Es ist, wie vieles in Österreich, kompliziert. Im April wurde das Kraftfahrzeuggesetz angepasst. In den Begriffsbestimmungen (KFG §1 Abs. 2a, Z 1) wurde für E-Bikes anstelle von 600 Watt Höchstleistung eine maximale Nennleistung von 250 Watt vorgeschrieben. Für E-Scooter, so erklärte das Verkehrsministerium auf STANDARD-Anfrage im August, habe das aber keine Auswirkungen. Denn für diese sind in der Straßenverkehrsordnung (StVO §88b) nach wie vor maximal 600 Watt als obere Leistungsgrenze definiert.

Gemeint ist hier, so stellte das Ministerium auf weitere Anfrage klar, auch ausdrücklich die Peakleistung. Also jene Leistung, die ein Elektromotor nur kurzfristig abrufen kann, wenn man etwa eine Steigung überwindet. Eine Angleichung der Formulierung an jene für E-Bikes sei aber angedacht. Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern der Länder, Städte- und Gemeindebund, Innenministerium, dem Kuratorium für Verkehrssicherheit, dem ÖAMTC "und anderen", solle sich ab Oktober unter anderem damit beschäftigen.

Eine Begrenzung der Nennleistung (die ein Motor über längere Zeit erbringen kann) auf 250 Watt sorgt bereits seit der KFG-Änderung für Turbulenzen. Insbesondere bei den Händlern und ihrer Kundschaft. DER STANDARD hat mehrere Anbieter und Werkstätten für E-Scooter kontaktiert. Alle sehen sich existenziell bedroht. Tatsächlich dürfte die gesetzliche Lage bereits jetzt ein Problem darstellen.

Ein E-Scooter mit eingeschalteter Beleuchtung.
Die Regulierung von E-Scootern in Österreich erstreckt sich über drei Gesetze.
DER STANDARD/Pichler

Händler fürchten um Weiterbestand

"Bei 250 Watt können wir zusperren, dabei boomt das Geschäft gerade", heißt es etwa seitens des Anbieters Luna E-Scooter. "Solche Roller will niemand mehr kaufen." Man verweist auf Kundschaft, die am Wiener Stadtrand und im Umland wohnt und Scooter nutzt, um in die Arbeit oder zum Bahnhof zu pendeln. "Die fahren 20-Prozent-Steigungen hinauf, das ist mit 250 Watt unmöglich. So eine Regelung wäre völlig praxisfern."

Auch beim Händler E-Craft zeigt man sich bestürzt. "Wir verkaufen aktuell kein einziges Modell mehr, das die 250 Watt Nennleistung erfüllt. Alle 250-Watt-Modelle waren Kunden zu schwach und damit unbrauchbar", gibt man zu Protokoll. "Wir fürchten um unser Überleben." Ein weiterer Anbieter äußert sich anonym ähnlich: "Wir haben keine Produkte mehr, die die 250-Watt-Grenze erfüllen. Wir können uns auch nicht vorstellen, dass viele Hersteller für den überschaubar großen österreichischen Markt eigene Scooter bauen würden."

Ausführlich mit der Thematik auseinandergesetzt hat sich auch schon Bianca Halbknapp, Inhaberin des Halbknapp E-Scooter Shops in Wien. Dort ist man zu der Ansicht gekommen, dass auf dem Papier eigentlich jetzt schon eine 250-Watt-Nennleistungsgrenze für E-Scooter gilt. "Seitdem besprechen wir dieses Thema bei jeder Kaufberatung. Die Auswirkungen spüren wir seit dieser Aufklärung, und wir müssen über zwei Drittel Umsatzrückgang ertragen."

Die allermeisten derzeit in Österreich verkauften E-Scooter, so auch dieses Modell, liefern deutlich mehr als 250 Watt Nennleistung.
DER STANDARD/Pichler

Gelebte Praxis dürfte Gesetzeslage widersprechen

Die Annahme der Händlerin ist gut begründet. Auch beim Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) ist man der Ansicht, dass bereits jetzt Scooter mit über 250 Watt Nennleistung gar nicht legal am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen dürfen. Denn neben der StVO und dem Kraftfahrgesetz sei auch noch das Führerscheingesetz (FSG §1 Abs. 1a, Z 5) zu beachten. Dieses hält mittels Verweises auf das KFG fest, dass E-Bikes nur bis 250 Watt von der Führerscheinpflicht ausgenommen sind.

Da E-Scooter in der Judikatur als Fahrräder behandelt werden, ist die 600-Watt-Grenze in der StVO praktisch ausgehebelt. Scooter ab 251 Watt Nennleistung sind demnach als Motorfahrrad (Moped) einzustufen und führerschein-, versicherungs- und kennzeichenpflichtig. Da sie aber die baulichen Kriterien für Mopeds nicht erfüllen können, bleibt diese Möglichkeit ein rein theoretische. Die Einführung einer eigenen Fahrzeugklasse, wie in Deutschland, ist laut Verkehrsministerium nicht vorgesehen.

