Elon Musk, Starlink
Kommunikationskanäle, speziell jene in Kriegsgebieten, in die Hände von privaten Unternehmen zu legen birgt Risiken.
Jae C. Hong

Wann genau die ukrainische Armee zu dem, wie es Elon Musk ausdrückte, "großen Schlag" gegen die russische Schwarzmeerflotte an der Küste der besetzen Krim ansetzte, ist unklar. Und auch, ob die Vorbereitungen für den komplizierten Angriff mittels Unterseedrohnen tatsächlich schon so weit fortgeschritten waren, wie es der CEO des privaten US-Raumfahrtunternehmens Space X sowie von X (Twitter) und Tesla in seiner im September erscheinenden Biografie behauptet.

Fest steht aber, dass Musk damit eigenen Aussagen zufolge nichts zu tun haben wollte. Sein Satellitennetzwerk Starlink, das für die ukrainische Armee rasch zu einem überlebenswichtigen Kommunikationstool im Kampf gegen die russischen Invasoren wurde, wollte er der Ukraine für ihren geplanten Großangriff nicht zur Verfügung stellen, heißt es in der Biografie des exzentrischen Multimilliardärs. Konkret: Irgendwann Ende vergangenen Jahres, ist in den Auszügen zu lesen, die etwa CNN vorliegen, sei in Musks Büro ein dringendes Ansuchen aus Kiew eingelangt, das von dem privaten US-Unternehmen betriebene Satellitennetzwerk für den Bereich der westlichen Küste der Krim "bis nach Sewastopol" einzuschalten, wo sich die großen Ankerplätze der russischen Schwarzmeerflotte befinden. Die russisch besetzte Krim gehört schließlich eigentlich zu jenen ukrainischen Gebieten, in denen Starlink nicht funktioniert.

Bloß: Musk weigerte sich – aus guten Gründen, wie er in der Biografie sagt: "Wenn ich zugestimmt hätte, hätte sich Space X explizit mitschuldig gemacht an einem großen Kriegsakt und einer Eskalation des Konflikts", wird der gebürtige Südafrikaner in der Biografie des Journalisten Walter Isaacson zitiert. Ausgeschaltet hat Musk die Starlink-Verbindung allerdings vermutlich nicht – ihm zufolge war sie gar nie aktiv.

Unterseedrohnen wirkungslos

Das Resultat: Die mit Sprengstoff gefüllten Drohnen wurden, anstatt die feindlichen Schiffe zu versenken, "harmlos an Land gespült", weil während des Angriffs plötzlich ihre Verbindung zu dem Satellitennetzwerk gekappt worden sei. Tatsache ist jedenfalls, dass die russische Schwarzmeerflotte bisher nicht so großflächig von der ukrainischen Armee angegriffen worden ist, wie es dem Kriegsverlauf aus Kiews Sicht zuträglich wäre. Von Schiffen im Schwarzen Meer aus werden viele der verheerenden Luftangriffe mit Marschflugkörpern auf ukrainische Städte gestartet. Der Druck, diese Gefahr zu minimieren, ist bis heute groß.

DER STANDARD hat mit dem Wiener Militäranalysten Walter Feichtinger über den Nutzen von Starlink für die ukrainische Armee gesprochen und ihn gefragt, was ein mögliches Ende für Kiews Offensivbemühungen bedeuten würde.

"Draht läuft heiß"

"Es ist für mich absolut möglich, dass Musk in manchen Situationen Einschränkungen vornehmen lässt. Für die Ukraine wäre das ein unglaublicher Schlag, weil ihre Streitkräfte über ein ausgeklügeltes Planungssystem verfügen. Wenn hier wesentliche Elemente nicht greifen, weil die Kommunikation nicht funktioniert, muss man jedes Mal neu planen. Ich kann mir vorstellen, dass der Draht zwischen Musk und der obersten ukrainischen Führung zur Stunde heißläuft", sagt Feichtinger.

Dabei galt Elon Musk ganz zu Beginn des Krieges als einer der Väter des erfolgreichen Widerstands der überfallenen Ukraine gegen Russlands Invasion. Am 27. Februar 2022, also gerade einmal 72 Stunden nach dem Einmarsch, aktivierte der Milliardär seinen Satelliten-Internetdienst Starlink in der Ukraine. Deren Vizepremier Mychajlo Fedorow hatte ihn zuvor auf X, damals noch Twitter, darum gebeten. Der Service sollte es dem ukrainischen Militär ermöglichen, die nötigen Kommunikationskanäle offen zu halten.

In Windeseile lieferte Space X Lkw-Ladungen voller Terminals in die Ukraine. Kaum wird der Empfänger eingesteckt, verbindet er sich mit den rund 4.000 Starlink-Satelliten in der Erdumlaufbahn und sorgt für unterbrechungsfreie Internetkommunikation. Für die Ukraine, deren Kommunikationskanäle bis dahin von russischen "Jammern" erfolgreich gestört worden waren, bot sich damit ein überlebenswichtiger Vorteil: "Wenn hunderttausende Soldaten im Feld sind, ist die Kommunikation untereinander, aber auch mit dem vorgesetzten Kommando unerlässlich. Starlink hat die Zerstörung der ukrainischen Kanäle gleich zu Beginn des Krieges ausgeglichen", sagt Feichtinger.

