
Das Archiv der ITS Arcademy ist ein Schatz. Es birgt 1089 Kleidungsstücke, 163 Accessoires und 9000 Portfolios. Sie sind innerhalb von 20 Jahren zusammenkommen, seither reichen junge Kreative ihre Bewerbungen für den ITS Contest in Triest ein. Einen Teil dieser Einreichungen hat Initiatorin Barbara Franchin gesammelt. Nun wurde ein Modemuseum daraus. Der Franzose Olivier Saillard hat die erste Ausstellung kuratiert – und sprach mit uns über seine Arbeit.
STANDARD: Wann wird eine Modeausstellung interessant?
Olivier Saillard: Ich bevorzuge Präsentationen, die sich auf die Mode, nicht auf Set-Designs konzentrieren. In Ausstellungen wie jenen des Metropolitan Museums in New York geht es mehr um die Show als um die Kleider. Als ich das Palais Galliera in Paris geleitet habe, hätte ich gern ein einziges Kleid der Marke Madame Grès inszeniert. Ich träume noch immer von einer zeitlosen Schau, in der die Kleider einfach auf dem Boden liegen.
STANDARD: Warum sind Mode-Ausstellungen so beliebt?
Saillard: Eine Dior-Ausstellung im Musée de Arts Décoratifs ist leichter zu konsumieren als eine Arte Povera-Schau oder zeitgenössische Kunst auf der Biennale. Viele Besucherinnen und Besucher fühlen sich bei der Bewertung von Mode freier. Sie wollen geradeheraus sagen können: "Ich mag dieses Kleid!"
STANDARD: Hat Sie das gestört?
Saillard: Je erfolgreicher meine Ausstellungen wurden, desto klarer wurde mir, wie wenig sich Besucherinnen und Besucher auf die Kleidung konzentriert haben. Die Menschen stehen mit dem Ipad in einer Ausstellung – und sie bleiben nicht lange. Deshalb bevorzuge ich andere Inszenierungen wie Performances. Ich fände gut, wenn sich die Menschen fokussieren.
STANDARD: Das betrifft nicht nur Modeausstellungen...
Saillard: Ausstellungen im Allgemeinen sind Unterhaltung geworden. Erst schlendert man durch die Schau, dann geht es weiter in den Buch-Shop, zum Schluss gibt's einen Kaffee.
STANDARD: Warum veranstalten die Luxusmodemarken ständig neue Ausstellungen?
Saillard: Die Modemagazine verschwinden nach und nach, wir nehmen Mode vor allem digital über das Smartphone wahr. Aber zwischendurch brauchen wir echte Erlebnisse. Die Modeausstellungen erfüllen dieses Bedürfnis. Aber lassen Sie mich erklären, warum die Archive so wichtig geworden sind. Früher hat sich bei Luxusmarken wie Chanel alles um jemanden wie Karl Lagerfeld gedreht. Heute werden Designer immer schneller ausgetauscht. Der Posten des Kreativchefs ist vergänglicher als jener des CEOs oder Präsidenten. Ludovic de Saint Sernin beispielsweise hat sich nach nur sechs Monaten von dem Unternehmen Ann Demeulemeester getrennt. Alessandro Michele, der einige Jahre extrem wichtig für Gucci war, musste die Marke verlassen, nachdem die Zahlen nicht mehr stimmten. Die Firmen brauchen die Modearchive allein dafür, um den wechselnden Designern ihre Identität zu erklären.
STANDARD: Wie hat sich die Rolle der Modekuratoren verändert?
Saillard: Ich habe in den 1980er-Jahren als Assistent eines Kurators begonnen. Damals konnte man Designer wie Jean-Paul Gaultier nur sehr schwer zu einer Ausstellung überreden. Die Kunstwelt galt als verstaubt. Das ist nun anders. Mit dem Aufkommen und Erstarken der internationalen Modekonzerne hat sich die Arbeit der Modekuratoren komplett verändert. Es ist schwer geworden, ehrlich und authentisch zu bleiben. Es gibt natürlich Ausnahmen. Als ich eine Louis Vuitton-Ausstellung konzipiert habe, hat mir LVMH-Chef Bernard Arnault alle Freiheiten gelassen. Das würde man von ihm nicht unbedingt erwarten. Aber die Zeiten haben sich geändert. Oft steht man unter dem Druck der CEOs und Präsidenten der großen Modeunternehmen. Deshalb habe ich mich nach etwa 250 Ausstellungen zurückgezogen.

STANDARD: Sie haben das Palais Galliera vor fünf Jahren verlassen. Warum haben Sie nun die Ausstellung in Triest kuratiert?
Saillard: Ich war damals erschöpft, als Direktor und als Kurator. Danach bin ich zu einem Schuhunternehmen gewechselt. Dann wurde ich gefragt, ob ich Direktor von Azzedine Alaïas Foundation werden wolle. Die Sammlung beinhaltet nicht nur Stücke von Alaïa, es wurden auch 500 Kleider von Madame Vionnet, Balenciaga, Madame Grès aufgekauft. Andere Schauen kuratiere ich in Sonderfällen. Weil es in Triest um den Modenachwuchs ging, habe ich ja gesagt.
STANDARD: Was waren die Herausforderungen?
Saillard: Bislang habe ich vor allem Modedesigner ausgestellt, die Jahrzehnte im Business waren. Junge Designerinnen und Designer auszustellen, war für mich eine Premiere. Die unterschiedlichen Standpunkte zusammenzubringen, war die größte Herausforderung. Statt einer chronologischen Ordnung habe ich nach stilistischen Gemeinsamkeiten gesucht. Das hat sich gelohnt, es gibt wirklich einzigartige, poetische Stücke zu sehen. (RONDO, Anne Feldkamp, 14.9.2023)