Wie will ich leben? Und wo lässt es sich in ein paar Jahren oder Jahrzehnten noch aushalten? Diese Fragen beschäftigen Anne Weiss schon länger. Die deutsche Buchautorin hat einen recht unkonventionellen Weg gewählt, es für sich herauszufinden: Sie hat die unterschiedlichsten Wohnformen ausprobiert. Rund 30-mal ist sie in ihrem Leben umgezogen, hat in der Stadt gewohnt, auf dem Land, im Tiny House, einer Waldhütte, einer Jurte oder im Mehrgenerationenprojekt. Die Orte hat sich Weiss danach ausgesucht, wie gut sie sich vorstellen konnte, dass das Wohnen dort zukunftstauglich ist und glücklich macht. Über ihre Wohnexperimente hat sie ein Buch geschrieben: "Der beste Platz zum Leben" ist Ende August im Knaur-Verlag erschienen.

Anne Weiss; Buchautorin; Der beste Platz zum Leben
Die Autorin Anne Weiss probierte unterschiedliche Wohnformen aus und veröffentlichte ihre Erfahrungen in einem Buch.
Mathias Bothor

STANDARD: Man hört und liest von Menschen, die es in ihren Dachgeschoßwohnungen nicht mehr aushalten und überlegen, auf den Berg zu ziehen oder nach Norwegen auszuwandern. Wird die Suche nach einem kühlen Ort zum Leben auch in unseren Breiten immer drängender?

Weiss: Natürlich müssen wir schauen, wo wir wohnen, dass wir uns einen Ort suchen, der möglichst den Klimafolgen widersteht. Andererseits ist auch die Frage nach der Resilienz wichtig. Gegenden komplett aufzugeben, weil etwa die Waldbrand- oder die Überschwemmungsgefahr dort höher ist, fände ich falsch. Es wird entscheidend sein, Maßnahmen zu treffen, um den Klimafolgen zu trotzen, etwa indem man Deiche oder Schwammstädte baut. In der Stadt ist Begrünung wichtig, die für Abkühlung sorgt. Natürlich gibt es Menschen, die nicht anders können, als vor dem Extremwetter zu fliehen. Aber es kann nicht darum gehen, einfach die Flucht zu ergreifen, wenn es andere Möglichkeiten gibt.

STANDARD: Stadt oder Land: Wie haben Sie das für sich herausgefunden?

Weiss: Ich probiere gerne alles aus, deswegen war ich sowohl auf dem Land wie auch in Städten unterwegs und habe mir vielversprechende Projekte angeschaut. Was mich zum Beispiel besonders interessiert hat: wie das Leben auf dem Land ohne Auto funktioniert. Ich möchte gerne viel Grün um mich haben, gleichzeitig will ich nicht aufs Auto angewiesen sein. In manchen Gegenden ist es möglich, mit Zug und Rad mobil zu bleiben. Ich war in Eiderstedt in Schleswig-Holstein, ganz im Norden von Deutschland. Dort gab es Fahrgemeinschaften, Carsharing. Eine Nachbarin ist der örtlichen Busgesellschaft so lange freundlich auf die Nerven gegangen, bis sie tatsächlich eine Rufbus-Haltestelle eingerichtet haben. Ohne Auto mobil zu sein ist also möglich, aber man muss sich mitunter zusammentun oder hartnäckig sein. Wir dürfen uns auch auf dem Land nicht damit zufriedengeben, zum Autofahren gezwungen zu sein.

STANDARD: Ökodörfer sind Gemeinschaften, die besonders klimaschonend leben wollen. Was läuft dort konkret anders?

Weiss: Ich war in Sieben Linden in Sachsen-Anhalt, einem der bekanntesten Ökodörfer. Dort fängt es schon mit dem Bau der Häuser an: Die Ökobilanz der Strohballenbauweise ist unschlagbar. Außerdem wird darauf geachtet, möglichst wenig Platz zu verbrauchen. Es geht auch um gemeinschaftliches Wohnen, es gibt eine Gemeinschaftsküche, ein Gemeinschaftshaus. So werden Ressourcen geschont. Sieben Linden erfüllt außerdem einen Bildungsauftrag, indem die Gemeinschaft ihre ökologische Lebensweise weitergibt. Man kann hinfahren, sich das anschauen, an Seminaren teilnehmen. Auf den ersten Blick sieht Sieben Linden aus wie ein kleines Bullerbü. Als ich dort hinkam, es war Sommer, blühte gerade der Mohn, die Insekten schwirrten, und ganz viele Schwalben und andere Vogelarten, die ich in der Stadt sonst so selten beobachte, waren zu sehen. Da war gleich ein Erholungsfaktor da.

STANDARD: Trotzdem sind Sie nicht geblieben. Wieso?

Weiss: Ich war schon verführt, muss ich sagen. Ich habe wirklich gerne dort gewohnt. Auch dass sie ihr eigenes Gemüse anbauen, es keine Zäune gibt, die Straßen nicht geteert sind und keine Autos auf dem Gelände fahren, hat mir gefallen. Doch um in Sieben Linden wohnen zu können, muss man ein langes Prüfungsverfahren durchlaufen. Sie schauen genau, wer zu ihnen passt. Außerdem war jetzt für mich erst mal noch nicht die Frage, ob ich hinziehe, sondern wie ich überhaupt mit dem Leben in verschiedenen Wohnformen klarkomme. Was ist für mich daran attraktiv, was ist bezahlbar, und was will ich mitnehmen?

