Naturverbunden, egalitär und mit viel Hightech: So stellen sich viele Solarpunk vor. Im Bild: eine Szene aus dem Disney-Film "Tomorrowland".
Allstar/Walt Disney Pictures

Die "Matrix"-Trilogie, "Blade Runner", "Ready Player One": Wer an Science-Fiction denkt, sieht meist eine düstere Welt vor sich. Sie beeinflussen unsere Ideen zukünftiger Welten und Gesellschaften. Diese Ideen und Ästhetiken, die sich auf den Fortschritt der Technik, künstliche Intelligenz und Kybernetik konzentrieren, werden gleichzeitig als eine Dystopie dargestellt. Sie implizieren eine Technikwelt, die zwingend mit dem Zusammenbruch sozialer Gesellschaften einhergeht.

Gerade in Krisensituationen bräuchte es aber eine positive Zukunftsvision. Zu diesen spekulativen Ideen gehört das Genre des Solarpunk. Zu den Idealen des Solarpunk gehört es, das Greenwashing des Kapitalismus abzulehnen, Konsumgüter zu reduzieren und die Technik für eine balancierte, sozial-ökologische Welt zu verwenden. Nicht nur in der digitalen Video- und Gaming-Welt, selbst im Realen gibt es bereits Häuser, welche die Idee aufgreifen.

Erneuerbare Energien bilden die Basis für die Solarpunk-Utopie.
AP/Alvaro Barrientos

Solarpunk ist nicht neu, hat aber in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Gemeinschaften leben in naturnahen Lebensräumen, einer freien und egalitären Welt. Roboter, Drohnen, Waschmaschinen und Züge werden mit erneuerbarer Energie versorgt, insbesondere Sonnenergie. Solarmodule können bereits heute beinahe überall installiert werden: auf Dächern, in Gärten, sogar als Teil von Kleidung. Sie bringen nicht nur schnelle Energie, sondern Unabhängigkeit von Systemen. Solarpunk erhebt aber nicht den Anspruch, nur Solarenergie zu verwenden. Windenergie, Erdwärme, Biomasse und andere erneuerbare Ressourcen sind ein wichtiger Bestandteil. Doch "Solar" ist zur Metapher für eine bessere Zukunft geworden. Mit "Punk" verbindet man etwas Rebellisches, Unangepasstes. Einen Gegenentwurf zu dystopischen Gesellschaften in der Popkultur der vergangenen 20 Jahre.

Virtuelle Realitäten und Dystopie

Die Philosophin Rebecca Haar veröffentlichte 2019 ihre Dissertation "Simulation und virtuelle Welten" als Buch, in der sie sich mit der Frage auseinandersetzt, wie sich Wahrnehmungen verändern, wenn virtuelle Welten und Realitäten unseren Alltag überlagern. Die Autorin bezieht sich auch auf aktuelle Diskussionen zu VR-Brillen, wenn sie die Frage stellt, inwieweit Utopien und Dystopien einen Einfluss auf die derzeitigen Designentwicklungen virtueller Welten haben.

Ein junger Mann spielt ein VR-Spiel.
Cyberpunk spinnt Überwachungsstaat und Kapitalismus noch weiter.
IMAGO/ZUMA Wire/Peerapon Boonyakiat

In zunehmendem Maße seit den 1980er-Jahren zeichnen Schriftstellerinnen und Autoren sozialzerstörerische, menschenfeindliche Realitäten in ihren Zukunftsromanen. In der Cyberspace-Matrix des Werks "Neuromancer" von William Gibson, die durchaus an das heutige Internet erinnert, wird der gesamte Alltag von Computern, Medien und Hologrammen durchdrungen. Menschen bewegen sich großteils in einer virtuellen Realität, sind interaktiv vernetzt, sich dessen aber nicht bewusst.

