In einem sind sich unabhängige Beobachter praktisch einig: Nach der Übernahme durch Elon Musk ist die Zahl von Hassbeiträgen auf dem einst als Twitter bekannten X deutlich gestiegen. Ob Antisemitismus, Homophobie oder rechtsextreme Aussagen, in all diesen Bereichen zeigten Untersuchungen bereits nach wenigen Wochen der Musk-Regentschaft eine deutliche Zunahme.

Elon Musk
Elon Musk: Mag nicht, wenn ihm Antisemitismus vorgeworfen wird.
REUTERS/GONZALO FUENTES

Das hatte wiederum auf das Geschäft der sozialen Plattform selbst Auswirkungen, Werbende zogen sich in Scharen zurück, viele davon sind bis heute nicht wiedergekehrt. Nun scheint Elon Musk die wahren Schuldigen gefunden zu haben: jene, die diese Zustände öffentlich kritisieren.

Schwere Vorwürfe

In einer Serie von Tweets greift der gleichzeitig als Tesla-Chef fungierende Musk die Anti-Defamation League (ADL) an. Die jüdische Organisation, die sich dem weltweiten Kampf gegen Antisemitismus verschrieben hat, habe es darauf abgesehen, "diese Plattform zu töten", formuliert es Musk wörtlich. Das, indem sowohl X als Ganzem als auch Musk persönlich – wie er versichert, fälschlicherweise – Antisemitismus vorgeworfen wird.

Die ADL sei dabei direkt für große Teile des Einbruchs des Werbegeschäfts verantwortlich, den Musk selbst nun mit rund 60 Prozent quantifiziert. Dass eine ADL-Kampagne dahintersteckt, habe man von Werbenden gehört, betont der X-Besitzer. Am Rande: Diese Aussage ist auch deswegen interessant, weil X vor noch nicht allzu langer Zeit behauptet hat, dass sich das Werbegeschäft mittlerweile wieder fast komplett erfangen habe.

Klage

Diese Situation will Musk nun jedenfalls nicht mehr hinnehmen und droht mit Klage. "Es sieht danach aus, als hätten wir keine andere Wahl, als eine Verleumdungsklage gegen die Anti-Defamation League einzubringen", formuliert er in einer weiteren Nachricht.

In der Folge bemühte sich Musk dann noch zu betonen, dass er zwar für freie Meinungsäußerung, aber gegen "Antisemitismus aller Art" sei. Eine Aussage, auf die Twitter-User wiederum mit der aktuellen Praxis auf der Plattform replizieren. Denn wie sich herausstellt, gilt mittlerweile selbst die Aussage "Fuck the Jews" nicht mehr als problematisch. Ein entsprechender Tweet hat innerhalb weniger Tage Millionen Views erreicht, Beschwerden wurden mit dem Hinweis, dass die Aussage nicht gegen die Plattformregeln verstoße, zurückgewiesen.

Nicht das erste Mal, aber mit geringen Erfolgsaussichten

Es wäre übrigens nicht die erste Anti-Hass-Gruppe, die Musk vor Gericht zerren würde. Erst vor kurzem hat er eine Klage gegen das Center for Countering Digital Hate (CCDH) eingereicht. Auch hier lautet der Vorwurf, dass dieses die Beziehung von Twitter/X zu den eigenen Werbenden beschädigt habe. Die CCDH zeigte sich davon wenig beeindruckt und kündigte an, die Klage bekämpfen und die Zustände auf X weiter kritisieren zu wollen.

Unterdessen geben Rechtsexperten den Klagen von Musk wenig Aussicht auf Erfolg. So zitiert etwa der "Guardian" Jennifer Safstrom, Professorin für Recht an der Vanderbilt University. Diese verweist darauf, dass die Bezeichnung von jemandem als antisemitisch unter die freie Meinungsäußerung falle, die im US-Recht besonders stark abgesichert ist. Zudem sei klar, dass es bei der Klage in Wirklichkeit darum gehe, Kritiker davon abzuhalten, eine von Musk unerwünschte Nachricht zu verbreiten.

Ursachen

Die ADL hatte Musk schon bald nach der Übernahme von Twitter vorgeworfen, dass Antisemitismus auf der Plattform massiv zugenommen habe. Diese eben auch von anderen attestierte Veränderung dürfte mehrere Gründe haben. Ein Faktor ist zweifellos der massive Stellenabbau durch den neuen Besitzer, in dessen Folge die Qualität der Moderation generell deutlich nachgelassen hat. Gleichzeitig hat Musk aber sehr wohl auch direkt Änderungen mit Symbolwert vorgenommen und etwa unter dem Begriff "Meinungsfreiheit" selbst langjährig gesperrte Neonazis wieder auf die Plattform gelassen – während so manch antifaschistische Kritiker blockiert wurden. (apo, 6.9.2023)