Tim Cook, Apple
Tim Cook ist über die Jahre aus dem Schatten seines Vorgängers getreten. Die größten Herausforderungen liegen aber wohl noch vor dem CEO.
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Kein Preissprung nach oben, die erwartete Einführung des Anschlusses USB-C und wie jedes Jahr sanfte Detailverbesserungen bei iPhone und Apple Watch: Apple hat sein Technikkonzert am Dienstag gewohnt souverän gespielt und sich keine Patzer geleistet. Mit der fast überschwänglichen Betonung, wie CO2-neutral man mittlerweile produziere, ist man scheinbar auch an dieser Front für etwaige Regulierungen in der Zukunft gerüstet. Der große Knall – das "one more thing" – blieb aber aus.

Video: Das ist das neue iPhone 15 mit USB-C-Anschluss.
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Zielgruppe erkannt

Große Sprünge waren in diesem Jahr von Apple nicht zu erwarten. Eigentlich sind unter Tim Cook nur sehr selten große Sprünge zu erwarten. Der wachsame CEO hat den Apple-Kahn nach dem Rampenlicht suchenden Steve Jobs in stabile Gewässer gesteuert. Ein wachsendes und lukratives Serviceangebot hier, Detailverbesserungen bei den wichtigsten Produkten da. So bekam das durchaus wichtige Segment der Apple Watches im Vorjahr mit der Ultra eine Premiumversion, die in diesem Jahr mit noch hellerem Display und einer CO2-neutralen Produktion für das anvisierte Publikum feinjustiert wurde. Mit gutem Gewissen jedes Jahr 1.000 Euro in den Apple-Topf werfen: Wer das kann und will, fühlte sich auch am Dienstagabend in der Apple-Präsentation wohl.

Auch beim iPhone verkauft man den Wechsel auf USB-C als Schritt auf den Kunden zu. Tatsächlich ist eine EU-Regulierung dafür verantwortlich, dass man künftig nicht auch noch ein Lightning-Kabel mitschleppen muss, wenn man auf Reisen geht. Das im Vorjahr noch als größte Neuerung gefeierte "Dynamic Island"-Feature, also eine bewegliche Notch am oberen Rand des Displays, wird gönnerhaft in diesem Jahr auch den iPhone-Modellen spendiert, die ohne "Pro"-Auszeichnung verkauft werden müssen. So richtig gierig will man aber nicht nach der günstigen Variante greifen, dafür sorgt Apple jedes Jahr gleichermaßen.

Die Pro-Modelle bekommen 2023 beispielsweise ein Titangehäuse spendiert. Das ist sexy, aber wer hat am Ende nicht eine 20 bis 50 Euro teure Hülle über dem ach so schicken Design, um Kratzer und Sprünge möglichst lange zu verhindern? Dennoch, die Zielgruppe ist angefixt, hat man das Gefühl. Auch von dem neuen Action-Button, den man schon von der Apple Watch Ultra kennt: einer "programmierbaren" Taste, auf die man mehrere Funktionen legen kann. Nichts, was das Erlebnis revolutioniert, aber ein Detail, das für so manchen den Neukauf eventuell rechtfertigt. Genau wie das wie immer eindrucksvolle Upgrade des Kamerasystems – wobei man sagen muss, dass man schon länger sehr gute Fotos mit dem iPhone machen kann, egal in welcher Preisklasse.

Gefühlswelt

Obwohl Apple auch in diesem Jahr gern über intern verbaute Technik und Spezifikationen gesprochen hat, von der beeindruckenden Nits-Anzahl für das Apple Watch Ultra Display bis hin zu der für Gamer überraschenden Raytracing-Präsentation bei den Pro-iPhones, verkauft die Tech-Firma vor allem Gefühle. Wie im Vorjahr startete sie die Präsentation mit Menschen, die davon erzählten, wie ihnen die Apple Watch das Leben einfacher gemacht oder sogar gerettet hat. Es wurde viel über die Umwelt gesprochen und der tägliche Gebrauch der neuen Features gezeigt, die, wie immer bei Apple, wunderschön inszeniert sind.

Wie es aktuell in Cooks eigener Gefühlswelt aussieht, das konnte man aufgrund des gezeigten vorproduzierten Videos nur erahnen. Ganz egal dürfte ihm die in den Medien vielzitierte "Revanche gegen US-Maßnahmen" nicht sein, die derzeit in China vollzogen wird. Laut mehreren Medien, darunter das "Wall Street Journal", haben chinesische Behörden ihre Mitarbeiter dazu angewiesen, keine Apple-Produkte mehr mit zur Arbeit zu bringen. Davon betroffen sollen neben iPhones auch iPads und Macbooks sein. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es nicht, aber die Börse zeigte sich dennoch beeindruckt. Innerhalb weniger Tage verlor das Unternehmen 200 Milliarden Dollar an Marktwert. Ein schwerer Schlag, ist China doch für rund ein Fünftel des Konzernumsatzes verantwortlich – Tendenz bis zu diesem Vorfall steigend. Der Tech-Analyst Dan Ives schrieb allerdings kurz darauf, dass dieses iPhone-Verbot der chinesischen Behörden "völlig überschätzt" werde und es Apple maximal 500.000 Geräte pro Jahr kosten könnte. Das wäre nur ein Tropfen im Vergleich zu den prognostizierten 45 Millionen iPhones, die man im kommenden Jahr beim US-Konzern für das betroffene Land eingeplant hat.

Apple, iPhone
Das Interesse an Apple-Produkten ist ungebrochen, sowohl auf Journalisten- als auch auf Leserseite. Apple polarisiert mehr als jeder andere Smartphone-Hersteller.
AFP/NIC COURY

Kein großer Knall

Die Aktie zurück auf Erfolgskurs konnte die Keynote am Dienstag nicht sofort bringen. Der große Knall fehlte, auch wenn er ohnehin keine Selbstverständlichkeit mehr für diesen Rahmen ist. Die für Anfang 2024 angekündigte Mixed-Reality-Brille Vision Pro wurde nur einmal kurz erwähnt, weil die Pro-Modelle des iPhone 15 dank neuer Kamera "räumliche Aufnahmen" machen können, wie Cook und sein Team einmal mehr betonten. Diese Fotos soll man mit der Brille künftig dreidimensional betrachten können, um sich, wie in der Vision-Pro-Präsentation vor ein paar Monaten gesagt wurde, "emotionale Momente" gut in Erinnerung rufen zu können. Eine dazu passende Demonstration gibt es allerdings nicht. Vielleicht auch deshalb, weil im ersten Schritt eine rund 3.500 Euro teure Brille kaum für den Massenmarkt geeignet scheint.

Somit hat der US-Konzern an diesem Tag souverän abgeliefert, ohne zu überraschen oder ein Meme-taugliches Feature anzukündigen, wie das im Vorjahr mit der "Dynamic Island" gelungen ist. Das Apple von Tim Cook ist auch in diesem Jahr keine Adrenalinfahrt, sondern eine bequeme Kreuzfahrt – die man sich leisten können muss. Wie viele Mitfahrende in diesem Jahr am Ende dabei sein wollen, kann man in ein paar Monaten dann auch im Quartalsbericht lesen. Nach zwei eher verhaltenen Jahren werden die kommenden Jahre für Apple allerdings mit Sicherheit nicht einfacher. Außer man liefert im nächsten Jahr dann doch dieses eine "one more thing", auf das die Tech-Welt gewartet hat. (Alexander Amon, 15.9.2023)