Tablett mit mehreren vollen Weißweingläsern, eines davon nimmt gerade eine Frau in die Hand
Auch ein Weinglas kann zu einer gefährlichen Waffe werden, wenn es als Schlaginstrument eingesetzt wird, wie sich bei einer Verhandlung im Landesgericht für Strafsachen Wien zeigt.
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Wien – Das Strafverfahren wegen Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen gegen eine 26-jährige Mutter ist ein warnendes Zeichen dafür, wie rasch eine Nichtigkeit eskalieren kann. Die Unbescholtene geriet in einem schicken Club in der Wiener Innenstadt Anfang des Jahres mit einer ein Jahr älteren Studentin in Streit – nun hat das Opfer zwei sichtbare Narben im Gesicht und ist schwer traumatisiert, wie sich auch im Verhandlungssaal vor Richterin Magdalena Klestil-Krausam zeigt.

"Wir hatten echt einen schönen Abend gehabt", sagt die Verletzte als Zeugin. Als sie die Toilette aufsuchen wollte, musste sie sich durch einen Pulk schlängeln, erinnert sie sich, plötzlich habe ihr jemand eine eiskalte Flüssigkeit über die Kleidung geschüttelt. Sie erkannte, dass es die Angeklagte war, und sagte in Erwartung einer Entschuldigung: "Boahhh, du hast mich gerade voll angeschüttet!" Die Entschuldigung kam nicht, behauptet die Zeugin – im Gegenteil. "Sie war sofort von null auf 100, sagte, ich hätte sie angerempelt. Dann kam sie näher. Ich habe nur gesagt: 'Ey, was ist mit dir, spinnst du?'", schildert die 27-Jährige ihre Erinnerung. Dann habe ihre Gegnerin sie mit einer ausholenden Bewegung der rechten Hand, in der sie ein Weinglas hielt, voll ins Gesicht geschlagen, erzählt sie unter Tränen.

"Ich wurde in meinem Leben noch nie geschlagen, wollte nur weg aus der Situation und bin sofort gegangen", rekapituliert die Zeugin. Erst ein Security habe sie darauf aufmerksam gemacht, dass sie am ganzen Gesicht blute, und sie auf das WC gebracht, wo er nach einer ersten Inspektion sofort die Rettung rief. Denn die Folgen der Attacke waren verheerend, wie der gerichtsmedizinische Sachverständige Christian Reiter in seinem Gutachten beschreibt. Das Weinglas zerbrach im Gesicht des Opfers, durchstieß sogar die Wange, Scherben steckten auch unter ihrem Auge. Im Spital war eine Operation nötig, da auch ein Blutgefäß durchtrennt war, bis heute sind zwei eingesunkene Narben in dem Gesicht des Opfers erkennbar, wie sich die Richterin durch Augenschein überzeugt.

Unkontrolliert zitternde Zeugin

Nicht minder schlimm waren die psychischen Folgen für die durch Irene Oberschlick vertretene Studentin. "Die ersten drei Nächte habe ich überhaupt nicht schlafen können. Ich habe immer daran gedacht: 'Ich habe das jetzt für immer in meinem Gesicht.'" Für ihre Bachelorarbeit erhielt sie zwar einen Aufschub, allerdings konnte sie seit dem Angriff keine Prüfung mehr erfolgreich abschließen. "Ich kann nichts mehr lernen wegen der Sache", schluchzt die Zeugin. Mittlerweile besuche sie wöchentlich eine Therapie und nehme Psychopharmaka, um die Situation verarbeiten zu können. Als die Richterin verkündet, dass die im Nebenraum wartende Angeklagte sich entschuldigen möchte, beginnt die 27-Jährige unkontrolliert zu zittern, Klestil-Krausam ist daher klar, dass das Opfer keinen Kontakt will, und sie entlässt die heulende Zeugin.

Deren Geschichte widerspricht in wesentlichen Punkten jener der von Andreas Strobl verteidigten Angeklagten. Die 26-Jährige schildert den Vorfall nämlich so: Sie sei "ziemlich alkoholisiert" mit Freundinnen und einem Freund in dem Lokal gewesen. Mit ihrer Cousine ging sie an die Bar, um sich ein neues Getränk zu holen. Im Gedränge habe sie die Verwandte verloren, auf der Suche nach ihrer Gruppe habe sie die Studentin versehentlich angerempelt. "Ich bekam das nicht einmal mit", versichert die Angeklagte, plötzlich habe die andere Frau sie aber aufs Übelste beschimpft.