Der Argumentation des KFV folgend, werden damit wohl fast alle E-Scooter – inklusive jener der Leihanbieter – aktuell nicht legal im österreichischen Straßenverkehr genutzt. Die gelebte Praxis, seit 2019 der Paragraf 88b der StVO in Kraft getreten ist, zeigt, dass Nutzer, Händler und auch die Behörden mit der Annahme handeln, dass die darin definierte Grenze von 600 Watt für Höchst- und Nennleistung gilt. Überprüft wird, abseits von Schwerpunktkontrollen, nur das Geschwindigkeitslimit von 25 km/h. Auch bei der Firma Halbknapp wurde man auf die unübersichtliche Gesetzeslage erst aufmerksam, nachdem ein Kunde im vergangenen Juni in eine Polizeikontrolle geraten war.

Für Fahrerinnen und Fahrer könnte die Fehlannahme verheerende Auswirkungen haben. Bei der Verwicklung in einen Unfall mit dem E-Scooter mit mehr als 250 Watt Nennleistung besteht die akute Gefahr, dass die Versicherung wegen des Fahrens ohne Führerschein aussteigt.

Auch so mancher Leihscooter dürfte mit über 250 Watt Nennleistung unterwegs sein.
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Übergangsbestimmung als Ausweg

Es gäbe aber einen relativ einfachen Ausweg aus der Misere, argumentiert das KFV. Da eine plötzliche Umstellung der Praxis ein "massiver Einschnitt" wäre, könnte Österreich sich mit einer Übergangsbestimmung behelfen. Diese Einschätzung teilt auch der Verkehrsclub Österreich, der es grundsätzlich für wichtig hält, dass eine einheitliche Regelung für alle als Fahrrad eingestuften Fahrzeuge geschaffen wird.

In einer solchen Übergangsbestimmung ließe sich etwa festschreiben, dass für die nächsten fünf Jahre das führerscheinfreie Fahren von E-Scootern mit nicht mehr als 600 Watt Höchstleistung zulässig ist. Dies würde genug Zeit für eine Umstellung ermöglichen – und auch für Lobbying auf europäischer Ebene.

Denn die 250-Watt-Grenze kommt nicht von ungefähr, sondern ist eine Festlegung aus einer von Österreich mit beschlossenen EU-Verordnung (168/2013). Diese wurde im Jänner 2013 erlassen und ist seit 2016 wirksam, zwei Jahre bevor E-Scooter zum Massenphänomen wurden. Eine Abänderung des Leistungslimits ist auf EU-Ebene machbar und nach Ansicht der Händler und mancher Hersteller dringend nötig.

Der Xiaomi Scooter 3, zusammengeklappt, stehend auf einer Wiese.
Der Xiaomi Scooter 3. Nennleistung: 300 Watt.
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Gute Gründe für mehr Watt

Das lässt sich technisch auch begründen. Elektromotoren benötigen eine hohe Drehzahl, um einen möglichst hohen Anteil ihrer elektrischen Leistung in mechanische Leistung zu überführen. Ein E-Bike kann hier mit 250 Watt gut auskommen, denn in der Regel gibt es eine Gangschaltung, mit der sich das Übersetzungsverhältnis zwischen Motor und Rad verändern lässt. Dazu können Fahrerinnen und Fahrer mittels Pedalen selber Leistung zuführen. Beides ist bei Rollern keine Option. Und bei 250 Watt Nennleistung werden selbst schwache Anhöhen bereits zum Problem.

Zurückhaltend gaben sich auf STANDARD-Anfrage die Leihanbieter. Bei Voi "befasst man sich bereits mit möglichen Auswirkungen", Lime betont, dass man sich jedenfalls an etwaige Limitierungen hält. Regulatorischen Änderungen stehe man offen gegenüber, wenn diese "auch verhältnismäßig und sinnvoll sind beziehungsweise E-Scooter gegenüber anderen Verkehrsmitteln nicht benachteiligen".

Der Konzern Xiaomi, dessen neuere Scooter-Modelle ebenfalls mit mehr als 250 Watt Nennleistung operieren, betont, sich an alle gesetzlichen Auflagen. Man befinde sich "im laufenden Austausch" mit dem Ministerium und wolle sich auch "aktiv in die Debatte einbringen." Ein anderer Hersteller meldet sich anonym zu Wort und findet deutliche Worte: "Scooter mit 250 Watt machen keinen Sinn. Da reicht dann auch ein Tretroller ohne Motor." (Georg Pichler, 16.9.2023)