Satellitenbild der zerstörten Stadt Derna
Die Sturmflut in Libyen riss große Teile der Küstenstadt Derna mit sich.
AFP/BLACKSKY

Eine Katastrophe "epischen Ausmaßes" nennt die Weltgesundheitsorganisation die verheerenden Überschwemmungen in Libyen. Es wird mit 20.000 Toten gerechnet, Hunderttausende sind von der Katastrophe betroffen. Die Regierung sprach von den schwersten Regenfällen seit mehr als 40 Jahren. In 24 Stunden fiel so viel Regen wie sonst innerhalb eines ganzen Jahres, mancherorts ein Vielfaches davon.

Zuvor hatte das Sturmtief Daniel schon in Bulgarien, der Westtürkei und in Griechenland eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Die Wassermengen, die während der sintflutartigen Regenfälle in Mittelgriechenland gefallen waren, seien die größten, die jemals im Land gemessen wurden, teilte die Wetterbehörde mit.

Video: Schwere Unwetter in Südosteuropa und Türkei
AFP

Erst Ende Juli litt Griechenland unter einer langandauernden Hitzewelle und Trockenheit. Infolge unkontrollierbarer Waldbrände mussten zigtausende Menschen aus Rhodos und Teilen Korfus evakuiert werden. Bis Ende August verbrannte in ganz Griechenland in etwa viermal so viel wie im Durchschnitt der Jahre 2006 bis 2022. In Kanada sorgten Waldbrände, befeuert von großer Dürre, seit Mai für einen Rekord an Kohlenstoffemissionen.

Hitzewellen mit Rekordtemperaturen bis zu 45 Grad machten in diesem Sommer den meisten Ländern Südeuropas zu schaffen. Viele davon, neben Griechenland auch Spanien, Italien oder Slowenien, wurden danach von heftigen Unwettern, Orkanböen, Hagel und Überschwemmungen heimgesucht, im Süden Österreichs richteten Unwetter und Hangrutschungen große Schäden an. Im Juli wurden im Nordwesten Chinas eine neue Rekordtemperatur von 52,2 Grad gemessen. Anfang September standen Teile Südchinas und Hongkongs unter Wasser.

Extreme werden häufiger

Sind diese Extreme Teil einer neuen Normalität, welche die fortschreitende Klimaerwärmung mit sich bringt? "Es war sicher ein extremer Sommer", sagt Birgit Bednar-Friedl von der Universität Graz. "Momentan kann man aber noch nicht seriös beantworten, ob hinter den Extremereignissen, die gleichzeitig in verschiedenen Regionen der Welt aufgetreten sind, auch gemeinsame Prozesse stehen. Der Sommer passt aber in den derzeitigen Trend."

Waldbrand
Unkontrollierbare Waldbrände richteten seit Mai in Kanada, aber auch in Griechenland große Schäden an.
REUTERS/CHRIS HELGREN

Der 2022 veröffentlichte Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC, an dem Bednar-Friedl als koordinierende Leitautorin mitgeschrieben hat, habe "sehr klar nachgewiesen", dass es infolge der Klimaerwärmung zu einer Zunahme von Häufigkeit und Intensität bei Extremen wie Dürre, Hitze und Starkregen kommt.

Noch sei es statistisch gesehen sehr schwierig festzustellen, ob es sich bei den extremen Unwettern der letzten Wochen um Ausreißer oder einen Trend handelt, sagt auch Klaus Haslinger, Leiter der Fachabteilung Klimasysteme und -folgen bei Geosphere Austria (vormals ZAMG). "Je intensiver und je extremer ein Ereignis ist, desto seltener ist es – und desto weniger Daten haben wir."

Ausschlaggebend für Wetterphänomene wie schwere Unwetter mit Überschwemmungen sei die atmosphärische Zirkulation, also wie sich die Luftmassen bewegen, wie lange sie sich festsetzen und wie sich Hoch- und Tiefdruckgebiete abwechseln. In welcher Form der Klimawandel auf diese komplexen Zirkulationssysteme Einfluss nimmt, lässt sich noch nicht im Detail abbilden. "Dass es einen Einfluss gibt, ist aber klar", sagt Haslinger.

Eine Frau mit Gesichtsschutz gegen Hitze in Peking
Anfang Juli: Eine Frau in Peking schützt sich vor der extremen Hitze.
REUTERS/TINGSHU WANG

Hitzerekorde

Eindeutig belegbar ist jedenfalls der globale Temperaturanstieg von durchschnittlich 1,2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter sowie die Vervielfachung von Hitzetagen mit Temperaturen von mehr als 30 Grad. "Die Hitzewellen zeigen, dass wir in einer neuen Normalität gelandet sind", sagt Haslinger. Der Sommer 2023 war global gesehen der heißeste in der gesamten Messgeschichte, sowohl im Juli als auch im August wurden laufend Rekorde gebrochen. In Europa war es der fünftwärmste Sommer seit Beginn der Messungen.

