
"Zwei Drittel meiner Klasse wollen Youtuber oder Streamer werden", erzählte mir vor ein paar Monaten eine mir bekannte Lehrerin. Interessiert frage ich nach, warum dieses Jobprofil so beliebt ist. Die lapidare Antwort: "Mit Spaß Geld verdienen."
Nach vielen Interviews mit jungen Influencern weiß ich, dass dem natürlich nicht so ist. Sehr viele dieser jungen Menschen stecken einige Jahre lang Arbeit in die "Karriere", und oft hebt man trotzdem nicht ab oder läuft Gefahr, in eine Depression zu schlittern. Einer der vielen Gründe, warum mein Sohn sicher kein Influencer werden soll.
Money, Money, Money
Im Mai legt einer der bekanntesten und erfolgreichsten Streamer Deutschlands, Montana Black, seine Einnahmen offen. Mit seinen knapp fünf Millionen Followern auf Twitch und knapp drei Millionen Abonnenten auf Youtube soll er bereits Einnahmen in der Höhe von rund 2,5 Millionen Euro gemacht haben. Allein auf Twitch verdient er im Monat nur mit sogenannten Subs, einer Art Abogebühr, 76.000 Euro pro Monat brutto.
Das Zielpublikum des Streamers, das sieht man auch bei seinen öffentlichen Auftritten, ist jung. Kinder und Jugendliche, die angesichts dieser Summen schnell den Blick auf die Realität verlieren. Sie sehen einen jungen Mann vor der Kamera lustig dahinlabern, Witze machen und ein bisschen Computer spielen. Alles Dinge, die auch Kinder können – glauben sie zumindest.
Rafael Eisler ist ein erfolgreicher Vertreter der heimischen Influencer-Szene und wurde bereits vor acht beziehungsweise fünf Jahren vom STANDARD zu seiner Karriere befragt. Durch das Videospiel "Minecraft" reichweitenstark geworden, wird er heute von Firmen wie A1 als Moderator gecastet oder nimmt für Red Bull an Aktionen teil, welche die Gamer-Community auf den österreichischen Energydrink aufmerksam machen sollen. Ich frage den jungen Mann, den ich über die Jahre immer wieder für Interviews oder auf Events treffe, ob seine Kinder einmal in seine Fußstapfen treten dürfen. Noch nicht mit Nachwuchs gesegnet, antwortet Eisler, dass er ihnen alle Möglichkeiten offenhalten wolle: "Mein Kind wird den Weg gehen, den es gehen will."
Im Fall der Fälle würde er seine "Expertise beisteuern", was man tun und was man auslassen sollte. Die größte Herausforderung sei es, zu verstehen, dass man keine Basis habe wie etwa ein Schauspieler, der vorher auf eine passende Schule für eine Ausbildung gehen kaönne. In den Influencer-Job gehe man heute ohne Vorwissen, meint er. Man müsse erfolgreich sein, wenn man alle Karten auf diesen Weg setze. Einen Plan B gebe es nicht.
Eisler empfiehlt entgegen dieser Nichtstrategie, lieber ein Back-up zu haben, auch aus eigener Erfahrung. "Ich habe vier Jahre neben der Schule Videos produziert und dabei keinen Cent verdient." Als der Geldfluss einsetzte, brach der Streamer mit 18 die Schule ab, um sich selbstständig zu machen und noch mehr Zeit in den neuen Job stecken zu können. "Das würde ich meinem Kind sicher nicht empfehlen", gibt er zu. Lieber ein Studium parallel laufen lassen und wirklich nur den Sprung wagen, wenn es stabil läuft und die Ausbildung abgeschlossen ist.
Offene Menschen
Meine eigenen Erfahrungen mit Influencern in Österreich sind durchwegs positiv. Ich lernte als Journalist und zwischendurch als Selbstständiger das Streaming-Paar Rebecca "JustBecci" Raschun und René "Luigikid" Wurz kennen, die sich in ihren unterschiedlichen Bereichen über die Jahre etabliert haben. Die eloquente Renée Veyla interviewte ich erstmals im November 2022, nach ihrem Auftritt in der TV-Sendung "Stöckl", und Rene Eisler kenne ich seit seinen ersten Erfolgsmeldungen.
Alle sind offene und lebenslustige Menschen, mit denen man gerne Zeit verbringt. Sie alle sind selbstständig, was in Österreich nicht selbstverständlich ist. Hinzu kommt der tägliche Druck, performen zu müssen – ein bissl lustig und ein bissl interessant sein. Wer keine dicke Haut hat, zerbricht an den täglichen Beschimpfungen, von denen fast alle Influencer ihre eigenen Geschichten erzählen können.
Aber genau diesen Dauerdruck würde ich meinem Sohn gerne auf dieser Bühne ersparen. Veyla und Becci erzählen mir von Depressionen, ein kleinerer Youtuber erzählt, wie er trotz jahrelanger Content-Creation nie große Reichweiten schaffte. Der Traum, ganz einfach reich zu werden, stimmt – wie auch in den meisten anderen Bereichen – in diesem Zusammenhang nicht. Freie Wochenenden und ein fixes Gehalt am Monatsende sind speziell am Anfang unmöglich. Unter all denen, die dennoch diesen Weg gehen, schaffen es nur ganz wenige, wirklich davon leben zu können, auch wenn Firmen immer Influencer-affiner werden und Deals leichter greifbar scheinen als noch vor vielen Jahren.
