Babler umarmt Parteikollegin
Umarmen zählt zu typischen Alltagstätigkeiten Bablers – doch nicht jeder in der Partei will ihm bedingungslos folgen.
SPÖ / David Visnjic

Andreas Babler hat sich in der Farbe vergriffen. Gnadenlos schiebt sich die Sonne über die Giebel der pastellfarbenen Bürgerhäuser, allmählich wird der Schatten für die Fangemeinde knapp. In Ried im Innkreis kündigt sich der nächste Hundstag einer langen Hitzewelle an, doch bis zum Stargast ist der Wetterbericht offenbar nicht durchgedrungen. Warum sich Babler tropischen Temperaturen just in einem kohlrabenschwarzen Hemd aussetze, wundert sich einer der Wartenden – und bietet so die Gelegenheit für den ersten Schmäh des Morgens: "Es macht schlank."

Ergreift Babler auf Stadtmärkten, Dorfplätzen und Festwiesen das Wort, sind Witzeleien ein bewährter Eisbrecher. In möglichst jeden Smalltalk baut der bürgermeisterlich trainierte Traiskirchner Pointen ein, gerne auch auf eigene Kosten. Dass er dabei die überzähligen Kilos um die eigene Mitte nicht ausspart, lässt sich durchaus als politische Botschaft deuten. Beine breit, Fäuste in die Hüften, Bauch heraus – schon seine Körperhaltung signalisiert: Hier steht keiner dieser Slimfitpolitiker, die sich in türkiser Gestalt an der Republik bedient haben.

Ein Chef zum Angreifen

Wie diese Pose bei Genossinnen und Genossen ankommt, testet Babler in Endlosschleife ab. Die Sympathiewelle, die den 50-Jährigen im innerparteilichen Wahlkampf um den Parteivorsitz zum Sensationssieg getragen hat, weckte Lust auf mehr: Seit Wochen schon zelebriert er seine "Comebacktour" quer durch Österreich – und denkt kein bisschen ans Aufhören. Längst ist nicht mehr nur vom einmaligen Besuch aller 94 Bezirke die Rede, sondern von einem Open End. Zu groß sei die sozialdemokratische Sehnsucht nach einer Führungsfigur zum Angreifen, wie es sie so viele Jahre nicht gegeben habe.

Babler nimmt diesen Anspruch wörtlich, so auch an jenem schweißtreibenden Augustmorgen auf dem Rieder Hauptplatz. Ein kräftiger Händedruck inklusive jovialen Klapses auf den Rücken ist für seine Verhältnisse eine Geste der Zurückhaltung. Nicht nur lokale Politiker und Funktionäre holen sich Umarmungen ab, auch mancher Neuankömmling im Schoß der Partei geht auf Tuchfühlung. Wer noch "im Wickel-Wackel" sei, ruft der Umschwärmte in die Menge, "soll kommen und sich das mit mir persönlich ausmachen".

Babler inmitten einer Pensionisten-Party
Ohne Pensionisten geht in der SPÖ nichts, das gilt auch für Ried im Innkreis: "Wir sind keine Bittsteller", proklamiert Babler.
SPÖ / David Visnjic

Ein Heimspiel nach dem anderen

Zu bekehren gäbe es in dieser Gegend genügend Menschen. Die SPÖ liegt im Bezirk Ried stets (noch) schlechter als im Bundestrend, an der Vormachtstellung der ÖVP kratzt allenfalls die FPÖ. Nicht zufällig halten blaue Parteichefs hier jährlich ihre mit Untergriffen gespickten Aschermittwochsreden ab.

Doch zum Stimmenfang im durchmischten Wählerpool kommt Babler an diesem Tag nicht. Der geplante Rundgang am Wochenmarkt fällt dem Zeitdruck zum Opfer – zu groß ist der Andrang der Selfie-Jäger, die längst schon zur Anhängerschaft zählen. Vor der Abfahrt zum nächsten Termin hat ein Wirtshausbesuch beim roten Pensionistenverband Vorrang, ein weiteres Heimspiel. Die treueste Wählergruppe der SPÖ darf ein Parteichef unter keinen Umständen ignorieren.

Ein paar Worte soll er sagen? "Wichtiger wäre, ich zahl eine Runde", eröffnet Babler, um in der Folge – wenn man schon beim Geld ist – den Dauerbrenner seiner Reden zu zünden. Sozialdemokraten seien keine Bittsteller, sondern kämpften für ihre Rechte, proklamiert er. Das gelte erst recht für die Pensionisten, denen die Regierung angesichts der Teuerung eine ordentliche jährliche Erhöhung zu gewähren habe. Ein paar Minuten lauscht das Publikum gebannt, dann drängen ungeduldige Mitarbeiter bereits wieder zum Aufbruch. Zurück bleiben Jubel, Trubel, Heiterkeit.

