Der Kreml lässt auch in den in der Ukraine annektierten Gebieten nun Pseudowahlen durchführen.
Der Kreml lässt auch in den in der Ukraine annektierten Gebieten Pseudowahlen durchführen.
AFP/STRINGER

Große Überraschungen sind nicht zu erwarten bei den Kommunalwahlen am 10. September. Trotzdem sind die Wahlen wichtig. Denn sie sind ein Test für die Präsidentschaftswahl im kommenden März. Und da soll für den Kreml nichts schieflaufen.

Doch die Menschen in Russland interessieren sich nur wenig für den Urnengang im September. Was auch am Wahlkampf liegt. "Die Agitation wird langweiliger, ähnelt den Leitartikeln sowjetischer Zeitungen", bemerkt der Politstratege Oleg Sacharow laut der Zeitung Wedomosti.

Kreml-treue Kandidatinnen und Kandidaten werden sich durchsetzen, auch wenn Meinungsumfragen zufolge die Zustimmung zur Kreml-Partei Geeintes Russland von 44 auf 39 Prozent zurückgegangen ist. Eine breite Opposition, die Kreml-Chef Wladimir Putin gefährlich werden könnte, gibt es längst nicht mehr in Russland. Viele Parteien stehen zur Wahl, die einzige wirkliche Oppositionspartei, Jabloko (Apfel), hat nur wenig Chancen.

Mehr als 81.000 Kandidaten werden antreten. "In allen Regionen, einschließlich unserer vier neuen Gebiete, ist die Phase der Registrierung der Kandidaten bereits abgeschlossen", erklärte Ella Pamfilowa, Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission Russlands. Die "vier neuen Gebiete", das sind die in der Ukraine besetzten Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson. Auch dort wird gewählt.

Beobachtung unerwünscht

Auf die Finger schauen will man sich bei den Wahlen in diesem und im nächsten Jahr nicht lassen. Das hat bei vergangenen Wahlen die unabhängige Wahlbeobachtungsorganisation Golos getan – und oft genug Manipulationen bemängelt. Doch Golos steht seit 2021 auf der Liste der "ausländischen Agenten", was die Arbeitsmöglichkeiten drastisch einschränkt. Mehr noch: Grigori Melkonjanz, der Co-Vorsitzende von Golos, sitzt bis mindestens 17. Oktober in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, mit einer "unerwünschten Organisation" zusammenzuarbeiten. Laut seinem Anwalt steht die Inhaftierung im Zusammenhang mit der Arbeit von Golos für das Europäische Netzwerk der Wahlbeobachtungsorganisationen (Enemo), das von den Behörden zur "unerwünschten Organisation" erklärt wurde. Die Polizei hat auch die Wohnungen von Golos-Mitgliedern in Moskau und anderen Städten untersucht, so die Bürgerrechtsorganisation OVD-Info.

Bei der wichtigsten Wahl, in Moskau, wird Sergej Sobjanin sehr sicher Bürgermeister bleiben. Seit September 2010 ist er im Amt, damals eingesetzt vom russischen Präsidenten Dmitri Medwedew. 2013 wurde Sobjanin erstmals gewählt. Sein Gegner bei der Kommunalwahl war Alexej Nawalny, der immerhin 27 Prozent der Stimmen bekam. Jetzt verspricht Sobjanin den Moskauern den Umbau der Infrastruktur des Gesundheitssystems, neue U-Bahn-Stationen und mehr Bildungschancen. Sobjanins damaliger Gegner Nawalny, im Straflager inhaftiert, hat seine Unterstützer zur Wahl von Kandidaten aufgerufen, die nicht der Kreml-Partei angehören. "Wählt einen Kandidaten, der nicht Mitglied von Geeintes Russland ist, da gibt es viele gute", so Nawalny auf seiner Website.

Vielleicht Jabloko, die Apfel-Partei? Laut ihrer Website will sie "eine politische Alternative" darstellen und kritisiert die Fortführung der Spezialoperation in der Ukraine.

Ruf nach "neuer Politik"

Russland brauche eine neue Politik, eine "zur Rettung von Menschenleben, zur Beendigung der Eskalation und zum Abschluss eines Waffenstillstandsabkommens, zu einem umfassenden Austausch von Gefangenen und Toten, zur Beendigung der Atomkriegspropaganda". Sicher gebe es mit anderen Ländern Probleme, Meinungsverschiedenheiten und Widersprüche. Doch lösen müsse man sie "ausschließlich mit friedlichen politischen Mitteln".

Dass sich Jabloko damit nicht durchsetzen wird, ist der Partei klar. In ihren Reihen gäbe es fähige Politiker, schreibt Jabloko, aber heute könne "aufgrund repressiver Gesetze und ungerechter Gerichtsentscheidungen nicht jeder von ihnen an Wahlen teilnehmen". (Jo Angerer aus Moskau, 8.9.2023)