Kindergartenkinder, Tirol, Kinderbetreuung
Laut Landeshauptmann Mattle ist die Betreuung der unter Dreijährigen noch ein Sorgenkind in Tirol.
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"Hochwertig, bedarfsgerecht, leistbar, ganzjährig und ganztägig" – so hat die schwarz-rote Tiroler Landesregierung am Dienstag den von ihr angekündigten Rechtsanspruch auf "Vermittlung" eines Kinderbetreuungs- und Kinderbildungsplatzes ab dem zweiten Lebensjahr beschrieben. Nach der Regierungsklausur präsentierten die Verantwortlichen einen Fahrplan, der eine tirolweite Umsetzung bis 2026 vorsieht. Für den Rechtsanspruch sind "vorerst" 50 Millionen Euro eingeplant.

"Wir spüren aus der Gesellschaft heraus, dass im frühkindlichen Bereich noch Luft nach oben ist", begründete Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) den am Dienstag beschlossenen Leitantrag bei einer Pressekonferenz im Kinderzentrum Kolsass (Bezirk Schwaz). Während die Betreuungsquote der Drei- bis Fünfjährigen bei 96 Prozent liege ("Barcelona-Ziel": 90 Prozent), sei die Betreuung der unter Dreijährigen noch ein Sorgenkind in Tirol.

"Die Betreuung liegt bei 29 Prozent, das 'Barcelona-Ziel' aber bei 33 Prozent", verdeutlichte Mattle den Bedarf und verwies auf eine kürzlich erfolgte Studienreise nach Finnland, wobei man "von den Besten lernen" wolle. "Die Öffnungszeiten werden bei uns bei weitem nicht so großzügig angeboten wie in Finnland", berichtete der Landeshauptmann. Er sprach von einem "mutigen Schritt", immerhin sei Tirol das erste Bundesland, das einen Rechtsanspruch in "dieser Konsequenz" einführe.

Fokus auf Personal

Landeshauptmannstellvertreter Georg Dornauer (SPÖ) betonte den "pragmatischen Zugang" der Landesregierung bei dem Vorhaben. "Gerade im ländlichen Raum müssen wir Lebensräume definieren", sagte er. Das Ziel sei, "innerhalb von 15 Autominuten einen Platz zu finden." Daher wurde laut Mattle das Recht auf "Vermittlung" definiert – ein Platz soll daher im Wohnort, in der Region, entlang des Arbeitsweges oder am Arbeitsort der Eltern gefunden werden. Dieser werde nicht gratis sein, sondern "leistbar", wurde von den Regierungsspitzen betont. Miteinbezogen werden außerdem neben den kommunalen Einrichtungen auch private und betriebliche Kinderbetreuungs- und -bildungsstätten sowie Tageseltern.

Die Suche nach einem geeigneten Platz für die Kleinsten sollen daher künftig die Planungsverbände übernehmen, erklärte die ressortzuständige Bildungslandesrätin Cornelia Hagele (ÖVP) und stellte einen "Zehn-Punkte-Maßnahmenplan" zur Umsetzung vor. Ein Fokus liegt beim – von vielen Beteiligten oftmals als größtes Problem genannten – Personal. Und zwar auf jenen Pädagoginnen und Pädagogen, die bereits arbeiten, sowie auf die, die in den Beruf (quer)einsteigen wollen. Geplant sind zwei Stunden pro Woche mehr für Teamarbeit und Ausarbeitungen. Dies soll sich auch im Gehalt niederschlagen, kündigte Hagele an.

Rechtsanspruch in Pilotregionen

Außerdem wird es eine gemeinsame Implacementstiftung von AMS Tirol und Land Tirol geben, die Ausbildungsplätze finanzieren soll. Wie viele Arbeitskräfte derzeit für den Rechtsanspruch fehlen würden, wollte Hagele indes nicht beziffern: "Das ist schwierig zu sagen", der Bedarf sei schließlich noch nicht klar. Neben dem Personal brauche es auch neue Räumlichkeiten. Für den Ausbau der Infrastruktur sind für die Jahre 2024 bis 2026 zusätzlich 20 Millionen Euro vorgesehen. Ausprobiert werden soll der Rechtsanspruch ab 2024/2025 in Pilotregionen, die aber noch nicht bestimmt wurden.

Derzeit investiert Tirol jährlich rund 144 Millionen Euro in die Kinderbetreuung. Mattle zeigte sich "froh", dass Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zuletzt 4,5 Milliarden Euro mehr dafür angekündigt hatte. Wie hoch Tirols Anteil sein werde, war laut Mattle noch nicht geklärt: "Schön wäre, wenn das Bemühen von Tirol auch entsprechend honoriert wird." Dazu, dass Tirol den Ausbau des Angebots ab dem zweiten Lebensjahr und nicht wie Nehammer bereits ab dem ersten Lebensjahr in Angriff nehmen will, sagte Mattle: "Da sind wir Realisten." Ab dem 24. Lebensmonat könne man es schaffen, "alles, was mehr geht, ist die Sahnehaube".

"Politische Nebelgranate" laut Liste Fritz

Die Regierungsmitglieder zeigten sich unisono "stolz" über den Fahrplan. Gleichstellungs- und Soziallandesrätin Eva Pawlata (SPÖ) war froh, "Teil dieses Meilensteins" zu sein. "Man unterstellt Tirol oft, dass wir ein bisschen konservativer sind. Aber wir sind die Ersten, die das Recht auf Kinderbildung sicherstellen", sagte sie. Gut betreute Kinder würden außerdem nicht nur Frauen zugutekommen, sondern dem "ganzen Familiensystem", hielt Pawlata fest, die gleichzeitig ankündigte, den Ausbau der Schulsozialarbeit mit 200.000 Euro jährlich zu finanzieren.

Die Oppositionspartei Liste Fritz bezeichnete indes das nun vorgestellte Modell schlicht als "Betrug an Tiroler Familien" und "politische Nebelgranate." "Jetzt einen bloßen Anspruch auf Vermittlung umzusetzen ist Wählertäuschung pur", sagte Klubobmann Markus Sint. Was geschehe, wenn die Vermittlung erfolglos sei, fragte er. Auch dass der Anspruch erst ab dem zweiten Lebensjahr gelten soll, war für Sint und Parteichefin Andrea Haselwanter-Schneider nicht nachvollziehbar. Dies könnte Eltern dazu zwingen, "ein weiteres Jahr zu Hause zu verbringen. Oder mehrere", sollte die Vermittlung nicht gleich erfolgreich sein.

Die Tiroler Wirtschaftskammer begrüßte die Pläne der Landesregierung als "großen Schritt". Die Chancen von Frauen, gleichberechtigt am Erwerbsprozess teilzunehmen, würden dadurch verbessert, außerdem bedeute der Schritt Chancengleichheit für Kinder. In der Erhöhung der Arbeitsquote von Frauen stecke großes Potenzial zur Bekämpfung des akuten Arbeitskräftemangels, so die Wirtschaftskammer. "Das vielzitierte Schlagwort von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird damit in Tirol zur Lebensrealität und wertet die Attraktivität unseres Standortes deutlich auf", wurde WK-Vizepräsidentin Martina Entner (ÖVP) in einer Aussendung zitiert. (APA, red, 12.9.2023)