Bald bereute Musk seine anfänglich so großzügig gepflogene Solidarität mit der angegriffenen Ukraine. Zunächst wollte er aufgrund der hohen Kosten – eigenen Angaben zufolge immerhin 80 Millionen Dollar pro Jahr – den Satellitendienst in der Ukraine abdrehen. Im November 2022 machte er seine Ankündigung wahr: "Zur Hölle damit ... auch wenn Starlink immer noch Geld verliert und andere Unternehmen Milliarden an Steuergeld erhalten, finanzieren wir die Ukraine einfach weiter kostenlos", schrieb er damals. Parallel scherte Musk auch mit politischen Aussagen aus. So schlug der Unternehmer auf X vor, unter anderem von den Vereinten Nationen begleitete Wahlen in den annektierten Regionen durchzuführen, die bei einer Abwahl Russlands einen Rückzug der Truppen bedeuten sollten. Außerdem solle die Ukraine neutral bleiben und nicht der Nato beitreten.

"Moralischer Schwachsinn"

Daraufhin wird ihm von mehreren Seiten Kreml-Propaganda vorgeworfen. "Das ist moralischer Schwachsinn, eine Wiederholung der Kreml-Propaganda, ein Verrat an ukrainischem Mut und Opferbereitschaft", schreibt damals etwa der russische Regimekritiker und Schachgroßmeister Garri Kasparow. Kurze Zeit später wird bekannt, dass Musk diese Aussagen vorab mit Russlands Präsident Wladimir Putin via Telefon besprochen haben soll – was der US-Unternehmer allerdings bis heute bestreitet. Eine Anfang September 2023 veröffentlichte Studie der Europäischen Kommission ergab zudem, dass X unter Musk eine wichtige Rolle bei der Verbreitung russischer Propaganda während des Untersuchungszeitraums zum Ukrainekrieg spielte. Unter anderem wurden Beiträge zum Krieg von Musks Service in ihrer Online-Reichweite beschnitten.

Dennoch äußert sich Russland immer wieder kritisch gegenüber den privaten Satelliten. In einem Bericht von Reuters wird schon im Oktober 2022 ein Vertreter des russischen Außenministeriums, Konstantin Woronzow, zitiert. Er sagte, ohne Starlink namentlich zu nennen, dass "zivile Weltrauminfrastruktur, einschließlich der kommerziellen, durch die die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten in bewaffnete Konflikte eingreifen", Teil eines etwaigen Vergeltungsschlags sein könnte. Der Einsatz westlicher Satelliten zugunsten des ukrainischen Militärs sei "ein extrem gefährlicher Trend". Im Dezember kündigte ein russisches Rüstungsunternehmen an, Starlink-Antennen lokalisieren und aus einer Distanz von bis zu zehn Kilometern ausschalten zu können.

SpaceX, Starlink
Fast 4.000 Satelliten hat Space X schon in die Erdumlaufbahn geschossen. Viele weitere sollen folgen.
IMAGO/Reginald Mathalone

Abschaltung der Drohnen bereits bekannt

Im Februar 2023 wurde schließlich bekannt, dass Space X aktiv verhindert hat, dass ukrainische Streitkräfte den Starlink-Service zur Steuerung von Drohnen nutzen können. Starlink sei schließlich "nie dazu gedacht (gewesen), als Waffe eingesetzt zu werden", wie CEO Gwynne Shotwell damals während einer Konferenz in Washington sagte. Und: "Die Ukrainer haben ihn jedoch auf eine Art und Weise genutzt, die unbeabsichtigt und nicht Teil einer Vereinbarung war."

Obwohl die Starlink-Terminals mittlerweile von den Vereinigten Staaten und Frankreich bezahlt werden, bestimmt nämlich immer noch Space X, wofür die Kommunikation eingesetzt werden darf – und auch, wofür nicht. Ein Analyst der Alliance for Security Democracy, Bret Schafer, meinte dazu kürzlich, dass dieses willkürliche Abschalten von Terminals ein "großartiges Beispiel" dafür sei, was es bedeute, wenn solch "große Macht der Kommunikation" in der Hand von "wenigen privaten Firmen" liegen würde. Auch deshalb arbeitet die EU bereits an einem eigenen Satelliteninternet, um mit Starlink konkurrieren zu können. Für die Ukraine dürfte dies aber zu spät kommen – zu sehr ist Kiews Armee auf die Dienste des unsicheren Kantonisten Musk angewiesen, sagt Feichtinger: "Wenn Starlink für die Ukraine wegbricht, wäre das ein brutaler Rückschlag für Kiews militärische Ambitionen."

Die Privatisierung des Krieges sei aber kein neues Phänomen, sagt der Militäranalyst: "Diesen Trend gibt es seit dem Irakkrieg vor zwanzig Jahren. Beim Thema Kommunikation geht es aber ans Eingemachte. Nicht einmal die USA haben die Möglichkeiten, die Musk mit Starlink hat. Im Prinzip begeben sich selbst Supermächte wie die USA in Abhängigkeit von privaten Betreibern, was sicher zu einem weltweitem Nachdenkprozess führen wird", sagt Feichtinger. (Florian Niederndorfer, Alexander Amon, 8.9.2023)