenden Gletscher spielen keine entscheidende Rolle dabei. Umso einschneidender sind die Folgen allerdings für den Menschen. Die auftauenden Permafrostböden um die Gletscher werden instabil, steigende Steinschlaggefahr ist die Folge. Die enormen Mengen an Schmelzwasser können wiederum zu Murenabgängen führen. Durch die Erwärmung geraten die Berge in Bewegung und werden zu einer noch unberechenbareren Gefahr für Bergsportler, als sie es ohnehin sind. Betroffen von den Umbrüchen sind aber auch Anrainerinnen und Anrainer.

Kein Zurück

Nicht zuletzt sind die österreichischen Gletscher auch ein touristischer Faktor, wie die Kaiser-Franz-Josefs-Höhe deutlich macht. Wird sie noch eineinhalb Millionen Menschen pro Jahr anziehen, wenn die Pasterze erst einmal verschwunden ist?

Erst vor wenigen Jahren kamen Prognosen zu dem Schluss, dass Österreich bis zum Ende des Jahrhunderts wohl keine Gletscher mehr besitzen wird, wenn nicht zügig Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden. Inzwischen hat sich das Zeitfenster geschlossen: Selbst wenn Treibhausgasemissionen sofort gestoppt würden, käme das für die Gletscher der Ostalpen wohl zu spät. "Dass die Gletscher verschwinden, dieser Kipppunkt ist längst überschritten", sagt Mariacher. Fachleute gehen heute davon aus, dass die Gletscher der Ostalpen bis 2075 verschwunden sein werden. Viele der noch bestehenden Gletscher befinden sich in den heimischen Nationalparks. In einer gemeinsamen Kommunikationsstrategie machen sie immer wieder auf den Gletscherschwund aufmerksam und werden dabei vom Klimaministerium unterstützt.

Die Glaziologin Andrea Fischer ist in ihrer Forschungsarbeit tagtäglich mit den rasanten Veränderungen in den Alpen konfrontiert. Besonders intensiv befasst sie sich mit dem Jamtalferner-Gletscher in der Silvretta, den sie etwa alle zwei Wochen besucht. "Es sieht jedes Mal anders aus", sagt Fischer, die am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Akademie der Wissenschaften in Innsbruck tätig ist. Die rapiden Veränderungen könne man inzwischen als eine neue Ära ansehen: "Der großflächige Zerfall der Gletscher ist ein neues Phänomen, das wir erst seit drei bis vier Jahren so beobachten." Es brauche nun neue Modelle, um die rasanten Veränderungen in den Alpen besser zu verstehen.

Pasterze, Gletscher
Den großen Schmelzwassersee unterhalb der Pasterzegibt es erst seit einigen Jahren. Die sporadisch auftauchenden Eisschollen lösen sich schnell auf.
APA/EXPA/JOHANN GRODER

Rätselhaftes Höhleneis

Die Eismassen Österreichs sind aber nicht nur im offenen Hochgebirge zu finden. Die Alpen beherbergen auch eine erstaunliche Vielzahl an Höhlen, die ganzjährig Eis führen. Rund 1200 Eishöhlen dürfte es in Österreich noch geben, auch ihre Zahl sinkt. Die bekannteste liegt im Salzburger Pongau, sie ist die längste Eishöhle der Welt: die Eisriesenwelt Werfen. Mehr als 40 Kilometer erstreckt sie sich ins Gestein des Tennengebirges, dauerhaft vereist ist allerdings nur etwa der erste Kilometer ab dem Höhleneingang.

Wer die Höhle diesen Sommer besucht hat, gewann ein ganz anderes Bild als bei den Gletschern: die Eispracht erscheint selbst an einem heißen Sommertag recht unerschütterlich, die Kälte ist auch im Eingangsbereich stabil. Nach Auskunft der Höhlenführer ist der Eisbestand der Höhle zuletzt sogar etwas gewachsen.

Dabei wird es allerdings nicht bleiben, sagt Christoph Spötl. Der Höhlenforscher von der Universität Innsbruck kennt die Eisriesenwelt gut, er hat große Teile davon begangen und verschiedene Untersuchungen in der Höhle durchgeführt. "Generell kann man nicht sagen, dass das Eis in der Eisriesenwelt über die letzten Jahre deutlich gewachsen ist. Es gibt keinen klaren Trend, dass es massiv zu- oder abgenommen hat." Eine genaue Abschätzung, wie lange das Eis noch Bestand haben wird, sei aber schwierig, sagt Spötl. "Das ist eine Frage, die wir nicht wirklich mit Zahlen unterlegen können. Es ist leider ein Manko der Glaziologie, dass dieses unterirdische Eis ein wenig stiefmütterlich behandelt wurde."