STANDARD: Es gibt den Trend zu Tiny Houses. In den Minihäusern ist auf kleinstem Raum alles Wesentliche untergebracht. Das Positive daran: In Klimakrisenzeiten ist es entscheidend, dass wir Quadratmeter sparen. Aber lebt es sich dort nicht fürchterlich beengt?

Weiss: Es ist natürlich schon ein bisschen eng. Dennoch habe ich ab und zu auch mit Gästen im Tiny House gefrühstückt. Wenn man zu mehrt ist, setzen sich eben ein paar auf die Stufen, die zur Empore mit dem Bett führen. Im Sommer kann man das Leben auch nach draußen verlegen. Ich würde aber sagen, dass Tiny Houses vor allem etwas für Individualisten in einer bestimmten Lebensphase sind. Hat man viele Kinder, ist es wahrscheinlich nicht die ideale Wohnform. Auch wenn man älter wird, könnte es schwierig werden. Man stellt sich dann vielleicht die Frage, wie man sich mit seinem Rollator in der Küche noch umdrehen kann. In meiner Lebenssituation komme ich jedoch mit dem begrenzten Platz aus. Ich habe mich im Tiny House wohlgefühlt, selbst wenn es wegen der vielen Außenflächen und der Bauweise nicht immer auch ökologisch ist.

"Ich komme in meiner Lebenssituation mit dem begrenzten Platz aus. Ich habe mich im Tiny House wohlgefühlt."
(Buchautorin Anne Weiss)

STANDARD: Sie haben sich auch mit Smart Homes beschäftigt. Wie nachhaltig sind sie?

Weiss: Bei Smart Homes kommt es sehr darauf an, welches Ziel man damit verfolgt. Mit Geräten und Apps kann man messen, wie viel Strom man verbraucht, und seinen Verbrauch regulieren. Insofern schafft man es mit einem Smart Home ganz gut, Strom zu sparen, wenn man das möchte. Wenn es allerdings hauptsächlich auf Entertainment und Bequemlichkeit ausgelegt ist, verbrauchen Menschen darin auch mal mehr Strom als eigentlich notwendig.

STANDARD: Welches war von all Ihren Wohnexperimenten das verrückteste?

Weiss: Für mich besonders verrückt fand ich, in einer Waldhütte zu wohnen, abseits der Zivilisation. Das habe ich auch nur ganz kurz gemacht, weil ich es leider nicht ausgehalten habe. Ich musste sofort an alle Horrorfilme denken, die mir jemals untergekommen sind. Für andere wäre wahrscheinlich von all meinen Experimenten die Jurte oder der Eisenbahnwaggon, in dem ich gewohnt habe, das ungewöhnlichste, weil es einen dort meist nicht so hinzieht.

Waldhütte
Auch eine Waldhütte war unter den Orten, die sich Anne Weiss für ihr Wohnexperiment aussuchte. Wohlgefühlt hat sie sich dort jedoch nicht besonders (Symbolfoto).
Getty Images/Claudia Prommegger

STANDARD: Eine Jurte ist das traditionelle Zelt der Nomaden in Zentralasien, besonders verbreitet in der Mongolei, Kirgisistan und Kasachstan. Kann man denn in einer Jurte in Europa leben?

Weiss: Für mich war es immer ein Traum, eine Zeitlang in einer Jurte zu wohnen. Also habe ich mich auf die Suche gemacht und ein Jurtendorf in der Schweiz, bei Luthern Bad, gefunden. Die Menschen dort wohnen auch im Winter in der Jurte, also richtig bei Schnee und Eis. Das fand ich beeindruckend. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das könnte, auch weil die Gemeinschaftsräume offen sind, etwa das Gemeinschaftsbad. Für mich als Frostbeule ist das nicht die ideale Lebensform.

STANDARD: Und wie kam es zu dem Eisenbahnwaggon?

Weiss: Ich habe einen Freund, der mehrere dieser Waggons vermietet. Sie sind sehr fantasievoll gestaltet, um Urlaub zu machen. Es gibt zum Beispiel einen Waldwaggon oder einen Zirkuswaggon. Mit mir haben auch vier Frauen aus der Ukraine dort gewohnt. Was bedeutet das für diese Frauen, ihre Heimat zu verlieren? Und was ist Heimat für mich? Das waren Fragen, die mich in dieser Zeit speziell beschäftigt haben.

STANDARD: Wie findet man für sich heraus, was für einen die ideale Lebensform ist?

Weiss: Ich würde dazu anregen, sich anzuschauen, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt. Wir sind gewohnt, Wohnungsanzeigen durchzuschauen und die Wohnform von der Stange zu nehmen. Stattdessen könnte man etwas ausprobieren, für ein Wochenende in ein Tiny House ziehen, ein Klimaquartier oder Genossenschaftsprojekt besuchen oder auch mal in ein Ökodorf fahren. Und wenn man auf den Geschmack kommt, die Lust entwickelt, dann kann man seine Lebenssituation ansehen, abwägen und schauen: Was passt für mich? Wir sollten uns aber auch als Gesellschaft überlegen, wo wir hinwollen. Wollen wir diese Vereinzelung wirklich? Wie kann Wohnen nachhaltiger, bezahlbarer und sozialer werden? Das fände ich immens wichtig. (Lisa Breit, 11.9.2023)