Schon bei seiner Abreise vom Bahnhof in Pjöngjang erregte Kim Jong-uns Zug Aufmerksamkeit. Zum ersten Mal seit der Corona-Pandemie hat der Diktator sein Land verlassen.
REUTERS/KCNA

Kim Jong-uns Anreise ins russische Wladiwostok war wohl eher gemächlich. Etwa 20 Waggons hat sein Sonderzug, grün lackiert, getönte Fenster schützen die Insassen vor neugierigen Blicken. Den Panzerzug bekam Kims Großvater Kim Il-sung einst vom sowjetischen Diktator Josef Stalin persönlich geschenkt. Spezialzüge fahren voraus, sichern die Strecke. Hubschrauber und Kampfjets überwachen von oben. Sicher war die Fahrt allemal, nur eben nicht schnell. Der Zug fährt maximal 60 Kilometer pro Stunde, heißt es. Zwar ziehen zwei Loks, aber der Panzerzug ist einfach unendlich schwer. Erlesene Menüs gebe es, lebende Hummer und französische Weine, berichten die wenigen Augenzeugen, die den Zug von innen kennen. Luxus pur – während Kims Volk zu Hause hungert.

Erste Reise seit 2019

Um Nahrungsmittel wird es auch beim Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin gehen, das laut Kreml "in den kommenden Tagen" stattfindet. Aber wohl nur am Rande. Es ist ein Gipfeltreffen der ganz besonderen Art. Beide Staatschefs haben etwas zu bieten, das der jeweils andere dringend braucht. Russland braucht vor allem Waffen, etwa Artillerie. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu war bereits im August in Pjöngjang, anlässlich der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des Endes des Koreakriegs – und wohnte Berichten zufolge einer Militärparade bei. Man hatte eine stärkere militärische Zusammenarbeit verabredet und den Besuch von Kim vorbereitet. Nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine hatte Nordkorea seine politische Unterstützung für Putins Kurs zugesichert.

Kim Jong-un war erst einmal in Russland, das war vor vier Jahren, auf seiner bisher letzten Auslandsreise. Im April 2019 besuchte er mit seinem Panzerzug ebenfalls Wladiwostok, nachdem Atomabrüstungsgespräche mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump gescheitert waren. Damals sprach er mit Putin über das nordkoreanische Atomprogramm und die Verstärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Konkrete Ergebnisse gab es dabei allerdings nicht. Wladiwostok ist für Kim praktisch. Die Stadt liegt an Russlands Pazifikküste und ist nur 130 Kilometer von der 17 Kilometer langen russisch-nordkoreanischen Grenze entfernt. Nach Moskau wären es rund 6500 Kilometer – Luftlinie, wohlgemerkt.

Über ein Treffen Putins mit Nordkoreas Diktator wurde bereits seit längerer Zeit spekuliert. Die US-Regierung hat in den vergangenen Monaten mehrfach gewarnt, Russland könnte Waffen von Nordkorea kaufen. Die Kämpfe in der Ukraine sind langwieriger und kostspieliger, als der Kreml dies zu Beginn geplant hatte. Russlands Rüstungsindustrie arbeitet an der Kapazitätsgrenze. Doch die Produktion könne die Verluste an Waffen und Munition kaum kompensieren, meinen Experten. Nordkorea könnte hier in die Bresche springen. Das Land könnte Artilleriemunition und Raketen liefern, Pjöngjang hat sich auf die Modernisierung sowjetischer Waffensysteme spezialisiert.

Atom-U-Boote gefragt

Im Gegenzug könnte Moskau fortschrittliche Technologie liefern, etwa Mikrochips für Satelliten oder Technik für Atom-U-Boote. An modernen Bauteilen herrscht in Russland kaum ein Mangel, sie kommen trotz westlicher Sanktionen auf Umwegen ins Land. Bei den Gesprächen zwischen Kim und Putin geht es vermutlich aber nicht nur um Rüstung. Auch Nahrungsmittel könnte Russland liefern. In diesem Jahr erwartet das Land eine Rekordernte an Getreide. Und in wirtschaftlichen Fragen könnte Russland dem ökonomisch siechen Nordkorea seine Unterstützung anbieten.

Die USA und auch ihre Verbündeten Südkorea und Japan haben mehrfach gewarnt, dass jedes Waffenabkommen mit Nordkorea bestehende UN-Resolutionen verletze. Nordkorea ist wegen seines Atomwaffenprogramms internationalen Sanktionen unterworfen. Russlands Präsidenten Putin und seinen Partner Kim Jong-un werden derartige Warnungen wohl wenig beeindrucken. (Jo Angerer aus Moskau, 12.9.2023)