Viele bunte alte Kleider
Berge an ausgedienter Bekleidung: Vieles davon landet im Restmüll oder wird verbrannt. Das soll sich ändern.
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Nichts dreht sich dermaßen schnell wie das Moderad in der Bekleidungsindustrie. Was heute schick und angesagt ist, kann morgen schon wieder out sein. Oder muss es in einer gewissen Denklogik sein. Andernfalls würde sich der wirtschaftliche Erfolg von Unternehmen nie und nimmer einstellen, die vom raschen Umschlag billigst produzierter Ware leben. Das ist nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Das Problem mit Textilien ist viel größer, als gemeinhin angenommen wird.

In Brüssel hat man die Tragweite erkannt und will dagegen vorgehen. EU-weit werden jährlich an die 12,6 Millionen Tonnen Textilabfälle erzeugt. Allein auf Kleidung und Schuhe entfallen Berechnungen zufolge rund 5,2 Millionen Tonnen an Abfällen, das entspricht zwölf Kilo pro Person und Jahr. Nur 22 Prozent der Post-Consumer-Textilabfälle werden nach Angaben der EU-Kommission derzeit zur Wiederverwendung oder zum Recycling getrennt gesammelt, während die übrigen Abfälle nur allzu oft verbrannt oder auf Deponien abgelagert werden. Dieser Verschwendung von Ressourcen soll ein Riegel vorgeschoben werden.

Übertragung von Verantwortung

Gelingen soll dies dadurch, dass Herstellern die Verantwortung für den gesamten Lebenszyklus von Textilprodukten auferlegt wird. Zweiter Hebel: Die nachhaltige Bewirtschaftung von Textilabfällen soll gefördert werden. Das geht aus einem Vorschlag der Kommission hervor, der Anfang Juli in Brüssel präsentiert wurde und nun in betroffenen Kreisen intensiv diskutiert wird. Auch bei Lenzing.

Der im gleichnamigen Ort in Oberösterreich beheimatete weltweit führende Anbieter von Spezialfasern für die Textil- und Vliesstoffindustrien sieht sich selbst als Vorreiter der Kreislaufwirtschaft. Gemeinsam mit dem schwedischen Zellstoffhersteller Södra hat Lenzing ein Pilotprojekt gestartet, das, wenn alles glatt läuft, die Wiederverwertung textiler Abfälle revolutionieren könnte.

Stoff ist nicht gleich Stoff

Textilrecycling sei alles andere als eine einfache Sache, hieß es bei einem Besuch des STANDARD in Lenzing. Stoff sei nicht gleich Stoff. In den meisten Fällen habe man es mit Mischfasern zu tun, die im besten Fall aus zwei, im schlechtesten Fall aus mehreren Fasern bestünden. Meist seien diese Fasern schon auf Garnebene miteinander verarbeitet worden.

Ein eigenes Thema seien Nähte, die bestünden meist aus einem anderen Material als der restliche Stoff. Diverse Einnäher wie Laschen seien wieder aus einem ganz anderen Material gefertigt. Pailletten, Glitzer, Aufdrucke, Farbstoffe – je bunter, desto komplexer. Das zu recyceln sei tatsächlich eine Herausforderung.

"Es wird Jahre dauern, bis wir skalierbare Lösungen haben, aber wir wollen vorn mit dabei sein", betont Unternehmenssprecher Dominik Köfner.

Zehn Millionen Euro an Förderung

Für das Pilotprojekt mit Södra zum Recyceln von Textilabfällen in großem Maßstab hat Brüssel eine Förderung über zehn Millionen Euro erhalten. Das Geld stammt aus dem sogenannten Life-Programm, einem Finanzierungsinstrument der EU für Umwelt- und Klimaschutz.

Lenzing wird im Wesentlichen ihr Recycling-Know-how einbringen. Dieses besteht unter anderem im Wissen, wie man am effizientesten eine Vielzahl farbiger Textilien verarbeitet und recycelt, die eine Mischung aus Baumwolle, Polyester und anderen Komponenten einschließlich Elastan enthalten. Elastan ist eine stark elastische synthetische Faser, die in Stretchmaterial beigemischt ist und dazu verwendet wird, die Elastizität von Stoffen zu erhöhen.

Bis zu 60.000 Tonnen Zellstoff

Bis 2027 will man in der Lage sein, im Södra-Werk im schwedischen Mörrum 50.000 bis 60.000 Tonnen Zellstoff zu produzieren, die jeweils zur Hälfte aus recyceltem Material sowie erneuerbarem Zellstoff aus nachhaltiger Forstwirtschaft kommen.

Die EU jedenfalls will strenge Regeln vorschreiben, was das Recycling betrifft und wann man behaupten darf, dass ein Produkt nachhaltig hergestellt worden ist. Grund ist, dass man Greenwashing verhindern möchte.

In den USA gibt es erste Klagen. Betroffen sind H&M sowie Nike. Sie haben damit geworben, dass gewisse Produkte "sustainable", nachhaltig, seien. Dies wurde untersucht, mit dem Ergebnis, dass nicht alle verwendeten Materialien NachhaltigkeitsStandards entsprechen. "Hätte ich gewusst, was da alles drin ist, hätte ich das Produkt nicht gekauft", argumentierte sinngemäß der Kläger.

(Günther Strobl, 8.9.2023)