Franz Wagner (li.) führte Deutschlands Basketballer zu einem der größten Erfolge in der deutschen Sportgeschichte.
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Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz nannte bereits den Halbfinalsieg gegen die Basketballsupermacht USA historisch. Nun ist Deutschland bei der WM auf den Philippinen, in Indonesien und Japan quasi auf dem Basketball-Olymp angekommen. Deutschland hat wieder ein Sommermärchen. Die USA und Kanada, das ebenfalls mit zahlreichen NBA-Profis am Start war, wurden im Finale erwartet, aber nicht im kleinen. Dass sich zwei Vertreter des alten Kontinents um den WM-Titel duellierten, ist eine Schmach für das Mutterland des Basketballs und zeigt, dass die USA längst nicht mehr unbesiegbar sind.

Der Schlüssel zum Erfolg der Deutschen: Man agierte als Team, als Einheit. Während die USA immer wieder ihr Heil in Individualaktionen suchten, spielten die Deutschen füreinander. Das reichte auch für einen knappen Finalsieg gegen ebenso kompakte, selbstlos agierende Serben. Nicht unerwähnt darf bleiben, dass dem Silbermedaillengewinner zahlreiche Leistungsträger fehlten. Der frischgebackene NBA-Champion und Finals-MVP Nikola Jokic sagte genauso ab wie Toptalent Aleksej Pokusevski, der ehemalige Euroleague-MVP Vasilije Micic oder Bayern-Kapitän Vladimir Lucic.

Für die US-Amerikaner reichte es hingegen nach einer Niederlage gegen Kanada im Spiel um Platz drei nicht einmal für eine Medaille. US-Trainer Steve Kerr fehlten zwar große Namen wie LeBron James, Kevin Durant oder Steph Curry, doch der neunmalige NBA-Meister Kerr (fünfmal als Spieler, viermal als Trainer) wusste die herbe Niederlage richtig einzuordnen: "Es ist nicht mehr 1992 und die Zeit des Dream-Teams. Die Spieler auf der ganzen Welt sind besser. Es ist nicht mehr so einfach, eine WM oder Olympische Spiele zu gewinnen."

Ein Sieg gegen die USA ist dennoch immer eine Sensation, die Spieler bei der WM sind allesamt "rising stars" in der NBA, also sicherlich kein C-Kader, wie das in manchen Forenkommentaren auf derStandard.at süffisant angemerkt wurde. Aber selbst mit ihren größten Aushängeschildern brauchen die US-Amerikaner die richtigen Spieler für die richtigen Positionen. Auf der Center-Position war die Kerr-Truppe zu klein aufgestellt, Jaren Jackson Jr. hatte große Probleme mit der Umstellung auf den internationalen Spielstil. Für die Olympischen Spiele in Paris darf man sich hier ein gewaltiges Upgrade erwarten. Kolportiert wird, dass Team-USA-Sportdirektor Grant Hill bei Joel Embiid angefragt hat. Der aktuelle NBA-MVP ist gebürtiger Kameruner, besitzt aber auch eine US-amerikanische und eine französische Staatsbürgerschaft. Man darf gespannt sein, für welches Land er sich entscheiden wird zu spielen.

Europa dominiert mittlerweile in der NBA. Nikola Jokic ist aktuell ganz klar der beste Spieler der Liga und damit der Welt. Zum Kreis der Stärksten zählen auch der Slowene Luka Doncic und der Grieche Giannis Antetokounmpo. Bei internationalen Turnieren gilt das europäische Regelwerk, das ist ein Nachteil für die USA und Kanada. Bei einer WM gibt es mehr Bewegung abseits des Balls, das Spiel ist physischer, die Schiris pfeifen weniger Fouls, es herrschen andere Verteidigungsregeln (etwa: Sobald der Ball den Ring einmal berührt hat, ist er frei zum Wegblockieren. In der NBA ist das noch Goaltending). Das Spielfeld ist in der NBA größer, es geht um das Offensivspektakel. Aber wie heißt es so schön: Offense wins games, defense wins championships. Das alles hat auch den Deutschen geholfen, die mit Dennis Schröder und Franz Wagner zwei echte Leader im Team hatten.

Für den Verband (DBB) ist es der größte Wurf aller Zeiten. Vor der WM wurde den Deutschen durchaus eine Medaille zugetraut, erwartet wurde es nicht. Mit Dennis Schröder (Toronto Raptors), den Brüdern Franz und Moritz Wagner (beide Orlando Magic) oder Daniel Theis (Indiana Pacers) hat das Team von Trainer Gordon Herbert auch namhafte NBA-Stars in seinen Reihen. Nach dem WM-Desaster vor vier Jahren in China, als Deutschland nach einer Niederlage gegen die Dominikanische Republik bereits in der Vorrunde ausschied, ging es zuletzt steil bergauf: Olympia-Teilnahme in Tokio 2021, Bronze bei der Heim-EM in Köln und Berlin 2022. Nun gelang ein Erfolg, der selbst dem größten deutschen Basketballer aller Zeiten verwehrt blieb. Der ehemalige NBA-Champion Dirk Nowitzki gewann nie einen Titel mit dem Nationalteam.

Prominent ignoriert

In der Sternstunde der Basketballer gibt es übrigens Parallelen zum österreichischen Sport. Auch in Deutschland werden Randsportarten in puncto TV-Präsenz stiefmütterlich behandelt. Während in diversen europäischen Ländern zumindest die Halbfinalspiele live im Free TV übertragen wurden, lief die WM in Deutschland bis zum Finale ausschließlich auf einem kostenpflichtigen Streamingportal, das in Österreich nicht einmal empfangbar war. Hauptsache, es läuft regelmäßig "die Schlagernacht" von irgendwo.

Dieser WM-Titel ist jedenfalls Balsam für die deutsche Sportseele. Die Fußballer sind im Eck, Hansi Flick wurde gefeuert, ein neuer Teamchef wird gesucht. (Das Timing der Entlassung war übrigens katastrophal, genau im Augenblick des größten Triumphs der Basketballer.) Sowohl Fußballerinnen als auch Handballer kassierten in den vergangenen Jahren Pleiten bei Großereignissen, das Leichtathletikteam blieb bei der WM in Budapest im August erstmals ohne Medaille. Dafür schaffte es das Eishockeyteam in diesem Jahr in ein WM-Finale, die Hockey-Herren holten in Indien den Titel.

Was auch ähnlich ist wie in Österreich: Sportpolitisch fristet die Weltsportart Basketball in Deutschland nach wie vor ein Schattendasein. Die deutsche Sportförderung setzte den Basketballverband in ihrer Potenzialanalyse (PotAS) aus dem Jahr 2021 auf Platz 26 aller Sportarten – den letzten. (Florian Vetter, 11.9.2023)