Ein Roboter schweißt einen Karosserie zusammen.
Viele Maschinen zählen zu den sogenannten Dual-Use-Gütern, deren Komponenten auch im Krieg eingesetzt werden könnten.
IMAGO/Sven Simon

Im Gastbeitrag erklärt Rechtsanwalt Ivo Deskovic, welche Herausforderungen mit dem Ausstieg aus Russland verbunden sind.

Anruf von meinem Klienten. Aus Brüssel kommt die Nachricht, dass das zehnte EU-Sanktionspaket vor der Verabschiedung steht. Es würde wohl auch Produkte erfassen, die mein Klient in nach Russland verkauften Anlagen verwendet. Was zunächst wie eine Überraschung klang – immerhin produziert mein Mandant keine Anlagen, die militärischen Zwecken dienen –, stellte sich rasch als wahr heraus. Denn Teile der Anlagen waren Güter mit doppeltem Verwendungszweck.

Die EU-Sanktionen verbieten Geschäfte mit bestimmten Personen und deren Unternehmen. So viel ist bekannt. Derzeit stehen bereits circa 1800 Politiker, hohe Beamte, Militärs und natürlich auch Oligarchen auf der langen Sanktionsliste – eine laufende Ergänzung dieser Liste ist zu erwarten. Weiters finden sich dort Organisationen, die neben militärischen Einrichtungen Bereiche wie etwa Luftfahrt oder Schiffsbau erfassen sowie auch bestimmte russische Banken.

Zivile und militärische Zwecke

Die EU-Sanktionen verbieten aber auch den Export bestimmter Produkte. Dazu zählen neben Spitzentechnologie Waffen und Luxusgüter bzw. bestimmte Maschinen, Fahrzeuge und Flugzeuge. Und auch eine ganze Reihe an Gütern mit ebendiesem doppelten Verwendungszweck – also Güter, die sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken dienen können. Egal, ob die Güter ihren Ursprung in oder außerhalb der EU haben und ob die Einfuhr direkt oder indirekt erfolgen soll: Ein Export nach Russland ist strafbar.

Einfache Roboter etwa, die im Anlagenbau eingesetzt werden, fallen unter diese sanktionierten Güter. Und ein solcher Roboter, der für die geplante Anlage meines Klienten unerlässlich ist, war vom zehnten EU-Sanktionspaket erfasst. War der Liefervertrag also noch zu retten? Und wenn nein: Werde man aus dem Vertrag aussteigen können? Hier prallen die Rechtsordnungen der EU-Länder mit russischem Recht unvereinbar aufeinander.

Das russische Recht erkennt die Sanktionen freilich nicht an; der Vertrag meines Klienten unterlag glücklicherweise aber österreichischem Recht. Somit konnte man sich in diesem Fall auf eine "nachträgliche Unmöglichkeit" berufen. Konkret ist die Erfüllung durch ein gesetzliches und sogar strafbewehrtes Verbot unmöglich geworden. Der Vertrag und damit die Lieferverpflichtung ist damit automatisch aufgehoben.

Was passiert mit der Anzahlung?

Als der Anlagenbauer seinem russischen Geschäftspartner absagte, wollte dieser naturgemäß seine Anzahlung zurück. Auch dem stehen die Sanktionen jedoch entgegen: Forderungen im Zusammenhang mit Verträgen, die durch die EU-Sanktionsverordnungen auch nur mittelbar berührt sind, dürfen nicht erfüllt werden. Erst wenn die EU-Sanktionen vielleicht einmal ein Ende haben, kann das Geld wieder ausgezahlt werden.

Da wie erwähnt das russische Recht die Sanktionen nicht anerkennt, ist im konkreten Fall ein Rechtsstreit vorprogrammiert. Davor muss sich der österreichische Lieferant aber nicht fürchten: Im Vertrag ist die Streitbeilegung durch ein Schiedsgericht der österreichischen Wirtschaftskammer (VIAC) mit Sitz in Wien vereinbart. Dieses hat österreichisches Recht anzuwenden, das die Aufhebung des Vertrags ja als rechtmäßig anerkennt. Das Schiedsgericht würde wohl bei diesem Sachverhalt einen Schiedsspruch zugunsten des Anlagenbauers fällen und die Rückzahlung der Anzahlung nicht anordnen.

Auch eine allfällige Forderung eines EU-Unternehmens gegen den russischen Kunden aus einem weggefallenen Vertrag würde ein Schiedsgericht wohl anerkennen. Russland ist zwar aus dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung von Schiedssprüchen ausgestiegen. Damit wird der Spruch dort nicht anerkannt. Aufgrund der Verjährung sollte man in Fällen wie diesen dennoch überlegen zu klagen. Irgendwann wird Russland wieder an der Tafel der geordneten Staaten teilnehmen, und der Spruch hält 30 Jahre.

Ungefährliche Klagen aus Russland

Wird ein Russe oder ein russisches Unternehmen vor einem westlichen Gericht oder Schiedsgericht geklagt, so kann in Russland zwar eine Gegenklage auf ein Pönale bis zur Höhe des Streitwerts eingebracht werden. Aber auch davor solle man nicht zurückschrecken. Ein solches russisches Urteil ist im Westen nicht vollstreckbar. Wer also kein Vermögen, Tochtergesellschaften etc. in Russland hat, wird davon nicht betroffen sein.

Die Ausgangslage wäre für die Mandantin wesentlich schwieriger gewesen, wenn im Vertrag russisches Recht oder gar ein (Schieds-)Gerichtsstand in Russland vereinbart worden wäre. Das hätte zur Prozessführung in Russland führen können. Aber auch ein Urteil, das allenfalls auf diese Weise durch den russischen Vertragspartner erwirkt wird, wäre in Österreich nicht vollstreckbar.

Der Anlagenbauer konnte also ohne Schaden aus dem Vertrag aussteigen, auch ohne Einlösung der Bankgarantie für die Vorauszahlung. Das deckt die bisherigen Kosten. (Ivo Deskovic, 12.9.2023)