Bei Gusi hat's geklappt

Die energiegeladenen Auftritte tun nicht nur dem von Oppositionsfrust, Umfragetiefs und Streitereien demoralisierten Parteivolk gut. Auch der Vorsitzende lebt sichtlich auf, wenn er sich unter die Leut mischt. Nach Arbeit sieht das in keiner Minute aus – eher nach einem Sommer, wie er für ihn nie zu Ende gehen sollte. Babler-Mania forever.

Aber gewinnt man so Wahlen? Oder berauscht sich Babler bloß unentwegt am Zuspruch der ohnehin schon Überzeugten? Wer am Nutzen der aufwendigen Tour zweifelt, dem halten Verteidiger einen Namen entgegen, den Sozialdemokraten üblicherweise nicht mit Glanz und Gloria verbinden: Auch Alfred Gusenbauer ist als Oppositionsführer, damals unter dem Motto "Startklar", durch sämtliche Bezirke getingelt, teilweise sogar zu Fuß. Erst zerfransten sich Spötter das Maul über die engen Radlerhosen des nicht austrainierten Wanderers. Doch nach der nächsten Wahl saß Gusenbauer im Kanzleramt.

Babler trinkt eine Mass Bier beim Gackern-Fest
Turbulente Anfangswochen für den neuen SPÖ-Chef: Babler ist zwar kein Bierfan, bei Volksfesten wie der Gackern-Woche im Lavanttal aber trotzdem in seinem Element.
Neumüller

Kilometerfressen mit Kalkül

Zu allererst geht es um Beziehungspflege in den eigenen Reihen. Ohne einsatzfreudige Funktionäre kann jeder Parteichef in einem Wahlkampf einpacken. Babler hat noch einen besonderen Grund, diese Mitstreiter zu umschmeicheln – sollen sie de facto doch ihre eigene Entmachtung akzeptieren. Auf nichts anderes laufen die Pläne hinaus, künftig alle Mitglieder über Parteichefs und Koalitionen entscheiden zu lassen. Bisher hatten die Delegierten am Parteitag das letzte Wort.

Auch über die Kernschichten hinaus soll sich die exzessive Händeschüttelei lohnen. Selbst ein Kilometerfresser wie Babler kann nicht jede Wählerin und jeden Wähler persönlich herzen, aber allemal auf einen Multiplikatoreffekt hoffen. Mundpropaganda, Medien und selbst fabrizierte Fotostrecken auf allen Kanälen von Instagram bis Facebook tragen die Kunde ins Land, dass da einer auf die Menschen zugeht. Gerade in Zeiten, in denen Politiker landauf, landab als abgehobene Kaste verschrien sind, kann sich das bezahlt machen.

Glaubt man den Erzählungen aus dem Babler-Lager, dann stößt die Umtriebigkeit des Parteichefs auf phänomenale Resonanz. Ungebrochen sei der Zulauf neuer Mitglieder in die SPÖ – nicht bloß Adabeis dockten an, sondern besonders viele jüngere Menschen, die sich engagieren wollten. Das Anfang der Woche nahe Graz abgehaltene Mitgliederparlament etwa habe derart begeistert, dass die Anmeldelisten schon Tage davor geschlossen werden mussten, heißt es. Babler selbst erzählt bei seinen Auftritten gerne von vollen Plätzen, die er allerorts zu Gesicht bekomme. Wäre die SPÖ ein kommerzielles Unternehmen, würde er sagen können: "Wir sind ausverkauft."

Weil der Burli so toll ist

Für die Stippviste in St. Georgen im Attergau erscheint diese Behauptung dann doch etwas kühn. Vor dem Gemeindeamt hat sich ein überschaubares Grüppchen versammelt, das Gros stellen sozialdemokratische Gewerkschafter und der Pensionistenverband. Distanziertere Kiebitze haben sich ein Stück weiter hinten, auf der Plattform vor der Kirche, postiert. Allein aus Platzgründen hätte die Polizei den Ortsstraßenabschnitt dazwischen nicht sperren müssen.

Das liegt wohl nicht nur an der verlockenden Kühle des nahen Attersees. Die SPÖ ist im 4000-Einwohner-Ort alles andere als ein Publikumsmagnet, im Gemeinderat sind ÖVP, Grüne und FPÖ allesamt stärker. Doch wegen des Rücktritts des Bürgermeisters werden die Karten bei einer außertourlichen Wahl am 24. September neu gemischt – und Kandidat Max Dollberger darf sich über den prominentestmöglichen Kampagnenhelfer freuen.

