Ab dem Frühjahr 2021 ging es Schlag auf Schlag: Zuerst durchsuchten Ermittler die Wohnung des damaligen Finanzministers Gernot Blümel (ÖVP), den sie der Korruption verdächtigten; drei Monate später eröffneten sie dann ein Verfahren gegen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wegen des Vorwurfs der Falschaussage im Ibiza-U-Ausschuss. Während Kurz deshalb ab Oktober vor Gericht stehen wird, muss Blümel keine weiteren strafrechtlichen Probleme befürchten – am Dienstag gab die WKStA bekannt, die Ermittlungen gegen ihn eingestellt zu haben.

Frage: Worum ging es in der Causa eigentlich?

Antwort: Im Zentrum der Ermittlungen stand eine Chatnachricht, die der damalige Novomatic-Chef Harald Neumann im Juli 2017 an Blümel geschickt hat. Darin heißt es: "Guten Morgen, hätte eine Bitte: bräuchte einen kurzen Termin bei Kurz (erstens wegen Spende und zweitens bezüglich einen Problems das wir in Italien haben! Glauben Sie geht sich das noch diese Woche aus?? lg Harald". Aus Sicht der Ermittler ergab sich daraus ein klassischer Korruptionsverdacht: Jemand stellt einem Amtsträger, nämlich dem damaligen Außenminister Sebastian Kurz, einen Vorteil (die Spende) in Aussicht, damit dieser ein Amtsgeschäft (Hilfe für das Problem) vornimmt.

Frage: Warum hat die WKStA das so intensiv geprüft?

Antwort: Die Chatnachricht fiel in einen Zeitraum, in dem das Team rund um Sebastian Kurz intensiv um Spenden warb. Kurz war damals gerade ÖVP-Chef geworden, schon seit Monaten knüpfte er enge Kontakte mit Wirtschaftstreibenden, auch um Spenden für den bevorstehenden Wahlkampf zu lukrieren – zum Beispiel in Form von "Unternehmerfrühstücken". Bei diesen waren auch Manager der Novomatic eingeladen.

Kurz Blümel
Kurz und Blümel als Kanzler und Finanzminister.
Fischer

Frage: Was kam bei der Suche nach einer Spende heraus?

Antwort: Die WKStA hat keinen relevanten Geldfluss von der Novomatic an die ÖVP oder ihr nahestehende Vereine gefunden. Sowohl der Glücksspielkonzern als auch die Volkspartei hatten die Existenz einer Spende stets bestritten. Die WKStA spricht in ihrer Einstellungsentscheidung von der Suche nach der "sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen" – etwa, weil es eine "Vielzahl an denkbaren Umgehungskonstruktionen" gebe. Zwar wiesen Chats darauf hin, dass die Novomatic spenden wollte; "konkrete Anhaltspunkte oder weitere Ermittlungsansätze, ob und wie mögliche verdeckte Spenden bzw. finanzielle Unterstützungen geleistet worden sein könnte, liegen nicht vor." Schon länger unterstützt wurde von der Novomatic allerdings das Alois-Mock-Institut, das von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) geleitet und als dessen Schirmherr Kurz präsentiert worden war.

Frage: Was war das "Problem in Italien"?

Antwort: Die italienischen Finanzstrafbehörden prüften im Jahr 2017 Verrechnungen zwischen der österreichischen Novomatic und deren italienischer Tochterfirma. Damals drohten Steuernachzahlungen in der Höhe von 50 bis 60 Millionen Euro. Das löste konzernintern viel Wirbel aus; auch Blümel und der damalige Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, unterhielten sich darüber. Ob Sebastian Kurz als Außenminister "Handlungen im Zusammenhang mit dem Steuerproblem" setzte, ließ sich laut WKStA nicht klären. Rund eine Woche nach Neumanns Chatnachricht an Blümel traf sich Kurz jedenfalls mit dem damaligen italienischen Außenminister. Ob das Thema da zur Sprache kam, kann laut WKStA "nicht aufgeklärt" werden. Kurz hat das stets bestritten.

Frage: Wie versuchten die Ermittler, mehr zu erfahren?

Antwort: Die WKStA führt in ihrer Einstellungsentscheidung eine Vielzahl von Schritten an, die sie unternommen hat. Es gab eine Hausdurchsuchung bei Blümel und der Novomatic; das Ibiza-Video und angebliche interne Dokumente aus der ÖVP (“Unterlagen Projekt Ballhausplatz”) wurden geprüft; außerdem wurden zahlreiche Zeugen und Beschuldigte einvernommen. Für Verzögerungen im Verfahren sorgte ein Rechtshilfeersuchen an die US-Justiz, die Daten zu einem Apple-Konto von Blümel besorgen sollte. Auf dessen Erledigung musste die WKStA fast zwei Jahre warten.

Frage: Was fanden die Ermittler bei Blümel?

Antwort: Laut WKStA wurde festgestellt, dass in "mehreren Löschwellen berufliche Chats" gelöscht wurden. Diese seien nur teilweise wiederhergestellt worden. Außerdem vermuten die Ermittler, dass "nicht alle relevanten Datenträger" sichergestellt werden konnten – fanden sie doch "mehrere Ladegeräte, die teils am Verteiler angesteckt waren, (...) zu denen es keine dazugehörenden Endgeräte gab". Über das Smartphone von Novomatic-Chef Neumann konnten einige Chats wiederhergestellt werden; so fragte er zum Beispiel Blümel nach einem "Job in Kabinetten" für seine Freundin, die Blümel vom Fitnessstudio kenne.

Frage: Was war da mit dem Laptop im Kinderwagen?

Antwort: Während der Hausdurchsuchung bei Blümel stellten die Ermittler fest, dass der von ihm und seiner Frau genutzte Laptop nicht auffindbar war. Tatsächlich hatte Blümels heutige Ehefrau die Wohnung mit dem gemeinsamen Baby verlassen und den Laptop mitgenommen, etwa um das Kind zu unterhalten und sich die Zeit zu vertreiben. Damals, im Februar 2021, war ein Covid-bedingter Lockdown verhängt. Um das Kind nicht zu gefährden, wurde Blümels Lebensgefährtin vorab über die Hausdurchsuchung informiert. Der Laptop wurde dann von Blümels damaligem Kabinettschef zur Durchsuchung gebracht; gelöscht worden sei darauf laut IT-Experten der Justiz nichts. DER STANDARD hatte zuerst über diesen Vorgang berichtet, ohne einen Kinderwagen zu erwähnen. Der tauchte dann erstmals bei einem Artikel des "Kurier" auf, der wiederum auf den STANDARD verwies. So entstand die Legende vom Laptop im Kinderwagen.

Frage: Wird gegen Blümel jetzt noch ermittelt?

Antwort: Nein. Es gab einige andere Anfangsverdachtsprüfungen oder Ermittlungen, aber die sind nun allesamt eingestellt worden. Nach seinem Rückzug als Finanzminister im Dezember 2021 dockte Blümel zunächst bei Superfund-Gründer Christian Baha an. Seit dem Frühjahr 2023 hat Blümel laut Firmenbuch eine eigene Consultingfirma und ist für die Österreich-Tochter eines deutschen IT-Unternehmens tätig. (Fabian Schmid, 13.9.2023)