Im Gastblog erklärt Martin Auer die "Tragödie der Commons" und stellt dar, wie der Theoretiker dahinter, Garrett Hardin, ein klarer Vertreter von Rassismus und Ethno-Nationalismus war. Den Ausweg aus der Tragödie zeigte dagegen die Ökonomin Elinor Ostrom.

Intelligente Wesen, die unseren Planeten beobachten, müssten zu dem Schluss kommen, dass sich hier eine schreckliche Tragödie abspielt: Wir Erdenmenschen zerstören unseren Planeten. Wir wissen, dass wir ihn zerstören. Wir wollen ihn nicht zerstören. Und doch scheint es, dass wir keinen Weg finden, die Zerstörung zu beenden.

Eine theoretische Formulierung dieses Phänomens stammt von dem US-amerikanischen Ökologen Garrett Hardin (1915 bis 2003). Mit seinem 1968 erschienenen Artikel "The Tragedy of the Commons"1 – auf Deutsch: "Die Tragödie der Commons" oder "Die Tragik der Allmende" – hat er ein geflügeltes Wort geschaffen, das den Vorgang beschreibt, bei dem das Handeln Einzelner zu einem Ergebnis führt, das niemand gewollt hat. In dem Beitrag versucht Hardin zu zeigen, dass frei zugängliche Allgemeingüter wie die Atmosphäre, die Weltmeere, Fischgründe, Wälder oder gemeinschaftliche Weidegründe notwendig übernutzt und zugrunde gerichtet werden. Von der Gemeindeflur, der Weide, die von einem Dorf gemeinsam benutzt wurde, nimmt er auch den Begriff der "Commons" beziehungsweise der "Allmende". Eine solche gemeinschaftlich genutzte Weide dient ihm als Beispiel.

Kuh auf ausgetrockneter Weide
Garret beschrieb anhand einer Kuhweide eine soziale Dynamik, in der man nur verliert, wenn man nicht auch an einer Übernutzung partizipiert.
APA/dpa/Oliver Berg

Die Rechnung geht ungefähr so: Auf einer Weide grasen 100 Kühe. Das sind gerade so viele, dass sich die Weide jedes Jahr regenerieren kann. Zehn dieser Kühe gehören mir. "Als rationales Wesen", sagt Hardin, "strebt jeder Viehzüchter danach, seinen Nutzen zu maximieren": Wenn ich jetzt statt zehn Kühen noch eine elfte auf die Weide schicke, verringert sich der Milchertrag pro Kuh um ein Prozent, weil jede jetzt weniger zu fressen hat. Zwar sinkt auch mein Milchertrag pro Kuh, aber da ich jetzt elf statt zehn Kühe habe, steigert sich mein gesamter Milchertrag um fast neun Prozent. Ich wäre also dumm, wenn ich auf die elfte Kuh verzichten würde, um die Weide nicht zu überlasten. Und noch dümmer wäre ich, wenn ich zusehen würde, wie andere Viehzüchter zusätzliche Kühe auf die Weide treiben, und ich als einziger die Weide schonen wollte. Der Milchertrag meiner zehn Kühe würde sich verringern, und die anderen hätten den Vorteil. Ich würde also bestraft werden dafür, dass ich mich verantwortungsvoll verhalte.

Derselben Logik müssen auch alle anderen Viehzüchter folgen, wenn sie nicht untergehen wollen. Und darum ist es so unausweichlich wie das Schicksal in der griechischen Tragödie, dass die Weide übernutzt wird und schließlich verödet.

Autos stehen im Stau
Auch der ewige Verkehrsstau ist ein Beispiel für die Übernutzung einer allgemein zugänglichen Ressource durch "rationale Nutzenmaximierer": Wenn die anderen alle mit dem Bus fahren würden, wäre ich schon längst zu Hause!
APA/FRANZ NEUMAYR

Feindbild Bevölkerungswachstum

Um die Tragödie zu verhindern, gibt es laut Hardin nur zwei Möglichkeiten: entweder die Regulierung durch eine zentrale Verwaltung oder die Aufteilung der Gemeinschaftsgüter in private Parzellen. Ein Viehzüchter, der seine Kühe auf seinem eigenen Land weidet, wird darauf achten, seinen Boden nicht zu zerstören, so das Argument. "Entweder privates Unternehmertum oder Sozialismus", formulierte er später. Die meisten Darstellungen der "Tragik der Allmende" enden hier. Doch es ist gut zu wissen, welche weitergehende Schlussfolgerungen Hardin gezogen hat. Es sind Argumentationen, die immer wieder in der Debatte über die Klimakatastrophe auftauchen.