Babler lehnt lässig an einem Dreieckständer, als Dollberger zum Mikro schreitet. Mit seinem Gast verbindet den Rechtsstudenten nicht nur das hellblaue Hemd, sondern auch der Hang zur Kindheitsanekdote: Im selben Leiterwagerl, aus dem sich heute bitte jeder "ein gesundes Apferl" nehmen möge, habe ihn einst seine Mama durch den Ort gezogen.

Er wisse gar nicht, wen die eigene Mutter bei seiner ersten Bürgermeisterwahl alle überredet habe, "weil der Burli so ein toller Kerl ist", erzählt Babler im Anschluss selbst. Danach ist reichlich von Rechtsansprüchen die Rede – auf Kinderspielplätze, auf Altern in Würde, auf Wohnraum. Vor "Ausverkauf" gelte es den Ort am Rande des oberösterreichischen Seengebietes zu schützen: "Nicht alles gleich verscherbeln, wenn der Erstbeste da ist."

Andreas Babler
Babler im ORF-Sommergespräch: Über seinen Auftritt vor der Kamera scheiden sich die Geister. Kommt der Oppositionschef authentisch rüber? Oder bloß unprofessionell?
APA/HELMUT FOHRINGER

"Nicht so schnell reden, Andi!"

Viel quetscht Babler in ein paar Minuten hinein – zu viel, selbst für manchen Sympathisanten. "Nicht so schnell reden, Andi!", mahnt ein Zuhörer, "wir Pensionisten kommen nicht mit." Weil er das nicht zum ersten Mal höre, arbeite er längst an Besserung, erwidert Babler – um den Vorsatz im Interview mit dem ORF-Landesstudio ein paar Augenblicke später gleich wieder zu brechen. "Und daraus soll ich 20 Sekunden filtern, stöhnt die Reporterin hinterher: "Das ist eine Challenge."

Die Performance vor laufender Kamera stellt auch Sozialdemokraten vor Rätsel. Beim ORF-Sommergespräch im strengen Ambiente des Sprechzimmers 23 im Parlament lieferte der Frontmann einen Auftritt ab, an dem sich nach konventionellen Kriterien einiges aussetzen lässt. Babler verzettelte sich mitunter in langwierigen Erklärungen, führte Gedanken nicht zu Ende, ließ Botschaften untergehen. Einmal geriet er gehörig ins Schwimmen. Dass Moderatorin Susanne Schnabl danach fragen wird, ob die SPÖ die geforderte 32-Stunden-Woche denn selbst lebe, hätten sein Team und er ahnen können.

Aber hat das Publikum übercoachte Sprechpuppen nicht satt? An Pamela Rendi-Wagner, Vorgängerin im roten Chefsessel, haben Kritiker nicht zuletzt die schablonenhafte Sprache bemäkelt. Phrasendrescherei wird Babler kaum wer nachsagen. Authentizität schon eher.

Besseres Bauchgefühl

"Mit Babler ist das Bauchgefühl besser geworden", sagt Martin Bodlos. Der SPÖ-Chef von Breitenau am Hochlantsch trägt eine gelbe Signalweste über blauer Kluft, unter dem Schutzhelm ragen mächtige Koteletten hervor. Rund um ihn tummelt sich in identischer Adjustierung steirische Parteiprominenz. Das örtliche Werk der RHI Magnesita, Weltmarktführerin für Feuerfestprodukte, hat es auf Bablers Tourkalender geschafft.

Doch erst einmal heißt es warten. Beim Altausseer Kirtag, der Station am Vormittag, war der Andrang wieder einmal zu groß. Außerdem hat Babler gelobt, sich auf der Autobahn penibel an Tempo 100 zu halten. Mit einer Stunde Verspätung trudelt sein schwarzer Van schließlich ein.

Babler im Magnesit-Bergwerk
Den Spieß umgedreht: Im Magnesit-Bergwerk bekommt der passionierte Welterklärer eine Lektion in Sachen Wirtschaft.
Alexander Danner

Ohne Samthandschuhe im Berg

Dass sich kein Brathendl ausgegangen ist, nennt Babler einen Schönheitsfehler des Ausflugs nach Aussee, doch das sollte sich noch in einen Vorteil kehren. Über magendurchrüttelnde Kurven geht es tief ins Bergwerk hinein; Vollbremsung inbegriffen, wenn ein Radlader mit mannshohen Reifen den Weg kreuzt. In dunkler Schwüle, tausend Meter unter Tag, sprengen und schürfen die Kumpel Magnesit aus dem Gestein – und auch der applausverwöhnte Gast wird nicht mit Samthandschuhen angefasst.