Alpiner Kamineffekt

Fest stehe: Mit steigenden Temperaturen wird auch die Unterkühlung der Höhle im Winter schwächer, wodurch sich das Eis immer weiter in Richtung Höhleneingang zurückziehen wird. "Dies in eine zeitliche Skala zu bringen, ist derzeit nicht möglich. Ich denke aber, wir reden von Jahrzehnten. Aber wie man aus den Gletscherdaten weiß, laufen solche Eisabbauprozesse manchmal schneller ab, als es die Fachleute vermutet hatten."

Warum ist die Höhle auf den ersten Kilometern vereist, während es tiefer im Berg kein dauerhaftes Eis gibt? Das liege am Mikroklima der Höhle und dem physikalischen Effekt, der für die Eisbildung in der Höhle sorgt, sagt Spötl. "Es gibt mehrere untere Eingänge und mindestens einen oberen Eingang. Dadurch tritt ein Kamineffekt ein. Dieser führt dazu, dass die Höhle unten kalte Luft ansaugt, weil die wärmere Höhlenluft im Winter durch die Höhle kaminartig aufsteigt."

Eishöhle, Eisriesenwelt
Die Eisriesenwelt in Werfen gilt mit einer Länge von rund 42 Kilometern als längste Eishöhle der Welt. Vereist ist aber nur ein kleiner Teil.
eisriesenwelt.at

Gegen Ende des Winters in das Frühjahr hinein komme es zu den Hauptwasserzutritten, bei Minustemperaturen in der Höhle bilde sich dann Wassereis. "Das ist der Grund, warum wir Eis haben auf dieser eigentlich zu geringen Seehöhe", sagt Spötl. "Es ist kein Eis, wie es der Gletscher kennt, das aus Schnee entsteht, sondern es ist reines Wassereis."

Im Sommer kehrt sich der Kamineffekt um, und den Besuchern bläst kalte Luft entgegen. Um die Kälte und damit das Eis möglichst lange zu konservieren, wird der Haupteingang der Eisriesenwelt in den Sommermonaten mit einem Tor verschlossen, das nur kurz für den Eintritt von Besuchergruppen geöffnet wird. So lässt sich der Schwund zumindest hinauszögern. Auch die Eisriesenwelt ist von touristischer Bedeutung, der möglichst lange Eiserhalt ist aber nicht nur von ökonomischem Nutzen. Die Wissenschaft profitiert ebenfalls davon. Denn das Höhleneis gibt noch viele Rätsel auf, sagt Spötl.

Eisreserven für die Zukunft

"Das Eis ist so sauber, dass die Altersbestimmung sehr schwierig ist. Auch mit den heutigen Methoden der Physik kann man nur begrenzt eine Altersbestimmung durchführen." Anders als bei Gletschern finden sich im Höhleneis kaum biologische Einschlüsse wie Tier- und Pflanzenreste, die mithilfe der Radiokarbonmethode datiert werden können. "Es wurde an mehreren Stellen gebohrt, und auch dort war das Eis leider sehr rein. Dort, wo wir Einschlüsse hatten, wurden sie auf etwa 5000 Jahre vor heute datiert", sagt Spötl.

Um einzelne Eisschichten datieren zu können, brauche es andere Techniken. "Wir versuchen, eine neue Methode einzusetzen, die in ganz wenigen Laboren weltweit entwickelt wird." Die systematische Anwendung sei in einem beim Wissenschaftsfonds FWF eingereichten Projekt geplant. Insgesamt ist auch die Eishöhlenforschung ein Wettlauf gegen die Zeit. Fachleute wollen daher möglichst diverse Eisbohrkerne konservieren, um in Zukunft wenigstens über Proben zu verfügen, die mit neuen Methoden untersucht werden können.

"Wir müssen im Jahr 2023 immer noch konstatieren: Verdammt noch mal, wir haben nicht die Techniken, um auf alle Fragen befriedigende Antworten geben zu können", sagt Spötl. "Und das macht mich ein wenig demütig und still, weil wir noch nicht ausposaunen können, was wir über das schwindende Eis in Höhlen wissen." (David Rennert, Tanja Traxler, 6.9.2023)