Einen Schritt weiter geht der 1999 erschienene Film "Matrix" der Wachowski-Geschwister. Die virtuelle Welt der Matrix erscheint so real, dass sie erst im Laufe des Films entlarvt wird. Fast die gesamte Menschheit wird von einer künstlichen Intelligenz in einem Trancezustand gehalten, einer Art Wachkoma. Die Menschen dienen den Maschinen als lebende Energie- und Wärmequelle. Nur wenige Rebellen, man könnte sagen "Punks", leben unabhängig von den Maschinen. Es sind gar unmenschliche, teils grausige Zustände. All diese Geschichten sind Dystopien, und all diese Geschichten sind Cyberpunk.

Im Cyberpunk werden der gesellschaftliche Zusammenbruch und monopolistische, weltumspannende Unternehmen mit neuartigen Technologien zusammengebracht. Die Bewegung ist verwurzelt in den Ängsten der Menschen vor einem sich rasant entwickelnden technischen Zeitalter. Zum Cyberpunk gehören futuristische Technologien wie künstliche Intelligenz und Kybernetik. Die Kybernetik, begründet von Norbert Wiener in den 1920er-Jahren, beschäftigte sich mit der Idee, Maschinen und Technik so zu entwickeln, dass sie Leben imitieren. Systeme, die sich selbst regulieren und auf ihre Umwelt reagieren, wie Thermostate, aber auch Roboter, die mit künstlicher Intelligenz gesteuert werden. Ästhetisch zeichnet sich Cyberpunk durch eine Neonlicht-Ästhetik und dystopische Megastädte im Stil gegenwärtiger asiatischer Metropolen aus. Solarpunk wie auch Cyberpunk – sie sind beide technikorientiert. Der Unterschied liegt darin, wie sie mit vorhandenen technischen Möglichkeiten umgehen.

Solarpunk erlebt seit 2014 einen Aufschwung. Das Genre ist nicht klar definiert. Eine Zukunftsvision mit klimaschonenden Lebensweisen, Hightech-Lösungen, ethisch vertretbarer Landwirtschaft, sauberer Luft und plastikfreien Meeren. Die Idee hat ihre Ursprünge in den Arbeiten der Science-Fiction-Autorinnen Ursula K. Le Guin, Kim Stanley Robinson und Octavia E. Butler. Sie alle beschäftigten sich in ihren Geschichten mit alternativen Gemeinschaften, Klimakrise und gerechteren Gesellschaften. Die Solarpunk-Kultur schließt alle Kulturen, Religionen, Fähigkeiten, Geschlechter und sexuellen Identitäten ein. Solarpunk ist die Idee, dass die Menschheit eine soziale Evolution erreicht, die nicht nur bloße Toleranz, sondern ein weitreichenderes Mitgefühl und Akzeptanz umfasst.

Solarpunk als Computerspiel

Auch Spieleentwicklerinnen und -entwickler springen mittlerweile auf den Trend auf. Für 2024 kündigt die Entwicklerfirma Cyberwave das Spiel "Solarpunk" an. Auch wenn das Spiel derzeit noch Teil einer Crowdfunding-Kampagne auf Kickstarter ist, wird man in wenigen Monaten auf schwebenden Inseln ein perfektes Zuhause mit selbstangebauten Lebensmitteln und Energie aus Sonne, Wind und Wasser bauen können. Gartenroboter und Solarpaneele dienen als Helfer.

Solarpunk - Reveal Trailer
Solarpunk Trailer
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Auch Michael Su und Martina Qin entwickeln derzeit ein Spiel, in dem man sich in einer "Solarpunk-Zukunft" bewegen kann. In "Loftia" kann man "aquaponic" (wasserbasierte) und "hydroponic" (luftbasierte) Landwirtschaft betreiben. Die Spieler können Hydrokulturen nutzen, beim Crafting werden Materialien recycelt und unbenutzte Gegenstände wiederverwertet. Saubere Energie, die von Solar-, Wind- und Wasserfarmen in der gesamten Spielwelt erzeugt wird, treibt die Aktivitäten an und gibt den Spielerinnen und Spielern die Möglichkeit, etwas über erneuerbare Energien zu lernen. Das Multiplayer-Onlinespiel ermöglicht es außerdem, Gruppen und Zünfte zu bilden, in denen man gemeinsam Welten baut. Su und Qin möchten Videospiele als ein Medium etablieren, das auch Ideengeber für die reale Welt sein kann. Immer mehr Menschen interessieren sich für Klimatechnologie, Naturschutz und Nachhaltigkeit. Das Spiel "Loftia" wird voraussichtlich 2025 erscheinen.