Die eigentliche Ursache für Übernutzung von Ressourcen sieht Hardin im Bevölkerungswachstum. Er macht das am Beispiel der Umweltverschmutzung fest: Wenn ein einsamer Pionier im Wilden Westen seinen Abfall in den nächsten Fluss geschmissen hat, war das weiter kein Problem. Ab einer gewissen Bevölkerungsdichte kann die Natur unseren Abfall nicht mehr aufnehmen. Doch die Lösung der Privatisierung, die – nach Hardins Ansicht – für Viehweiden funktionieren soll, funktioniert nicht für Flüsse, Meere oder die Atmosphäre. Die lassen sich nicht einzäunen, die Verschmutzung breitet sich überallhin aus. Da er einen direkten Zusammenhang zwischen Umweltverschmutzung und Bevölkerungsdichte sieht, lautet Hardins Schlussfolgerung: "Die Freiheit zur Fortpflanzung ist nicht tolerierbar." ("Freedom to breed is intolerable.")

Rassismus und Ethno-Nationalismus

In einem späteren Artikel von 1974 mit dem Titel "Life Boat Ethics: the Case against Helping the Poor" ("Rettungsboot-Ethik: Plädoyer gegen Hilfe für die Armen")2 wird er deutlich: Nahrungsmittelhilfe für arme Länder fördere nur das Bevölkerungswachstum und verschärfe so die Probleme der Übernutzung und Verschmutzung. Die Bevölkerung der reichen Länder, so seine Metapher, sitzt in einem Rettungsboot, das nur eine begrenzte Zahl an Menschen tragen kann. Das Boot ist umgeben von verzweifelten Ertrinkenden, die hineinwollen. Doch sie ins Boot zu lassen würde den Untergang aller bedeuten. Solange es keine Weltregierung gebe, die die Fortpflanzung der Menschen kontrolliere, sagt Hardin, sei eine Ethik des Teilens nicht möglich. "Für die vorhersehbare Zukunft ist unser Überleben davon abhängig, dass wir unser Handeln von der Ethik des Rettungsboots leiten lassen, so hart diese auch sein mag."

Hardin schrieb 27 Bücher und verfasste 350 Artikel, von denen viele offen rassistisch und ethno-nationalistisch waren. Doch wenn Hardins Ansichten der Öffentlichkeit präsentiert werden, wird der weiße Nationalismus, von dem sein Denken geprägt war, weitgehend übergangen. Hauptsächlich auf Webseiten von weißen Suprematisten findet man Erörterungen seines vollständigen Gedankenguts. Wie die US-Organisation SPLC schreibt, wird er dort als Held gefeiert.3

Es muss nicht tragisch enden

Doch die "Tragik der Allmende" fasziniert immer noch Ökonom:innen, Philosoph:innen und allgemein an ökologischen Fragen interessierte Menschen. Konkrete Beispiele dafür, wie die Nutzung von Allgemeingütern durch "rational handelnde Nutzenmaximierer" katastrophale Folgen hat, lassen sich ja endlos aufzählen. Verschmutzung der Atmosphäre durch CO2, Überdüngung der Gewässer durch Phosphate und Nitrate, Verlust von Lebensraum für Tiere und Pflanzen, Verschmutzung von Land und Meer durch Plastik und andere chemische Produkte, sinkende Grundwasserspiegel, sinkender Bodenertrag, Bodenerosion und viele mehr.

Muss es also tragisch enden? Müssen wir wählen zwischen Diktatur und Untergang?

Der Streit um "Zentralgewalt" oder "Privatisierung" dauert bis heute an. Dass es zwischen den beiden Polen noch eine dritte Möglichkeit gibt, zeigte die US-amerikanische Ökonomin Elinor Ostrom (1933 bis 2012). Sie erhielt 2009 als erste Frau den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften für ihr Werk4, in dem sie sich intensiv mit den Fragen der Commons auseinandersetzte. In der Würdigung des Nobel-Komitees heißt es, dass sie gezeigt hat, "wie gemeinschaftliches Eigentum von Nutzerorganisationen erfolgreich verwaltet werden kann".

Ostrom hat dargelegt, dass die "Tragödie der Commons" nicht unausweichlich ist. Auf ihr Werk soll der nächste Beitrag in diesem Blog eingehen. (Martin Auer, 19.9.2023)