Das mutmaßliche Tatfahrzeug, ein sSilberfarbiger Ford Mondeo mit Taxischild auf dem Dach.
In diesem silberfarbenen Ford Mondeo soll der Verdächtige die Diebstähle begangen haben.
LPD Wien

Wien – Es war ein großzügiges Angebot, das der 33-jährige Uber-Fahrer dem sichtbar alkoholisierten Passanten machte: Er könne ihn nach Hause bringen, auch wenn er kein Bargeld mehr eingesteckt habe. Der Mann nahm das Angebot an – und wurde damit zu einem der mindestens 39 Opfer des Tatverdächtigen, der von der Polizei im Rahmen der "Operation Uhrentaxi" ausgeforscht wurde. Ein Jahr lang soll der Mann, über den am Donnerstag die Untersuchungshaft verhängt wurde, schlafenden Fahrgästen teure Uhren vom Handgelenk gestohlen haben, der Schaden beträgt mindestens 600.000 Euro. Am Montag wurde er bei seinem jüngsten Coup gefasst und festgenommen.

Bei einer Pressekonferenz im Dachgeschoß der Landespolizeidirektion Wien am Schottenring gaben Martin Roudny und Andreas Lang vom Landeskriminalamt, Außenstelle Zentrum-Ost, und Nina Bussek, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien, den bisherigen Ermittlungsstand bekannt. Begonnen hatte die Angelegenheit im September des Vorjahres, als bei der Exekutive mehrere Fälle registriert wurden, die sich ähnelten: vorwiegend gut gekleidete Personen, hauptsächlich Männer, die nach durchzechter Nacht in Szenelokalen in der Innenstadt ein Uber bestiegen, einschliefen und schließlich, nachdem sie bei ihrer Zieladresse abgesetzt worden waren, feststellten, dass ihre Uhren fehlten.

Polizeifoto des verdächtigen 33-Jährigen
Auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft Wien wird dieses Bild des Tatverdächtigen veröffentlicht, um möglichen weiteren Opfern eine Identifizierung zu ermöglichen.
LPD Wien

Zunächst stand im Raum, dass der zu diesem Zeitpunkt noch unbekannte Fahrer sie mittels in Zuckerln und Kaugummis versteckter K.-o.-Tropen betäubt hatte. Nachdem zwei Gutachten allerdings keinen Hinweis auf Rückstände solcher Mittel ergaben, gehen die Ermittler nun davon aus, dass der Verdächtige sich seine Opfer bewusst ausgesucht habe. Wenn sie offensichtlich an einer akuten Ethanol-Intoxikation laborierten oder, wie man in Oberösterreich sagen würde, in der Voifettn waren, sah der in Wien lebende Türke seine Chance.

Auf frischer Tat ertappt

Die Opfer glaubten entweder, in einen von ihnen bestellten Fahrtendienst zu steigen, oder der unbescholtene Verdächtige bot sich aktiv für eine günstige Fahrt an. Am 4. September beobachteten die observierenden Kriminalisten ihn auf frischer Tat: Gegen 23 Uhr hielt er in Wien-Hietzing neben einem Passanten, den er schließlich in den 18. Bezirk chauffierte. "Die Observation war nicht einfach, da der Verdächtige teilweise mit nur 20 oder 30 km/h fuhr", schildert Ermittler Lang.

Im Bezirk Rudolfsheim-Fünfhaus hielt der Verdächtige sein Gefährt für zehn Minuten an, die Beobachter konnten den schlafenden Fahrgast auf der Rückbank wahrnehmen. Nachdem er ausgestiegen war, wurde das Opfer von den Polizeibeamten nach seiner Uhr gefragt, die er vermisste. Als das Taxi gestoppt wurde, fand sich der Wertgegenstand in der Hose des Fahrers, der bisher von seinem Recht der Aussageverweigerung Gebrauch gemacht hat, wie Staatsanwaltschaftssprecherin Bussek berichtet. Reibungslos ging die Festnahme nicht vor sich: Sowohl der Verdächtige als auch ein Polizist sollen leicht verletzt worden sein.

Weder im Fahrzeug noch in der Wohnung des Verdächtigen wurden K.-o.-Tropfen gefunden, in der Wohnung dafür gefälschte Markenuhren. Wohl auch die Beute aus den gewerbsmäßigen schweren Diebstählen, vermutet die Exekutive. Doch wie war man dem Mann auf die Spur gekommen? Dazu hält sich Lang bedeckt: Es seien umfangreiche Ermittlungen notwendig gewesen, die Einvernahmen der Opfer hatten sich aber als wenig ergiebig herausgestellt. Aufgrund ihres Zustands konnten sie nur sagen, dass der Fahrer ein bärtiger Mann gewesen sei. Mehrere berichteten auch, dass der Fahrer ihnen bei der Ankunft an der Zieladresse, als sie wieder aufwachten, versicherte, sie hätten bereits bezahlt. Da mehrere Menschen überzeugt waren, mit einem bestellten Taxi unterwegs gewesen zu sein, mussten auch die Alibis dieser Fahrer überprüft werden.

Der entscheidende Hinweis, über den Lang keine näheren Angaben machen möchte, kam von der Polizeiinspektion Klosterneuburg. Die dortigen Beamten meldeten ihren Wiener Kollegen einen Namen und ein Kennzeichen, wodurch der Verdächtige identifiziert war. Er arbeitete auch regulär als Taxifahrer und war in Besitz einer entsprechenden Berechtigung, das Auto mietete er monatsweise von einer Firma. Im Juli war der Mann auf Urlaub, just in diesen drei Wochen wurden auch keine neuen Fälle bekannt. Schließlich wurde er vom Observationsteam des Bundeskriminalamts beobachtet, das ihn schließlich erwischte.

Mögliche weitere Opfer sollen sich melden

Lang geht nach derzeitigem Erkenntnisstand davon aus, dass es sich um einen Einzeltäter handelt, auch aus dem Ausland sind ihm keine vergleichbaren Fälle bekannt. Der Verdächtige soll hochprofessionell vorgegangen sein und sich stets versichert haben, dass seine Opfer tatsächlich tief und fest schliefen. Die nächsten behördlichen Schritte beinhalten eine Kontoöffnung und eine Rufdatenrückerfassung, um einerseits eine Vermögensabschöpfung zu ermöglichen und andererseits eventuell doch vorhandene Hintermänner oder -frauen zu identifizieren. Mögliche weitere Opfer oder Zeugen werden ersucht, sich (auch anonym) an das Landeskriminalamt Wien, Außenstelle Zentrum-Ost, unter der Telefonnummer (01) 31310-62800 zu wenden. (Michael Möseneder, 7.9.2023)