An einem sonnigen Tag hat man von dort oben einen wunderbaren Ausblick auf mehrere Sehenswürdigkeiten der Wiener Ringstraße, wie etwa das Rathaus. Zumindest kann man den Ausblick zum Teil genießen, wenn man durch das Glas in der Türe auf die Fläche über dem Haupteingang der Neuen Burg am Heldenplatz blickt. Denn betreten darf man den landläufig als "Hitlerbalkon" bekannten Gebäudeteil, der genau genommen eher eine Terrasse ist, niemand.

Ein Blick vom Balkon oder Altan am Heldenplatz an der Hofburg, auch bekannt als 'Führerbalkon', von dem aus 1938 der sogenannte 'Anschluss' an das Deutsche Reich verkündet wurde.
Ein Blick, den niemand genießen kann, obwohl die Terrasse allen gehört. Seit Hitler hielt hier nur noch Elie Wiesel 1992 eine Rede.
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Altan oder Söller heißt ein solcher Gebäudeteil, unter dem einst Besucher, die mit Kutschen oder später Automobilen vorfuhren, auch bei Regen trockenen Fußes ins Haus gelangen konnten. An diese harmlose Funktion denkt wohl kaum jemand, denn Adolf Hitler hat am 15. März 1938 von hier zu geschätzten 200.000 Menschen auf dem historisch seither ebenfalls belasteten Heldenplatz zum sogenannten "Anschluss" Österreichs gesprochen. Das Bild Hitlers auf dem Altan wurde zur "Ikone der Mitverantwortung Österreichs", wie es die kürzlich verstorbene Historikerin Heidemarie Uhl nannte. Eine entlarvende Ikone, lange bevor 1991 der damalige SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky diese Mitschuld offiziell benannte.

Die Direktorin des Hauses der Geschichte Österreich (HDGÖ), Monika Sommer, erinnerte am Donnerstag an die Worte Uhls. Sommer hatte zu einer spontan angebotenen Führung ins Museum geladen, die sofort ausgebucht war. Anlass war die Aufregung um das Video der Freiheitlichen Jugend. Im Museum wurde vor der besagten Tür zum Altan eineinhalb Stunden über die Geschichte des "Balkons" geredet.

Blaue Jugend blickt hinauf

Im Video, das vom österreichischen Staatsschutz bei der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der NS-Wiederbetätigung angezeigt wurde, stehen in einer Sequenz Jugendliche mit dem Rücken zur Kamera und richten den Blick gemeinsam auf besagten "Hitlerbalkon". FPÖ-Verfassungssprecherin Susanne Fürst gab sich diese Woche bei einer Pressekonferenz völlig überrascht: Sie habe das erste Mal gehört, "dass der nach einem gewissen Herrn benannt ist".

Die Überraschung Fürsts ist überraschend. Denn verboten ist das Betreten des vom Diktator höchstpersönlich kontaminierten Altans seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Wirklich "physisch abgesperrt", so erzählt Sommer, ist er aber seit 2019. Aus Sicherheitsgründen – nicht nur baulicher Natur.

Aufnahme des Prinz-Eugen-Denkmals gegen die Loggia der Neuen Hofburg (diese bombenbeschädigt) in Kriegsummauerung.
Der durch Bomben beschädigte Altan nach Kriegsende.
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Dabei wurde die Neue Burg trotz ihrer monarchistischen Gestalt erst 1919, als die Monarchie selbst schon Geschichte war, fertiggestellt. Von 1919 bis 1938 fanden auf dem Altan auch Veranstaltungen der katholischen Kirche, des Ständestaats und des Roten Wien statt.

Ein einziger Mensch hielt dort nach Hitler eine Rede: der Holocaustüberlebende und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel 1992 beim Konzert für Österreich. Schon im Jahr 1993 beim Lichtermeer, bei dem rund 300.000 Menschen auf dem Heldenplatz gegen Fremdenfeindlichkeit demonstrierten, blieb der Balkon wieder leer. Für Filmaufnahmen durften auch andere Holocaustüberlebende wie etwa Rudi Gelbard den "Balkon" betreten.

Museumsdirektorin Sommer hat eine Debatte über die künftige Nutzung der Freifläche angestoßen. Im Museum selbst, aber auch auf der HDGÖ-Homepage, wo es eine Online-Ausstellung samt Ideensammlung künstlerischer Projekte gibt, kann man darüber abstimmen, ob man den Altan für die Öffentlichkeit öffnen soll oder nicht. Rund 114.000 stimmten bisher für die Öffnung und nur 17.00 dagegen ab.

Screenshot FPÖ TV, Freiheitliche Jugend, YouTube, Balkon, Neue Hofburg, Heldenplatz
Freiheitliche Jugend beobachtet - wahrscheinlich zufällig - über den "Hitlerbalkon" vorüberziehende Wolken im umstrittenen Video.
YouTube/FPÖTV

Welche Angst?

"Der Altan ist im öffentlichen Eigentum, er gehört uns allen", sagt Sommer. Selbst aufsperren kann sie ihn nicht. Zuständig ist die dem Wirtschaftsministerium unterstellte Burghauptmannschaft. Angesichts weiterer historisch kontaminierter Orte, mit denen Österreich jahrzehntelang verschämt umging, wie das Neue Landhaus in Innsbruck, die Brückenkopfgebäude in Linz oder das Geburtshaus Hitlers in Braunau, fragt Sommer: "Wer hat hier Angst wovor? Wie viel Raum sollen wir dieser Angst nach 85 Jahren lassen?"

(Colette M. Schmidt, 8.9.2023)