Wer sich schon jetzt auf die Suche nach einem Solarpunk-Spiel machen möchte: "Terra Nil", erhältlich auf Steam, ist ein Puzzle- und Worldbuilder-Spiel. In dem Spiel geht es darum, die Erde von Giften und Abfall zu befreien und so das ökologische Gleichgewicht wiederherzustellen. Energieerzeugung mit Windrädern und Recycling von Drohnen stehen auf dem Tagesplan. Das entspannende Spiel, mit Audio-Natureffekten und wunderschön illustrierten Anleitungen, gibt Hoffnung auf eine Zukunft ohne Umweltverschmutzung.

Solarpunk wird zur Realität

Solarpunk ist aber nicht nur im Digitalen zu Hause. Im "neuen Urbanismus" wird Solarpunk sozusagen zur Realität. Der Architekt Stefano Boeri entwirft in seiner Arbeit und in dem Buch "Urbania" ökologische Städte und Zukunftsvisionen. Er schlägt neue, radikale Lösungen vor, die zeigen: Es ist möglich, Logik und Form des städtischen Lebens zu überdenken. Ein Planet, der von biologischer Vielfalt und Naturschutzgebieten durchzogen ist. Ortschaften und Städte werden zu lebendigen und autarken Gemeinschaften.

Beispiel eines
Beispiel eines "Erdschiffs" von Michael Reynolds.
Earthship Biotecture

Auch der Architekt Michael Reynolds kritisiert die Arbeit anderer Architektinnen und Architekten scharf: Ihre Arbeit sei zu konventionell, beschäftige sich zu wenig mit den ökologischen Auswirkungen. Reynolds selbst ist ein Verfechter einer "radikal nachhaltigen" Lebensweise. Er ist Erfinder der "Earthships", zu Deutsch "Erdschiffe". Seine Idee war es, in Passivhäusern zu wohnen, die ihre Innentemperatur stabil bei 21 Grad Celsius halten – auch in der Wüste. Dafür nutzt man Wände und Böden aus ökologischen Materialien, die die Hitze speichern und nachts wieder abgeben. Das ist möglich, weil die Häuser teils in die Erde eingebaut werden.

Im Inneren des Hauses gibt es Bereiche, die mit Glasdächern oder Glaswänden ausgestattet sind, um auch im Innenbereich viele Pflanzen anzubauen. Im 2008 veröffentlichten Dokumentarfilm "Stephen Fry in America" tritt Reynolds auf. Er gibt Fry eine Führung durch sein Haus und beschreibt, wie seine Gebäude unabhängig vom Stromnetz betrieben werden und keine oder nur geringe Finanzierung benötigen. Einige dieser "Earthship"-Häuser wurden in New Mexico in den USA gebaut, mittlerweile gibt es die Öko-Häuser in fast allen Teilen der Welt.

Menschen in einem Gewächshaus
Lokale und biologische Lebensmittel in neuartiger Anbauweise bilden die Basis des Zusammenlebens im Solarpunk. Hydroponische Lebensmittelproduktion ist bereits heute Realität.
APA/AFP/Luca Sola

Kreativität als Grundbaustein

Solarpunk beschäftigt sich also mit Lösungen. Was als eine Science-Fiction-Idee startete, hat das Potenzial, zu einer weltweiten Community zu werden und sogar Häuser zu inspirieren. Solarpunk ist antidystopisch, ohne dabei in die Fallen einer kapitalismusbejahenden Utopie kalifornischer Auswüchse zu treten. Das kommt auch bei jungen Menschen gut an. Reddit, Youtube und Tiktok bieten eine riesige Auswahl an Videos zum Thema. Einfallsreichtum, Forschung, Unabhängigkeit und Gemeinschaft: Solarpunk ist offen und divers. Es hält faktenbasierte Wissenschaft und die Macht der Kreativität hoch. So eine Zukunft ist möglich. (Sebastian Lang, 16.9.2023)