Aktive Mediennutzung
Barbara Buchegger ist die pädagogische Leiterin der Beratungsplattform safertinternet.at. Täglich hat sie mit Jugendlichen zu tun – deren Überforderung und täglichen Herausforderungen. Buchegger versteht gut, warum das Jobprofil Influencer bei den Heranwachsenden so gut ankommt: "Oft erleben Kinder ihre Eltern in Berufen, die ihnen wenig Spaß machen und wenig Erfüllung bringen." Die Antwort für die Jugendlichen sei deshalb offensichtlich. Man selbst sucht sich etwas, mit dem man gerne Zeit verbringt und mit dem man auch gut Geld verdienen kann. Gerade in Zeiten wie diesen würden viele Jugendliche erfahren müssen, wie das ist, wenn im Haushalt zu wenig finanzielle Mittel vorhanden sind.
"Aktive Mediennutzung" findet die Pädagogin deshalb sehr gut. Sich mit Dingen wie Videoschnitt oder Content-Erstellung auseinanderzusetzen sei für viele aktuelle Berufe sicher kein Nachteil. Viele würden es ohnehin ausprobieren und nach ein paar Wochen wieder aufgeben.
Für jene, die durchhalten, sei die größte Gefahr das "Ausbrennen". Das Gefühl, "nie Pause machen zu können". Das hat Buchegger über die Jahre von Betroffenen verstärkt erzählt bekommen. Initial sei hierfür der Schritt "vom Hobby zum Beruf" verantwortlich. Nach diesem Sprung müssten sich die Content-Creator noch gezielter Auszeiten gönnen, beruflich genutzte Räumlichkeiten besser von privaten trennen und so weiter. Also eine ganz ähnliche Situation, wie man sie von anderen Berufsbildern seit dem Homeoffice-Boom kennt oder auch bei Selbstständigen, die ebenfalls primär zu Hause arbeiten.
Als weiteren großen Druckpunkt sieht die Pädagogin gar nicht so sehr den Hass im Netz, mit denen viele laut ihrer Erfahrung umgehen lernen, sondern noch mehr die "parasozialen Beziehungen" zwischen Influencern und deren Communities. Viele junge Leute würden hier schnell überfordert sein. Es stellen sich plötzlich Fragen wie: Gehe ich auf das jetzt ein? Was wird von mir erwartet? Welche Grenzen muss ich setzen? Hinzu kommen die vielen Erfolgsmessungen, die man auf den Plattformen mittlerweile angeboten bekommt, die ebenfalls von den Influencern regelmäßig geprüft werden müssen.
Umdenken
Ich frage Eisler, wie er glaubt, dass sich das Jobprofil in den nächsten Jahren ändern wird. Schließlich hat mein Sohn noch ein wenig Zeit, bis er Youtube und Twitch benutzen darf. Die Wege würden kürzer werden zwischen gelegentlichem Hochladen von Videos und ersten Deals mit Marken, um ein wenig Geld mit dem Content zu verdienen, meint der Influencer. Die aktuell schon sehr erfolgreichen Content-Creator könnten über die Jahre eigene Medienhäuser aufbauen, wie sie das ja bereits tun. Angestellte liefern in diesem Fall Ideen oder schneiden Videos, der Influencer selbst ist nur noch vor der Kamera tätig, wie man das früher nur vom Fernsehen kannte.
Sich abzuheben von der Masse würde laut Eisler immer schwieriger werden. Die einzige Chance seien wohl neue Plattformen, wie zuletzt Tiktok, wo neue Creator tendenziell öfter im Stream auftauchen. So würde man immer schneller Erfolg haben können. Allerdings sei vor allem das langfristige An-der-Spitze-Bleiben eine Schwierigkeit, die auch in Zukunft nur wenige meistern werden können: "Es wird wohl alles noch schneller und kurzlebiger, als das jetzt schon der Fall ist."
Genau wie Eisler würde auch Buchegger Kindern nicht pauschal von dem Jobprofil abraten, trotz der genannten Herausforderungen. "Probiere es aus," würde sie sagen, aber darauf hinweisen, dass es ein sehr anstrengender Job ohne regelmäßige Pausen ist. Es brauche immer Begleitung von Erziehungsberechtigten und Unterstützung, wenn es nötig ist.
Auch die eingangs erwähnte Lehrerin treffe ich wieder, und tatsächlich findet auch sie mittlerweile positive Ansätze. So sei immer mehr Kindern klar, dass "es nur wenige schaffen, damit Geld zu verdienen". Andere Schülerinnen sehen ihre Social-Media-Profile als Motivation, sich in "Videosoftware einzuarbeiten" oder plötzlich "motiviert Englisch zu lernen". Beeindruckt habe sie eine ihrer Gruppen, die gemeinsam einen Instagram-Account führt: "Sie besprechen gemeinsam das Konzept und teilen ihre Aufgaben auf. Genau das wünscht man sich für einen erfolgreichen Projektunterricht."
So befinde auch ich mich gerade in einem Umdenkprozess. Der Sohn eines guten Freundes fragte mich kürzlich, ob ich ihm Feedback zu seinem bereits auf Spotify aktiven Podcast geben könnte. Der Sohn ist elf Jahre alt und großer Fan der Videospielreihe "Zelda". Was er besser machen könnte, fragt er. Wo man sich dazu austauschen kann und einiges mehr. Die Eltern haben keine Erfahrung mit Podcasts, lassen den Kontakt mit dem alten Medienmenschen allerdings gerne zu. Ich gebe Tipps und bin begeistert von dem Engagement des jungen Mannes. Vielleicht hat mein Sohn auch einmal diesen Drang, Content-Creator oder Influencer zu werden. Wenn er ein ähnliches Engagement zeigt, werde ich ihm wohl doch nicht im Weg stehen. (Alexander Amon, 9.9.2023)