Feuerwehrmann kniet vor zertstörtem Gebäude
Ein Feuerwehrmann pausiert während Bergungsarbeiten in einem zerstörten Haus.
IMAGO/Ximena Borrazas

Rabat/Marrakesch – Such- und Rettungsteams aus Spanien und Großbritannien haben ihren Einsatz in den Erdbebengebieten in Marokko aufgenommen. Sie unterstützen die örtlichen Einsatzkräfte, berichtete die marokkanische Nachrichtenagentur MAP am Montag. Neben den Bergungseinsätzen begann die Hilfe durch NGOs für die von den schweren Zerstörungen betroffene Bevölkerung anzulaufen. Auch humanitäre Hilfe und psychologische Unterstützung würden dringend benötigt, hieß es von Care International.

Großbritannien schickte 60 Such- und Rettungsexperten samt Ausrüstungen sowie vier Suchhunde nach Marokko, um die Einsätze unter marokkanischer Führung zu unterstützen, wie der britische Botschafter Simon Martin auf X (vormals Twitter) mitteilte. Auch eine Spezialeinheit des spanischen Militärs mit Suchhunden flog am Sonntag nach Marokko.

Video:Marokko nimmt Erdbeben-Hilfe von nur vier Ländern an
AFP

Obwohl mehrere Länder, darunter Österreich und Deutschland, Hilfe angeboten haben, nahm Marokko zunächst nur von vier Ländern Unterstützung an. Das Innenministerium hatte am Sonntagabend erklärt, die Behörden hätten eine genaue Bewertung der Bedürfnisse vorgenommen. Dabei sei berücksichtigt worden, dass ein Mangel an Koordinierung in solchen Situationen zu nachteiligen Ergebnissen führe, meldete die Nachrichtenseite "Hespress". Daher habe man zunächst "auf die Unterstützungsangebote der befreundeten Länder Spanien, Katar, Großbritannien und Vereinigte Arabische Emirate reagiert", hieß es in der Erklärung. Ein Nachbeben erschwerte am Sonntag die Bergungsarbeiten.

Tausende Tote und Verletzte

Die marokkanische Regierung kündigte unterdessen einen Sonderhilfsfonds für die Bevölkerung an. Damit sollten unter anderem Kosten zur Absicherung beschädigter Häuser gedeckt werden, berichtete "Hespress" unter Berufung auf einen Regierungssprecher. Zur Höhe des Fonds gab es keine Angaben. Er solle sich aus Geldern öffentlicher Einrichtungen und freiwilligen Beiträgen des Privatsektors zusammensetzen, hieß es.

Die Zahl der Todesopfer nach dem verheerenden Erdbeben in Marokko ist auf 2.862 gestiegen. Wie das Innenministerium Montagabend mitteilte, wurden außerdem bisher 2.562 Verletzte gezählt. Die endgültige Zahl der Todesopfer war weiterhin unklar, auch den Umfang der Schäden könne man noch nicht beziffern, erklärte Wehbe. Zur medizinischen Versorgung der Verletzten seien neben den ortsansässigen Krankenhäusern und Ambulanzdiensten mehr als 1.000 Ärzte sowie 1.500 Krankenschwestern und Pfleger mobilisiert worden, berichtete "Hespress".

Die Behörden hätten mittlerweile Feldlazarette in der Nähe des Epizentrums eingerichtet, um dort Verletzte zu versorgen, sagte Justizminister Abdel Latif Wehbe dem arabischen Fernsehsender Al-Arabiya am Montag. Am Montag warfen Militärhubschrauber Hilfspakete über schwer zugänglichen Gebieten ab.

Trümmer Erdbeben Marokko
In den abgelegenen Bergdörfern Marokkos gruben sich die Einsatzkräfte mit schwerem Gerät durch Trümmer eingestürzter Häuser.
AP/Mosa'ab Elshamy

Nachbeben südwestlich von Marrakesch

Das Land sei gegen 9 Uhr vom Nachbeben erschüttert worden, sagte Nasser Jabour, Leiter einer Abteilung des Nationalen Instituts für Geophysik. Die US-Erdbebenwarte USGS verzeichnete eine Stärke von 3,9. Das Epizentrum des Nachbebens lag laut "Hespress" etwa 80 Kilometer südwestlich von Marrakesch, ähnlich wie das erste Beben. Zahlen zu Opfern lagen vorerst nicht vor. In den abgelegenen Bergdörfern des nordafrikanischen Landes gruben sich die Einsatzkräfte mit schwerem Gerät durch Trümmer eingestürzter Häuser. Doch für die Helfer wird das Zeitfenster immer knapper. Bei der Suche nach Verschütteten in Folge eines Erdbebens sprechen Experten von einem Zeitfenster von etwa 72 Stunden.

Eine kleine Ortschaft in der Provinz Chichaoua wurde nahezu vollständig zerstört, wie der marokkanische Sender TV 2M am Sonntag meldete. 65 Leichen seien geborgen und ein Massengrab eingerichtet worden. Es wurden Drohnen eingesetzt, um den Einsatzkräften bei der Suche nach Leichen zu helfen, berichtete "Hespress". Allein in Chichaoua wurden 191 Todesfälle registriert.

Internationale Hilfsangebote aufrecht

Hunderte Menschen galten am Sonntag noch als vermisst, berichtete der Nachrichtensender Al-Arabiya. Die Helfer kommen jedoch in den teils abgelegenen Bergregionen nur mit Mühe voran. Zudem bestand weiter die Gefahr von Nachbeben, wodurch beschädigte Gebäude vollends einstürzen könnten.