Völlig überzogene, weil unrealistische Grenzwerte für Stickoxide habe die Gewerkschaftsbewegung in der EU durchgedrückt, moniert Thomas Drnek, Umweltbeauftragter des Unternehmens. Dabei gebe es am Standort keine Häufung von Asthma oder anderen einschlägigen Krankheiten. Der Einwurf, dass er die Linie der Arbeitnehmervertreter unterstütze, bringt Babler eine Lektion über gut gemeinte, aber weltfremde Regulierungen ein: Ohne Ausnahmen von der Regel, sagt der Vertreter des weltweit agierenden Konzerns, müsste das Werk in der Breitenau letztlich zusperren.

Gott sei Dank keine Büste

Was ihm die Gastgeber danach mitgeben, ist mehr nach Bablers Geschmack. Die als Präsent überreichte Grubenlampe könne er sich überall hinstellen, bedankt er sich: "Ist ja keine Büste." Vor allem aber freut den Oppositionsführer, dass die Magnesita in ihrem Tiroler Werk die 32-Stunden-Woche probt. Angesichts höherer Zufriedenheit und Produktivität bei weniger Krankenständen spricht Vorstandsmitglied Simone Oremovic bereits von einer Ausweitung: "Prinzipiell wollen wir das."

Mit diesem Argument in der Hinterhand gibt Babler dem wartenden Zwei-Mann-Team von Puls 4, das er bei seiner Ankunft noch links hat liegen lassen, gleich viel lieber ein Interview. Eine Träumerei soll die Arbeitszeitverkürzung sein? Dass ein so zukunftsgewandtes Unternehmen wie die Magnesita die 32-Stunden-Woche umsetze, belege ja wohl das Gegenteil.

Kinder machen Lagerfeuer
Auftakt der Sommertour in Kärnten: Gleich zu beginn tappte Babler in die Falle.
Neumüller

Eiszeit in Eisenstadt

Wem die Reporterfrage in Wahrheit zu verdanken ist, liegt auf der Hand: Hans Peter Doskozil hat in der Kronen Zeitung wieder einmal über die Lieblingsidee des Bundesparteivorsitzenden gelästert. Zwar hat Babler den burgenländischen Landeshauptmann, wie sich wegen der denkwürdigen Auszählungspanne erst verspätet herausstellte, bei der Parteitagswahl im Mai besiegt. Doch losgeworden ist er den Rivalen bis heute nicht.

Pünktlich zum Tourauftakt, der Anfang August beim Geflügelfestival Gackern im Kärntner Lavanttal seinen Höhepunkt fand, war Babler bereits in die Falle getappt. In Verkennung der Gemütslage Doskozils hatte er verkündet, im Burgenland selbstverständlich mit dem Landeschef aufzutreten. Das Dementi aus Eisenstadt folgte prompt: Nicht einmal Kontakt gebe es.

Wo Doskozil doch recht hat

Auf den ersten Blick scheint die Sachlage klar: Da hat ein notorisch illoyaler Leider-doch-nicht-Bundesparteichef sein bitteres Scheitern nicht verwunden. Doch die Perspektive lässt sich auch umdrehen. Kann ein Vorsitzender, der eine "Mitmachpartei" verspricht, wirklich erwarten, dass die Länderchefs seine Vorgaben einfach nachhupfen? In diesem Punkt ist die Kritik der Burgenländer schwer zu widerlegen: Tatsächlich eignete sich Babler Positionen an, die in der SPÖ weder ausdiskutiert noch beschlossen sind.

Doskozil ist beileibe nicht der Einzige, der sich querlegt. Mit Tempo 100 fährt Babler gegen eine breite Front an. Die Wiener sträuben sich gegen den Ausbau der Basisdemokratie, die Tiroler gegen die angedeutete Abmilderung der Linie in der Asylpolitik. Der Parteitag am 11. November wird der erste Härtetest für die Fähigkeit des Mannes an der Spitze, die SPÖ zu einigen.

Geglückter Debatten-Dreh

Was er für sich verbuchen kann: Selbst der Oberkritiker aus dem Osten räumt ein, dass Babler Dynamik ausgelöst habe. So angreifbar manche Idee auch sei – eines habe der Neue bereits geschafft, ist in den Funktionärsreihen zu hören. Von der Arbeitszeitverkürzung über die Vermögenssteuer bis zu den Sticheleien gegen die Mateschitz-Erben drehe sich die öffentliche Debatte endlich wieder um sozialdemokratische Themen. Und nicht um die unselige Ausländerfrage.

Auch die Fans an den Stätten der "Comebacktour" nehmen einen Effekt wahr – wobei manche Erklärung fast schon esoterisch anmutet. "Der Babler Andi", so sagt man in Oberösterreich, "kimmt mehr von unten ausse", heißt es etwa am Hauptplatz von Ried. In den Worten eines anderen Anhängers: "Jetzt gspür ma uns endlich wieder." (Gerald John, 8.9.2023)