Filmretrospektive Film Archiv Visconti
Helmut Berger als Wiedergänger seiner selbst: In "Ludwig 1881" (1993) der Brüder Dubini verkörperte er ein weiteres Mal den von tiefer Melancholie ergriffenen Bayernkönig Ludwig II.
Filmarchiv Austria!

Allora: In die Kreise der mächtigen, alteingesessenen Familien passte Jung-Apollo auf Anhieb hinein. Die Anmut, die der gebürtige Bad Ischler Helmut Berger (1944–2023) auf der Kinoleinwand entfaltete, zumal als aufmüpfiger Filmsohn, ist schlechthin unerklärlich. Bergers Entdecker und Förderer, der Italiener Luchino Visconti, stand Mitte der 1960er im Begriff, die Erzählhaltung des "Neorealismo" zu überwinden.

Berger, der bis dahin als Model dilettiert hatte, erschien als die Erfüllung von Viscontis kinematografischen Träumen. Am Strand habe er, der knapp vier Jahrzehnte Ältere, den Jüngling herumtoben gesehen. Der Eindruck muss demjenigen des Komponisten Aschenbach (alias Gustav Mahler) geglichen haben, den dieser, gespielt von Dirk Bogarde, todkrank am Lido empfängt.

Bogardes Blick auf den Knaben Tadzio in Der Tod in Venedig (1971) ist das Symbol vergeblicher Inbesitznahme. Pygmalion erwidert den Blick seines "Schöpfers", während dieser im Liegestuhl stirbt. Mit ihm, dem Anbeter irdischer Schönheit, erlischt die gesamte, von den Nazis in Dienst genommene Hochkultur.

Die Helmut-Berger-Filmschau des Filmarchivs Austria läuft noch bis 18. Oktober. Die Schauwerte feudal-bürgerlicher Kultur bildeten auf Anhieb Bergers Kulisse. Regisseur Visconti wurde nicht nur zum Liebhaber und Mentor seines jungen Gefährten und Lieblingsschauspielers. Berger pulsierte als unruhiges Zentrum in Visconti-Werken wie Die Verdammten (1968) oder Ludwig II. (1973).

Helmut Berger in "Die Verdammten"
Arnaud Vila

Zaudernder König

Als sadistisch aufgelegter Großindustriellenspross markiert Berger die Marlene Dietrich. In der Maske des zaudernden Bayernkönigs bildet er, der doch viele Kinoweihestunden lang als Ludwig im Mittelpunkt steht, die Abweichung. Rings um Berger verrutschen wie durch Zauberhand die Proportionen. Vor der schmerzenden Überzeugungskraft seiner Anmut verblassen der Reihe nach alles Wahre, Schöne und Gute.

Die Interessenpolitik der von Essenbecks in Die Verdammten entlarvt er als sadomasochistischen Bankrott. Zu anderer Gelegenheit (in Gewalt und Leidenschaft, 1974) mimt er den Toy-Boy einer dem Untergang geweihten Bourgeoisie. In letzterer Rolle spricht er die Worte: "Ich weiß, was ich wert bin!"

Nichts mehr wert scheint allein die Überlieferung zu sein. Die bourgeoise Kultur, schlecht verewigt als hoch dekoratives Museum ihrer selbst, fand in den Visconti-Filmfiguren Bergers ihren überzeugendsten Liquidator. Dabei musste Apoll selbst kaum einen Finger rühren. Berger verkörpert gleichsam nur das Medium von Dekadenz und Verfall. Berger mimt den missratenen Sohn, so narzisstisch wie unfähig zur Weitergabe jener Errungenschaften, derentwegen man ihn vor die Disneyland-Kulissen von Schloss Neuschwanstein versetzt hat. Apollo verkommt in der Maske des Schwanenritters zur Lachnummer. Seine Schwägerin Sissi (Romy Schneider) bricht in Ludwigs Schloss, das für Zyklopen errichtet scheint, in Heiterkeitsstürme aus.

Helmut Berger in
Helmut Berger in "Ludwig II" (1973)
Filmarchiv Austria!

Ewig junger Dorian Gray

Es ist ein hohes Vergnügen, im Berger-Programm des Filmarchivs Querverbindungen ziehen zu können. In De Sicas Der Garten der Finzi Contini (1970) wird der heraufziehende Faschismus von Berger und Co wie durch einen Schleier jugendlicher Unbekümmertheit wahrgenommen. Oder der Mime bemühte sich in einer Popfassung von Dorian Gray (Massimo Dallamano, 1970) um Unsterblichkeit.

Tatsächlich brach für den Österreicher mit Viscontis Tod anno 1976 nicht nur eine künstlerische Welt zusammen. Berger, über den Billy Wilder geäußert hatte, es gebe außer ihm keine interessanten Frauen mehr, blieb als Berger übrig.

Für Tinto Brass trug er nochmals SS-Stiefel (Salon Kitty, 1976). Den eigenen Nachruhm zu Lebzeiten steuerte der verwirrendste Mann des italienischen Nachkriegskinos mit bizarren Auftritten. Wobei man ein hysterisches Spektakel wie Christoph Schlingensiefs Die 120 Tage von Bottrop (1997) schon einmal gesehen haben muss. Kein Mensch kann es sich schließlich selbst verübeln, eine überirdische Erscheinung zu sein. (Ronald Pohl, 12.9.2023)