Es gilt als historischer Moment: Vor 30 Jahren schüttelten PLO-Chef Yassir Arafat und Israels Ministerpräsident Yitzhak Rabin, kurz davor noch strenge Feinde, einander in Washington die Hände. Die Unterzeichnung des Oslo-Abkommens am 13. September 1993 wurde als Friedensvertrag gefeiert. Zu Unrecht, wie der damalige israelische Chefverhandler Yossi Beilin sagt.

PLO-Chef Yassir Arafat und Ministerpräsident Yitzhak Rabin besiegeln das Oslo-Abkommen
Der berühmte Handschlag zwischen PLO-Chef Yassir Arafat und Israels Ministerpräsident Yitzhak Rabin vor dem Weißen Haus, dazwischen Gastgeber Bill Clinton.
AFP/J. DAVID AKE

Beilin, der stellvertretender Außenminister in Rabins Regierung war, erinnert sich an den ungewöhnlich heißen Septembertag im Jahr 1993. "Es war ein extrem aufregender Tag, die ganze Welt war auf dem Rasen des Weißen Hauses versammelt", erzählt Beilin dem STANDARD. "Als ich dann später aber dieses Bild (vom Handschlag, Anm.) sah, dachte ich: Das ist zu dick aufgetragen. Die Menschen werden glauben, dass wir mit den Palästinensern Frieden geschlossen haben."

Israels Versagen

Oslo war ein Interimsvertrag. Er ist heute noch in Kraft. Es sei Israels Versagen gewesen, keine endgültige Lösung anzustreben, sagt der heute 75-Jährige. "Einen Partner für eine permanente Lösung hätten wir gehabt, und das wussten wir auch."

Ein weiterer Fehler der Israelis war laut Beilin, keinen Siedlungsstopp im Oslo-Abkommen verankert zu haben. "Die Palästinenser verlangten ein Einfrieren der Siedlungen, und ich hielt das für eine nachvollziehbare Forderung", sagt Beilin. "Rabin meinte aber, wenn die Palästinenser uns vertrauen, dann wissen sie, dass wir ohnehin keine neuen Siedlungen bauen wollen."

Alles anders unter Netanjahu

Das war unter Rabin und seinem Nachfolger Peres auch der Fall, unter Benjamin Netanjahu änderte sich das aber schlagartig. Die Folge: Seit Oslo hat sich die Zahl der jüdischen Siedlungen im besetzten Westjordanland verfünffacht.

Hanan Ashrawi, ehemalige palästinensische Chefverhandlerin, hatte schon im September 1993 "gemischte Gefühle", wie sie sagt. Auch sie wohnte der Zeremonie auf dem Rasen des Weißen Hauses bei. "Ich sah die schweren Mängel dieser Vereinbarung, und ich war besorgt", erzählt sie im STANDARD-Gespräch.

Ashrawi hatte in den Monaten zuvor die von den USA geleiteten Madrider Friedensverhandlungen für die Palästinenser geführt. Während diese offiziellen Gespräche ins Stocken gerieten, fanden sich Israelis mit PLO-Vertretern in Oslo zu geheimen Verhandlungen ein, die schließlich von PLO-Chef Yassir Arafat und Ministerpräsident Yitzhak Rabin grünes Licht erhielten. Das war die Vorgeschichte zum historischen Handschlag. US-Präsident Bill Clinton, der auf dem Bild wie ein Schirmherr der Gespräche wirkt, war erst zum Schluss in den Verhandlungsfortschritt eingeweiht worden.

Mehrere Schwachpunkte

Während die Welt Oslo feierte, sahen hochrangige palästinensische Vertreter wie Ashrawi vor allem die Schwachpunkte der Grundsatzvereinbarung. "Es ging nur um Nebenaspekte, während der Kern des Konflikts umgangen wurde", sagt Ashrawi. "Die Frage der Besatzung an sich wurde überhaupt nicht angetastet."

Israel hatte Ostjerusalem und das Westjordanland 26 Jahre zuvor im Sechstagekrieg eingenommen und hielt sie seither besetzt. Ashrawi kritisiert, dass es in dem Abkommen vorrangig darum ging, "die Besatzung zu reorganisieren" und Verwaltungsagenden an die Palästinenser zu verlagern. "Man gab der schwächeren Seite die Verantwortung, beließ die Macht aber in den Händen der Stärkeren."

"Der Preis war zu hoch"

Israel habe diese Macht dazu benutzt, Siedlungen auszubauen, die Wasserversorgung im Westjordanland zu kontrollieren und den Grenzverlauf zu bestimmen – "alles unter dem Vorwand, es sei ja nur ein Interimsabkommen". PLO-Führer Yassir Arafat feierte das zwar damals als Erfolg – schließlich brachte Oslo mit sich, dass Israel die PLO als offizielle Vertretung der Palästinenser anerkannte. "Aber der Preis dafür war zu hoch", sagt Ashrawi heute.

Für die erfahrene Politikerin hatte Oslo auch persönlich eine bittere Note. Nachdem sie als offizielle Vertreterin der Palästinenser seit Monaten den Madrid-Washington-Friedensprozess verhandelt hatte, in dem die PLO auf Geheiß der Israelis dezidiert nicht erwünscht war, gab Arafat den verdeckten Verhandlungen von PLO und Israelis auf dem Nebengleis in Oslo den Vorzug.

In Israel sieht Ashrawi heute keine Gesprächspartner für neue Verhandlungen – selbst im Fall, dass die aktuelle rechts-religiöse Regierung abgewählt wird. "Der ganze politische Diskurs in Israel ist nach rechts gerückt." Zudem würden regelmäßige Völkerrechtsbrüche seitens Israel von den USA und der EU einfach abgenickt. Bei europäischen Politikern vermisst Ashrawi "Voraussicht und Rückgrat". "Sie sprechen von Zweistaatenlösung und klopfen sich auf die Schultern, dabei haben sie es Israel erlaubt, die Zweistaatenlösung zu zerstören. Wo wollt ihr den palästinensischen Staat denn hinpflanzen, auf den Mond?"

Ob die Palästinenser heute ohne Oslo-Abkommen besser dastünden, kann Ashrawi nicht sagen. "Manche glauben das, aber ich weiß es nicht. Ich fürchte aber, dass die substanziellen Mängel dieses Abkommens letztlich jede Art einer Lösung verunmöglicht haben."

Trotzdem optimistisch

Yossi Beilin ist optimistischer. "Viele sagen, die Zweistaatenlösung sei tot, aber das ist Unsinn", sagt Beilin. "Das würde ja bedeuten, dass die Siedler ihr Ziel erreicht haben: so viele Siedlungen zu bauen, dass es keine Zweistaatenlösung geben kann."

Beilin, der mehrere Jahre die Linkspartei Meretz-Jachad leitete, glaubt an ein Modell einer palästinensisch-israelischen Staatenkonföderation. Im Moment scheitere eine solche Lösung ausschließlich an Israel – auf palästinensischer Seite gäbe es in Mahmud Abbas einen Gesprächspartner, glaubt er.

Beilin versprüht raren Optimismus, was die Zukunft Israels und Palästinas betrifft: "Die aktuelle israelische Regierung wird implodieren", schätzt er. "Die nächste wird eine Mitte-links-Regierung sein. Und sie wird schon bald Gespräche mit den Palästinensern aufnehmen." (Maria Sterkl aus Jerusalem, 13.9.2023)