"Sie hat unter anderem 'Schlampe' zu mir gesagt und mich gegen den Oberkörper gestoßen", behauptet die 26-Jährige. "Ich habe dann im Reflex zurückgestoßen. Ich wusste aber nicht, dass ich sie im Gesicht getroffen habe." – "Wo haben Sie sie denn gestoßen?", will die Richterin wissen. Die Angeklagte deutet einen Stoß mit beiden Händen in Höhe der Schultern an. Sie habe sich wirklich bedrängt gefühlt und nicht mehr an das Glas gedacht. Ob sie sie vielleicht doch im Gesicht getroffen haben könnte? "Ich weiß es nicht mehr. Aber wenn, dann unabsichtlich", schließt die Angeklagte, die sich schuldig bekennt, nicht aus. Es sei aber auch möglich, dass die andere Frau durch eine Abwehrbewegung das Glas abgelenkt haben könnte, meint sie.

Angeklagte begann Therapie

Mittlerweile habe sie eine Psychotherapie begonnen, die ihre Impulskontrolle verbessern soll, zusätzlich sei auch der Umgang mit Alkohol ein Thema. "Also ich bin keine Alkoholikerin, aber wir besprechen, wie Alkohol die Hemmungen reduzieren kann", verrät sie. Sie hat auch 1.000 Euro in bar mitgebracht, die Verteidiger Strobl Privatbeteiligtenvertreterin Oberschlick übergibt.

Sachverständiger Reiter kann sich in seinem Gutachten kaum vorstellen, dass sich die Geschichte so ereignet hat, wie die Angeklagte es erzählt. Denn: "Die Verletzungen im Gesicht lassen sich mit dem bogenförmigen Verlauf eines Objektes wie etwa einem Weinglas sehr gut erklären. Die kinetische Energie beim Aufprall muss aber relativ hoch gewesen sein. Würde ein Weinglas geworfen werden, könnte es nur oberflächliche Schnittverletzungen hervorrufen. Es muss also eine höhere kinetische Energie gehabt haben", referiert er. An das durch eine Abwehrbewegung abgelenkte Glas glaubt er nicht: "Wir wissen aus dem Alltag, was passiert, wenn man mit einem Weinglas auf einen Widerstand stößt – das Erste, was abbricht, ist der Stiel. Und ein danach weiterfliegender Glaskörper hätte wieder zu wenig Energie, um diese Verletzungen hervorrufen zu können."

Reiter gesteht der Angeklagten allerdings zu, in ihrem "ziemlich betrunkenen" Zustand möglicherweise motorische Probleme gehabt zu haben – es sei also möglich, dass sie tatsächlich die Schulter treffen wollte, diese aber verfehlt hat. Der Schlag sei jedenfalls von unten nach oben geführt worden. "Bleiben Sie bei Ihrer Darstellung?", will Klestil-Krausam danach von der Angeklagten wissen. "Ich kann mich wirklich nicht erinnern", entschuldigt die 26-Jährige sich.

Keine Chance auf Diversion

Durch die Expertise des erfahrenen Gerichtsmediziners schwinden für Verteidiger Strobl die Chancen auf die Erfüllung seines im Eröffnungsplädoyer geäußerten Wunsches nach einer diversionellen Erledigung. Er sieht nämlich trotz der schweren Folgen keine "schwere Schuld" bei seiner Mandantin, aus seiner Sicht sei daher eine Vorstrafe nicht nötig.

Eine Ansicht, die die Richterin nicht im Geringsten teilt. Sie verurteilt die Angeklagte bei einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu zwölf Monaten bedingter Haft, dem Opfer muss sie über 6.000 Euro zahlen. "Im Zweifel haben ich zu Ihren Gunsten nur an einen Misshandlungsvorsatz und keinen Vorsatz zur Körperverletzung geglaubt", begründet Klestil-Krausam. Aber: "Es kann keine Diversion geben, das möchte ich schon in aller Klarheit sagen. Man stößt niemanden mit einem Glas in der Hand. Das ist eine schwere Schuld, das macht man nicht." Die 26-Jährige akzeptiert die Entscheidung unter Tränen, auch die Staatsanwältin ist einverstanden, das Urteil ist daher rechtskräftig. (Michael Möseneder, 8.9.2023)