Mutter umarmt trauriges Kind auf dem Sofa
Für Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen sei das wichtigste Signal, dass man da ist und ihnen zuhört, betont eine Expertin.
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"Wir sehen pro Woche drei bis vier Jugendliche nach einem Suizidversuch", berichtete Paul Plener, Präsident der österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Rahmen einer Pressekonferenz anlässlich des heutigen Welt-Suizidpräventions-Tags. Das sind deutlich mehr als noch vor wenigen Jahren. Im Vergleich zu 2018 hat sich die Anzahl der Kinder und Jugendlichen mit Suizidgedanken verdreifacht, DER STANDARD berichtete hier.

Neben flächendeckenden Präventionsmaßnahmen sei auch noch viel Aufklärungsarbeit notwendig, sind Fachleute überzeugt. Viele können die Signale von nahestehenden Betroffenen nicht deuten. Grundsätzlich gilt: "Wenn sich die Person in ihrer Persönlichkeit oder in der Art und Weise, wie sie mit Situationen umgeht, stark verändert, sollte man wachsam werden", rät Ulrike Altendorfer-Kling. Sie ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin und Generalsekretärin der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.

Wie diese Veränderung aussieht, ist von Kind zu Kind ganz unterschiedlich. "Manche ziehen sich eher zurück, andere hingegen sind dann plötzlich ganz aufgedreht und fast schon übertrieben lustig drauf", erklärt die Expertin. Was davon während der Pubertät noch ganz normal ist und ab wann psychische Probleme dahinterstecken könnten, sei nicht so einfach abzuschätzen, sagt die Ärztin. Ihre Faustregel für Eltern: "Wenn man über drei Wochen hinweg ein mulmiges Gefühl hat, sollte man als Elternteil Hilfe suchen und das Thema direkt ansprechen."

Dabei sollen sich Angehörige, Lehrerinnen oder Freunde auch ruhig trauen, nach Suizidgedanken zu fragen, etwa mit Fragen wie: "Ist deine Situation so schlimm, dass du schon einmal nachgedacht hast, dir das Leben zu nehmen?" Man kann damit nichts schlimmer machen, stellt Altendorfer-Kling klar. "Man bringt die Menschen dadurch nicht auf Gedanken, die sie nicht ohnehin selbst schon hatten." Jugendliche, die noch keine Suizidgedanken hatten, würden die Frage unaufgeregt verneinen. Und jene, die sie schon hatten, sind erleichtert, dass sie endlich mit jemandem darüber sprechen können. Wie genau man zu psychisch belasteten Kindern und Jugendlichen am besten das Gespräch sucht, lesen Sie hier.

Suizide werden meistens angekündigt

Am wichtigsten sei, dass es überhaupt passiert. Denn zwischen 70 und 80 Prozent der vollendeten Suizide würden vorher angekündigt, die Betroffenen hätten aber nicht das nötige Gehör gefunden. Deshalb sei es ausnahmslos immer ernst zu nehmen, wenn jemand suizidale Gedanken äußert – "auch wenn es manipulativ oder künstlich aufgesetzt wirkt. Wenn jemand von Suizidalität spricht, geht es der Person nicht gut", betont Altendorfer-Kling.

Oft bringen Betroffene ihre Gedanken im Streit zum Ausdruck und sagen im Eifer des Gefechts Dinge wie: "Na, wenn das so ist, kann ich mich ja gleich umbringen!" Das sei ein Zeichen der Verzweiflung, erklärt die Ärztin: "Wenn Jugendliche kein Gehör finden, greifen sie zu immer extremeren Maßnahmen, um deutlich zu machen, dass es ihnen nicht gutgeht."

Und auch, wenn sich die Stimmung schlagartig wieder verbessert, sollte man trotzdem achtsam bleiben. Denn wenn Betroffene bereits den Entschluss zum Suizid gefasst hätten, scheine sich ihre Situation noch einmal zu verbessern, erklärt die Expertin: "Das Umfeld glaubt dann, dass es der Person besser geht, tatsächlich wird aber nur noch ein vermeintlich guter Moment für den Suizid abgewartet."

Nicht beschönigen

Selten, aber immer öfter äußerten auch sehr junge Kinder Suizidgedanken, beobachtet die Ärztin in der Praxis. "Kinder im Volksschul- und teilweise Kindergartenalter sagen dann Dinge wie 'Ich will nimmer leben, dann kann ich ja gleich vom Balkon springen!', weil sie das wahrscheinlich in der Familie als gängiges Problemlösungsverhalten aufgeschnappt haben", berichtet Altendorfer-Kling. "Unter Zehnjährige können das Todeskonzept noch nicht greifen und wissen nicht über die Endgültigkeit dieser Entscheidung Bescheid, aber sie wollen schlicht aus der Situation raus."

Generell sollten Eltern und Bezugspersonen immer ernst nehmen, wenn Kinder und Jugendlichen in irgendeiner Form äußern, dass sie etwas belastet. Da würden auch keine Phrasen wie "Ach, das schaffst du schon" oder "Da musst du jetzt durch, du packst das!" helfen. Am wichtigsten sei laut Altendorfer-Kling das Signal: "Ich bin da und hör dir zu. Dann können wir gemeinsam versuchen, eine Lösung für dein Problem zu finden." (Magdalena Pötsch, 10.9.2023)