Mann in weißer Kleidung vor Bergen roten Ziegels
Ein Anrainer vor seinem zerstörten Wohnaus im marokkanischen Amizmiz.
REUTERS/NACHO DOCE

Am Sonntag flog eine Spezialeinheit des spanischen Militärs in das nordafrikanische Land. 56 Mitglieder der Nothilfeeinheit UME hätten in Saragossa zusammen mit vier Suchhunden eine Transportmaschine vom Typ A400 bestiegen, teilte das Verteidigungsministerium mit. Zuvor hatte Marokko eine formelle Bitte um Beistand an Spanien gerichtet, wie spanische Medien berichteten.

Während etwa deutsche Hilfsorganisationen wie das Technische Hilfswerk am Sonntag ihre Bereitschaft in Erwartung nach bisherigem Ausbleiben eines Hilfsersuchens zurückfuhren, hielten andere Länder ihre Hilfsangebote aufrecht. Das österreichische Außenministerium unterstrich am Sonntagnachmittag nochmals, helfen zu wollen.

110 Österreicherinnen und Österreicher im Land

Laut dem Ministerium halten sich in Marokko aktuell rund 110 Personen aus Österreich auf (Stand Sonntagnachmittag). "Wir haben glücklicherweise weiterhin keine Infos dazu, dass jemand von ihnen verletzt wurde", sagte eine Sprecherin. Das Außenministerium sei in ständigem Kontakt mit den Österreicherinnen und Österreichern. Man leiste Unterstützung bei der Suche nach Transportmöglichkeiten sowie bei Fragen rund um die Sicherheit in Marokko.

Der Generalsekretär des österreichischen Roten Kreuzes, Michael Opriesnig, richtete am Sonntag einen Appell an alle Hilfswilligen in Österreich. "Sehr viele Menschen aus Österreich und Deutschland melden sich bei uns und wollen helfen. Allerdings raten wir momentan davon ab, ins betroffene Gebiet zu reisen", sagte er. "Die Gefahr ist zu groß, und Menschen von außen, die untergebracht und verköstigt werden müssen, stellen eine zusätzliche Belastung für Hilfsorganisationen dar." Finanzielle Unterstützung für professionelle NGOs oder lokale Initiativen würde die Betroffenen am besten unterstützen, hieß es. Die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) gab am Sonntag zudem rund eine Million Schweizer Franken (1,05 Millionen Euro) frei. Erneute Spendenaufrufe kamen auch von der Caritas und dem Hilfswerk.

Innerhalb der ersten drei Tage nach einem derart verheerenden Beben hätten verschüttete Menschen Überlebenschancen. In diesem Zeitfenster bestünden "gute Chancen, Lebende zu finden und zu retten", sagte Walter Hajek vom österreichischen Roten Kreuz im Ö1-"Mittagsjournal". Auch darüber hinaus würden Suchmaßnahmen sehr oft weitergeführt. "Es obliegt dann der lokalen Zivilschutzbehörde, diese Entscheidung zu treffen", so Hajek. Die Helfer stünden aktuell vor einer doppelten Belastung: Neben der Suche und Rettung von Verschütteten gelte es, die Überlebenden zu versorgen und zu betreuen, "viele 10.000 Menschen", so der Experte, die jetzt untergebracht werden müssen, die Angehörige und ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben.

Dreitägige Staatstrauer

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind mehr als 300.000 Menschen in der Stadt Marrakesch und umliegenden Gebieten vom Erdbeben betroffen. Sie verbrachten die zweite Nacht in Unsicherheit und Trauer. Das Beben mit einer Stärke von 6,8 vom späten Freitagabend war das schlimmste seit Jahrzehnten in Marokko. König Mohammed VI. ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. Das Epizentrum lag gut 70 Kilometer südwestlich von Marrakesch im Atlasgebirge. Da Erdbeben in Nordafrika relativ selten auftreten, sind Gebäude nach Einschätzung von Experten nicht robust genug gebaut, um solchen starken Erschütterungen standzuhalten. Laut dem Seismologen Anton Vogelmann von Geosphere Austria muss das Land in den nächsten drei bis vier Wochen weiterhin mit starken Beben bis zur Stärke sechs rechnen. Spürbare Beben soll es noch ein halbes Jahr lang in Marokko geben, sagte Vogelmann in der ORF-"ZiB 2" am Montagabend.

In Gebieten vom Atlasgebirge bis zur Altstadt von Marrakesch wurden einige Gebäude zerstört und historische Kulturdenkmäler beschädigt. So soll auch die berühmte Bergmoschee von Tinmal im Westen des Gebirges beschädigt sein, wie lokale Medien am Sonntag berichteten. Die Moschee stammt aus dem zwölften Jahrhundert und gilt als eine der wichtigsten historischen Stätten im Hohen Atlas.

Papst Franziskus drückte beim Angelus-Gebet am Sonntag Anteilnahme und seine Trauer aus. Er betonte, dass er dem marokkanischen Volk nahe sei, er bete für die vielen Toten, für die Verletzten und ihre Angehörigen. "Ich danke den Rettungseinheiten und all jenen, die die Leiden der Menschen in Marokko lindern", sagte der Papst auf dem Petersplatz. Er äußerte die Hoffnung, dass die Bevölkerung in diesem "tragischen Moment" konkrete Hilfe erhalte. (APA, 11.9.2023)