Kenneth Branagh
Jede Menge Geister, ein Mörder, den es bis zum Morgengrauen zu ermitteln gilt – aber nur wenig Licht: Kenneth Branagh gibt in "A Haunting in Venice" zum dritten Mal den Poirot.
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Zu den großen Errungenschaften des Kinos zählt zweifellos die Tatsache, dass man sich die Wirklichkeit im Film so gestalten kann, wie sie sein sollte. Die eigentliche Leistung des im Alter zunehmend wortkarger werdenden, allerdings umso intensiver Richtung weiterer Oscars blickenden Schauspielers und Regisseurs Kenneth Branagh liegt in seiner dritten Verfilmung eines Krimis von Agatha Christie um den zwirbelschnauzbärtigen belgischen Detektiv Hercule Poirot nicht so sehr in der gewohnt souveränen Spielführung der Kolleginnenschaft begründet. Branagh hat es während der mit Drohnenkamera unternommenen Außenaufnahmen in Venedig geschafft, für seinen Film A Haunting in Venice die Stadt nicht nur von den Kreuzfahrtschiffen zu befreien. Da der Film im Jahr 1947 spielt, konnte mit CGI-Technik auch für eine gewisse Menschenleere gesorgt werden.

Peter Ustinov wird in der Rolle des eitlen und immer auch ein wenig lächerlichen Hercule Poirot unvergessen in drei Kinoverfilmungen aus den 1970er- und 1980er-Jahren bleiben. David Suchet brachte es zwischen 1989 und 2013 bei 33 Poirot-Romanen von Agatha Christie plus ein paar Kurzgeschichten auf geschlagene 70 Filme, die unermüdlich im linearen Fernsehen umgehen. Von John Malkovich oder Albert Finney als Poirot ganz zu schweigen. Man kann also nicht sagen, dass man ihm neue Seiten abgewinnen müsste.

Kenneth Branagh
Die späten Gäste sind oft nicht die besten. Zur Séance geht es in Venedig natürlich mit der Gondel.
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Nachdem er sich allerdings schon als Kommissar Wallander und zuvor als Shakespeare-Mime Verdienste darin erworben hatte, abgelebten Stoffen im Schnellwaschgang ein wenig Blütenfrische einzuhauchen, verlässt sich Kenneth Branagh nach seiner preisberegneten Kindheitserinnerung Belfast und einem Auftritt in Oppenheimer auf eine weitere Reanimation. Er will dem affektierten Schnurrbart mit ein wenig Lebensmüdigkeit und Altersverhärmtheit beikommen.

Die Tür geht auf, die Tür geht zu

Zwei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist Hercule Poirot der vielen Toten und Mörder in seinem Leben überdrüssig geworden. Er hat sich in Venedig zur Ruhe gesetzt und lässt die zahlreichen Bittsteller, die ihn tagtäglich um detektivischen Rat anflehen, von seinem Diener verjagen. Eine alte Freundin, Kriminalschriftstellerin Ariadne Oliver (US-Komikerin Tina Fey, humorfrei), überredet ihn allerdings, ihn zu einer nächtlichen Séance zu begleiten. Während dieser soll ein Medium (Michelle Yeoh aus Everything Everywhere All at Once) in einem verwunschenen, lichtarm ausgeleuchteten Palazzo den Geist eines zwei Jahre zuvor unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommenen Kindes herbeirufen.

KinoCheck

Das geht natürlich nicht gut. Zwar entlarvt der außer im lukullischen Bereich fürs Sinnliche und Übersinnliche reichlich unwillige Poirot die Frau als Schwindlerin. Allerdings kommen bis zum Morgengrauen in diesem Spukschloss, in dem einst auch Waisenkinder während der Zeit der Pest ein grausames Ende fanden, einige Menschen zu Tode.

Draußen in der Lagune tobt ein Sturm, im Palazzo knallen die Türen auf und zu. Es ist ein unentwegtes Hin-und-her-Gerenne und Dialogisieren mit Schnitt und Gegenschnitt zu erleben – und manchmal eine dem Gruselfilm geschuldete Übermimik. Die schaurigen Momente halten sich in diesem Kammerspiel allerdings in Grenzen. Wer es gern etwas adrenalinreicher als bei Inspector Barnaby mag, Freunde, hier kann man wachbleiben. Ein anregendes Tässchen Tee spielt übrigens bei Barnaby wie in A Haunting in Venice eine Rolle.

Dass die Kinder in Venedig 1947 ein von den amerikanischen Befreiern mitgebrachtes Halloween-Fest feiern, das ist natürlich ein fester Blödsinn. Spoiler: Halloween kam erst viel später in Europa auf. Die Lösung des Falls? An den Haaren herbeigezogen! (Christian Schachinger, 14.9.2023)