In Österreich reiht sich der Sommer als siebtheißester in die Messgeschichte ein. Eine aktuelle Zwischenbilanz der Geosphere Austria zeigt, dass das ganze Jahr 2023 mit großer Wahrscheinlichkeit eines der fünfwärmsten in der heimischen Messgeschichte wird. Ein Rekord wurde noch vermeldet: Am zweiten Septemberwochenende war es auf vielen Bergen Österreichs so warm wie noch nie in einem September, ergab die Geosphere Austria-Auswertung.

Bisher ungesehene Rekordwerte erreichten in diesem Sommer auch die Temperaturen der Ozeane, nicht nur an der Oberfläche, sondern bis in die Tiefen. Dafür dürfte heuer nicht allein die treibhausgasgetriebene Klimaerwärmung verantwortlich sein, sondern auch die El-Niño-Saison sowie weniger Saharastaub und Schiffsabgase, die zuvor die Atmosphäre über den Meeren getrübt haben, und möglicherweise auch der Wasserdampf, der 2022 durch die Eruption des Unterseevulkans Hunga Tonga in die Atmosphäre gelangte.

Drohnenaufnahme überflutete Häuser in Griechenland
Eine Drohnenaufnahme zeigt, welche Verwüstungen der Sturm "Daniel" Anfang September in Thessalien hinterlassen hat.
EPA/STR

Mittelmeer-Hurrikan

Die höheren Luft- und Wassertemperaturen führen zu mehr Wasserdampf und mehr Energie in der Atmosphäre. "Das heißt, dass das Potenzial für Niederschläge in den letzten Jahrzehnten gestiegen ist. Das trägt natürlich zu extremen Starkregenereignissen bei", sagt Haslinger. Dass das an sich nicht ungewöhnliche Tiefdruckgebiet im Mittelmeer zuletzt so verheerende Ausmaße angenommen hat, liegt laut Georg Pistotnik von der Geosphere Austria an einer "Verkettung ungünstiger Umstände", aber auch an den überdurchschnittlich warmen Meerestemperaturen. Der Mix führte zu einer ähnlichen Ausgangslage wie bei tropischen Wirbelstürmen. Es braute sich ein Medicane, also eine Art Mittelmeerhurrikan, zusammen.

Dafür, dass die schweren Unwetter auf den Klimawandel zurückzuführen seien, sprächen "diese extremen Niederschläge in ganz, ganz kurzer Zeit", sagt der Klimaforscher Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. "In den letzten Wochen haben wir Niederschläge gemessen, die hat es so in Europa noch nie gegeben. Das war zum Teil ein Vielfaches dessen, was wir während der Ahrtal-Flut 2021 hatten." Die internationale World Weather Attribution Group denkt, dass der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit für so heftige Regenfälle in Ländern wie Griechenland, Bulgarien und der Türkei um etwa den Faktor zehn erhöht.

Intensivere Unwetter

Dass die Intensität der Regenfälle steigt, lasse sich zum Teil schon mit Daten belegen, bestätigt Klaus Haslinger. Am besten sei das an Messungen von Niederschlagsmengen im Zeitraum von wenigen Stunden ablesbar. "Hier zeigt sich ein deutlicherer Trend zu höheren Intensitäten, verglichen mit Tagessummen." Ebenso gebe es Hinweise darauf, dass kleinräumige Schauer und Gewitter intensiver werden. Die verheerenden Auswirkungen hätten aber auch viel mit schlechter Landnutzung und steigender Bodenversiegelung zu tun. "Damit machen wir uns verletzlicher."

Hangrutschung
Im Süden Österreichs kam es aufgrund der anhaltenden Regenfälle Anfang August zu Überflutungen und Hangrutschungen. Im Bild St. Johann im Saggautal im Bezirk Leibnitz.
APA/ERWIN SCHERIAU

Für Birgit Bednar-Friedl habe der Sommer gezeigt, dass nicht nur Regionen an Küsten und an Flüssen von Starkregen betroffen sind, wie die zahlreichen Hangrutschungen in Österreich gezeigt hätten. Es sei zudem schwierig, sich gegen so unterschiedliche Phänomene wie Hochwasser und extreme Trockenheit zu wappnen, sagt die auf Klimawandelanpassung spezialisierte Volkswirtin. "Die Resilienz von Infrastrukturen, Wirtschaft und Gesellschaft kann auch in unseren Breiten an ihre Grenzen stoßen."

Fest steht für Bednar-Friedl, dass die Katastrophen des vergangenen Sommers nur ein Vorgeschmack darauf sind, was noch kommen wird. So treten laut IPCC-Bericht Temperaturextreme, die bis 1900 weltweit nur einmal in 50 Jahren vorkamen, heute fast fünfmal häufiger auf. Bei einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad würden derartige Hitzeextreme 8,6-mal häufiger auftreten, bei einer Erhöhung um vier Grad sogar 39-mal häufiger. Ähnliches gelte für Starkregen und Dürren. "Das sind Muster, die wir in diesem Sommer schon beobachten konnten." (Karin Krichmayr, 22.9.2022)